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Bautechnikschüler verlegten erst am Montag die Stolpersteine, die nun beschmiert wurden.

© Thilo Rückeis

Beschmierte Stolpersteine werden gesäubert: Bis die Erinnerung wieder glänzt

Frisch verlegte Gedenksteine wurden in Friedenau beschmiert und werden heute gesäubert. Sie erinnern zum Beispiel an Opa Leo, einen der besten Lebkuchenbäcker von Berlin - und an Hildegard Kruschke, die nach Amerika fliehen wollte, aber in Auschwitz ermordet wurde.

Fünfzehn tragische Schicksale – alle in diesem Karton. Bernd Lutterbeck, ein Wirtschaftsinformatiker, setzt die Kiste auf dem Mäuerchen des Vorgartens in Friedenau ab. Die Sonne bringt die quadratischen Messingplatten im Karton zum Leuchten. Man hat sie auf graue, aus Beton gegossene Pflastersteine montiert. Auf vier Plaketten sind die eingravierten Namen einer jüdischen Familie zu lesen: Hanna, Herbert, Berta und Max Ert. Eltern und Kinder wurden 1943 deportiert und ermordet. In der Kiste liegen weitere elf Stolpersteine. Auszubildende der Zimmermannszunft verlegen sie am Montagvormittag vor Häusern in der Handjerystraße in Friedenau. Schüler der Fläming-Grundschule umringen die jungen Männer dabei. Zum Schluss putzen die Kinder die Messingplatten blank – umsonst, wie sich am Donnerstag zeigte.

Unbekannte Täter machten fünf der frisch verlegten Steine im Schutz der Dunkelheit mit dunkler Farbe unkenntlich. Auch in der Wilhelm-Hauff-Straße, der Stierstraße und der Fregestraße, nur wenige Gehminuten entfernt, schlugen die Täter zu: Nach Polizeiangaben sollen mindestens 55 Stolpersteine übermalt worden sein – es sei aber nicht auszuschließen, dass noch weitere entdeckt würden. Am Donnerstagmorgen gegen 7 Uhr entdeckten Anwohner die Schäden und riefen die Polizei. Nicht zum ersten Mal: Ende März waren in zwei aufeinanderfolgenden Nächten Stolpersteine in den gleichen Straßen beschmiert worden. Der Staatsschutz ermittelt seitdem wegen politisch motivierter Sachbeschädigung – ein antisemitischer Hintergrund der Tat kann nicht ausgeschlossen werden. Auf jeden Fall soll wohl der Geist beschädigt werden, den diese Steine symbolisieren: der Geist einer wachen Bürgergesellschaft.

Zum Beispiel hier in Friedenau: Vor einem Jahr haben sich die Bewohner der von Gründerzeithäusern geprägten Handjerystraße in einer Initiative zusammengeschlossen, um an die NS-Opfer zu erinnern, die einst in ihrem Kiez lebten. Auch in der Stierstraße gründete sich eine Initiative. Sie studierten die von den Nazis akribisch geführte Kartei mit den Namen aller jüdischen Friedenauer, die deportiert wurden. Sie erforschten die Schicksale der Menschen und fanden heraus, dass „insgesamt 22 unserer früheren Nachbarn aus der Straße zwischen 1942 und 1944 ermordet wurden“, sagt Bernd Lutterbeck.

Die Bautechnikschüler beim Verlegen.

© Thilo Rückeis

Hanna, Herbert, Berta und Max Ert aus dem Haus Nummer 29 hatten einen populären Großvater, Opa Leo, einer der besten Lebkuchenbäcker von Berlin. Von Bruno Pasch, einem Bewohner der Nummer 86, weiß man, dass der damals 52-Jährige noch versuchte, nach Belgien zu fliehen. Am 4. Januar 1942 wurde er verhaftet, kurz darauf im KZ Sachsenhausen umgebracht. Noch Genaueres weiß man über Hildegard Kruschke aus der Nummer 37. Die junge Frau wollte mit ihrem Mann nach Amerika fliehen und hatte schon eine Anzahlung von 1000 Reichsmark für die Schiffspassage gezahlt. Doch sie kamen nicht mehr weg, wurden nach Auschwitz gebracht. Die Bewertungsstelle für jüdische Vermögen forderte danach die Anzahlung von der Fährgesellschaft zurück.

Vor dem Eingang zum Haus Nummer 1 verlegen angehende Zimmerleute zwei Stolpersteine für Leo Hummel und Malwine Steiner. Sie spalten mit dem Meißel vorsichtig das alte Pflaster. Zweieinhalb Millimeter darf die Platte über den Rand des Fußweges hinausragen. „Es ist ein gutes Gefühl, das hier zu unterstützen“, sagt der 20-jährige Felix Tawanda-Podell. Eine Gruppe Fünftklässler beobachtet jeden Handgriff. Zur Verlegung der Stolpersteine wurden die Kinder von der Bürgerinitiative eingeladen. Außerdem fügen die Zimmerleute noch eine längliche „Stolper-Schwelle“ in den Bürgersteig vor der Nummer 20A ein. Hier stand einst das Haus der „Gossner Mission“, die zum kirchlichen Widerstand gehörte. Bis 1945 bot sie jüdischen Bürgern Zuflucht.

Vor mehr als zwanzig Häusern der Handjerystraße glänzten die Namensschilder am Boden – bis sie geschwärzt wurden. Zur „Erinnerung an die dunkle Zeit“ veranstaltet die Initiative am nächsten Montag, 14 Uhr, eine Gedenkfeier in der Friedrich-Bergius-Schule am Perelsplatz, auch Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) will dabei sein. Angehörige der damaligen Opfer reisen aus Israel und Mailand an. Auch eine Verwandte der Familie Ert aus Nummer 29 gehört dazu. Bis dahin sollen die Stolpersteine wieder golden glänzen: Am heutigen Freitag um 10 Uhr treffen sich Anwohner und Mitglieder der Initiative zu einer Putzaktion; Treffpunkt ist in der Stierstraße. Auch 50 Kinder aus den umliegenden Kitas wollen helfen.

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