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Sportbund-Chefin in Berlin-Mitte: „Eine kleine Turngruppe allein in der großen Halle – das geht nicht“

Ramona Reiser war früher Stadträtin der Linkspartei in Mitte, heute engagiert sie sich für den Sport. Ein Gespräch über die Probleme von Vereinen – und über Sahra Wagenknecht.

Von Pauline Faust

Vereine haben Probleme, ehrenamtliche Mitarbeiter zu finden, seien es Übungsleiter:innen oder Kassenwärt:innen sind. Auch die Nachwuchsgewinnung ist schwierig. Welchen Rat haben Sie?
Wir haben natürlich auch nicht das Heilmittel, aber Flexibilität zu schaffen, ist ein Ansatz. Strukturen in Vereinen sind manchmal von der modernen Lebensrealität entfernt: Viele Berliner:innen entscheiden sich lieber für etwas Flexibles und Angebotsbezogenes. Vereine könnten beispielsweise Kurse für eine Semesterdauer anbieten. Das könnte Student:innen abholen, die sich nicht gleich langfristig binden wollen.

 Ex-Stadträtin Ramona Reiser, Präsidentin des Bezirkssportbundes Berlin-Mitte.

© privat

Vereinen wollen oft, dass man sich komplett einbringt, an Turnieren teilnimmt und für den Kuchenbasar backt.
Ein Verein ist halt nicht ein Dienstleister wie ein kommerzieller Fitnessclub. Er ist schon eine gewisse Gemeinschaft.

Es ist auch ein bisschen widersprüchlich: Viele Menschen fühlen sich vereinsamt, aber gleichzeitig haben es Anlaufpunkte wie Vereine schwerer.
Das hat sicherlich auch mit der Sichtbarkeit zu tun. Es sind ja nicht nur die Sportvereine, es gibt ja auch ganz viele andere soziale Einrichtungen im Kiez, die einem, selbst wenn man schon fünf oder zehn Jahre da lebt, trotzdem unbekannt sind. Da gibt es bei manchen Vereinen durchaus noch Werbungspotenzial.

Sportstätten müssen bedarfsgerecht ausgelastet werden.

Ramona Reiser, Präsidentin des Sportbundes in Mitte.

Typisch ist, dass Kinder in der Schule angeworben werden. Was würden Sie erwachsenen Menschen empfehlen?
Auf der Website des Landessportbundes Berlin kann man detailliert nach Sportarten suchen und Kontakte finden. Ansonsten kann man natürlich auch uns ansprechen. Im Bezirk gibt es zudem die KiezSportLotsin, sie hat auch über Sportvereine hinaus Angebote in Familienzentren und Jugendfreizeiteinrichtungen auf dem Schirm. Beim DOSB gibt es außerdem online den Sportsvereins-Scheck, womit einmalig für eine Neumitgliedschaft in einem Sportverein 40 Euro übernommen werden.

Was ist denn der ausgefallenste Verein in Mitte?
Schach-Boxen vielleicht. Oder Lacrosse, was ein sehr traditionsreicher Sport ist, der aber in Europa noch nicht sehr verbreitet ist. Auch Frisbee kommt aktuell sehr gut an. Da denkt man auch immer, das macht man mal so im Park, aber es ist durchaus anspruchsvoll. Natürlich sind die klassischen Fußballvereine hier in Mitte recht groß, aber wir haben daneben schon eine schön bunte Vereinslandschaft.

Und was für Sport treiben Sie?
Tai-Chi. Und sonst mache ich eher auch informell Sport an der frischen Luft.

Wie sieht es denn gerade aus mit den Sportstätten? Das ist immer wieder ein Riesenthema.
Das wird auch bis in alle Ewigkeit Thema bleiben. Ich finde auch gut, dass es immer wieder Aufmerksamkeit bekommt, denn Raumknappheit ist natürlich in einem hoch verdichteten Bezirk wie Mitte immer eine Herausforderung. Bei Hallen gibt es rechnerisch ein gesamtbezirkliches Defizit, aber besonders in Wedding und Gesundbrunnen. Vor diesem Hintergrund muss darauf geachtet werden, wie Sportstätten bedarfsgerecht ausgelastet werden. Es geht beispielsweise nicht, dass eine ganz kleine Turngruppe allein in einer großen Halle sitzt.

Lässt sich da noch was optimieren?
Wir warten gerade alle mit Spannung auf die digitale Sportstättenvorgabe, die im Herbst/Winter anlaufen soll. Vereine und interessierte Nutzer*innen sollen dann online ihren Bedarf angeben und Hallenzeiten beantragen können.

Das sehen die Vereine bestimmt auch kritisch. Gibt es Anlass zur Sorge, dass ein Verein bestehende Plätze verliert?
Ja, aber das ist eine abstrakte Angst, die meiner Meinung nach auch zu größten Teilen unbegründet ist. Wenn alle Nutzer*innen ehrlich ihren Bedarf und auch kurzfristig frei werdende Nutzungszeiten angeben, dann profitiert am Ende die Allgemeinheit.

Sie kennen sich in Berlin mittlerweile gut aus, aber eigentlich kommen Sie aus Baden-Württemberg. Wie lange sind Sie jetzt schon in der Stadt?
Ich bin 2005 ganz typisch für das Studium nach Berlin gekommen. Ich habe Theaterwissenschaften studiert und habe während und nach dem Studium am Theater gearbeitet. Zuletzt war ich am Berliner Ensemble in der Dramaturgie-Assistenz. Aber da habe ich mich dann nicht mehr gesehen. Das ist eine Welt, in der es ziemlich hart und egozentrisch zugehen kann – mit dem Ellenbogen. Dann habe ich mit einem Ehrenamt in der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof angefangen. Ich wollte etwas Sinnvolles machen, irgendwas, das auch mit Mitte zu tun hat. Und über dieses ehrenamtliche Engagement bin ich schließlich zunächst als Aushilfe dann hauptamtlich in der Bundesgeschäftsstelle der Bahnhofsmission gelandet.

Dann sind Sie 2019 für die Linkspartei Stadträtin geworden.
Genau, das war auch mehr oder weniger Zufall, weil unsere damalige Stadträtin in die Senatsverwaltung gewechselt ist. Dann ging die große Suche nach einer Nachfolgerin los. Und ich habe es einfach mal mit einer Kandidatur probiert.

In Beiträgen von damals beschrieb man sie als „zierliche Frau“ und „jüngste Stadträtin: Ramona Reiser, 33 Jahre alt, eine Behörde mit 600 Mitarbeitern“. War es für Sie schwierig, sich zu beweisen?
Ja klar, ich glaube, für jede junge Frau wäre es eine Herausforderung gewesen. Die Messlatte für junge Frauen wird viel höher gelegt als bei gleichaltrigen Männern. Allein wie über einen berichtet wird und was kritisiert wird… Im Nachhinein muss ich sagen: wie verrückt! Es wurde alles gedeutet, was man anhat, ob man die Hände in der Hosentasche hat, ob man lächelt oder nicht. Aber ich bereue diese Zeit nicht; davor habe ich immer zwischen Brotjob und Ehrenamt unterschieden. Als Stadträtin konnte ich von meinem Engagement leben.

Sahra Wagenknecht ausschließen? Ich denke ja.

Romona Reiser, früher Mitglied der Linkspartei

Sie sind dann aus der Linkspartei ausgetreten. Warum?
Es gibt nicht den einen entscheidenden Grund oder Anlass; es waren viele und die Notwendigkeit hat sich über die Zeit verstärkt. Viele dachten wahrscheinlich, ich sei beleidigt, weil ich nicht Stadträtin bleiben konnte, das war es aber natürlich nicht. Jeder kann gerade beobachten, wie es der Linken geht und welche innerparteilichen Probleme sie hat. Ich persönlich hatte letztendlich nicht mehr die Energie und auch nicht mehr die Ideen, wo ich noch ansetzen könnte, um was zu verändern.

Sie sind nicht allein gegangen …
Ich bin mit sieben weiteren Leuten zusammen ausgetreten, wir haben damals ein Statement an den Bezirks- und Landesverband geschickt. Das haben wir nie öffentlich gemacht, es ging auch nicht um Öffentlichkeit. Auch jetzt geht es mir nicht darum, dass unser Statement nach außen geht… ich bin gerne links und eigentlich wäre ich gerne immer noch Teil einer linken Partei. Aber für mich ist es nicht mehr „Die Linke“. Ich konnte immer weniger diese Parteimitgliedschaft nach außen vertreten und nach innen hin konnte ich auch immer weniger verändern. Ich beobachte immer noch wie es der Partei geht, was da so passiert und wer Positionen übernimmt. Ich bereue nicht, ausgetreten zu sein, gar nicht.

Hat die Linkspartei da ein besonderes Problem?
Ich denke nicht, jede Partei hat so ihre Baustellen. Also, da ist die Linke nicht schlimmer als andere. Aber natürlich, wenn man links ist, hat man auch nochmal einen ganz anderen Anspruch an politische Zusammenarbeit und das Parteileben. Wenn Genoss:innen beispielsweise misogyne Haltungen zeigen, hat das ein ganz anderes Gewicht in einer linken Partei. Wenn man immer wieder auf informelle Hierarchien und starre Strukturen trifft, erschwert das natürlich die Gestaltungsmöglichkeiten und die Wege sich einzubringen.

Wie können sich junge Menschen dann einbringen?
Schon damals als Stadträtin, ist mir das Vorurteil begegnet, junge Menschen seien desinteressiert oder politikverdrossen, aber es ist eher das Gegenteil. Das sieht man auch durch Fridays for Future. Parteien haben es gerade alle sehr, sehr schwer. Dieses Problem teilen sie ein bisschen mit Vereinen. Junge Menschen denken vielleicht eher in Projekten oder Einzelthemen und dementsprechend wollen sie sich engagieren und sehen sich eher in einer Initiative, einer temporären Kampagne oder einer lokalen Bewegung statt in einer Partei. Das ist auch okay.

Viele wollen nicht mehr so ein Komplettpaket.
Junge Leute haben durchaus auch ein Interesse an Kleinstparteien, die sich glaubwürdig für ein Thema einsetzen.

Wo wir schon über die Linkspartei sprechen: Wäre es richtig, Sahra Wagenknecht auszuschließen?
Persönlich denke ich: ja. Aber diejenigen, die so antworten wie ich, sind wahrscheinlich schon längst aus der Partei geflüchtet. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Partei Mitglieder verliert – allein in Berlin an die zehn Prozent.

Und wie geht es für Sie weiter beim Sportbund?
Es gibt hier wahnsinnig viel zu tun. Wahrscheinlich kann ich niemandem rational erklären, warum mich diese „Baustelle“ so reizt und begeistert. Ich will den Bezirkssportbund jetzt erst mal auf eine gute Basis bringen, sodass die Abläufe zukünftig auch personenunabhängig laufen.

Und wenn Sie jetzt auch doch mal versuchen, mir zu erklären, was Ihre innere Motivation ist?
Mir war immer der Bezirksbezug wichtig. Ich finde die Bundes- und Landesebene uninteressant, da möchte ich gar nicht großartig aktiv sein. Mir gefällt es total, hier im Bezirk zu wirken. Hier liegen so viele Themen auf der Straße: Manchmal geht es vielleicht nur um die Gestaltung in einem Park oder die Lichtanlage auf einem Sportplatz. Am Ende des Tages geht es hier vielleicht nicht um die große Weltpolitik, aber es ist schön.

Was planen sie konkret für den Sport in Mitte?
Das Familiensportfest ist jetzt das nächste größere Event, am 10. September auf der Hanne-Sobek-Anlage. Das bietet Interessent:innen die Möglichkeit viele Vereine und verschiedene Sportangebote auf einmal kennenzulernen. Grundsätzlich wollen wir unseren Mitgliedsvereinen mehr anbieten – Schulungen, Diskussions- und Begegnungsveranstaltungen – und natürlich als starker Partner wahrgenommen werden.

Lesen Sie mehr aus Berlins Bezirken – in unseren Bezirksnewslettern vom Tagesspiegel, die schon auf knapp 280.000 Abos kommen. Darin bündeln wir Kiez-Nachrichten, berichten aus dem Rathaus, nennen Tipps und Termine. Die Bezirksnewsletter gibt es für jeden Bezirk, einmal pro Woche, unter tagesspiegel.de/bezirke. Und hier einige der Themen, die Sie im aktuellen Newsletter für Berlin-Mitte finden:

  • Räumung Habersaathstraße: Beschlagnahmung des Wohnblocks gefordert
  • Anwohner demonstrieren für freies Baden im Plötzensee
  • Tucholskystraße wird teilweise Fahrradstraße
  • Hüterin der Kapelle der Versöhnung berichtet
  • Brandanschlag auf Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle
  • Künstler Augustas Serapinas baut eine litauische Hütte in Mitte auf
  • Tauschmarkt und mehr: Umwelt-Aktionstage im Badstraßen- und Soldiner Kiez
  • Sicher zum Unterricht: Schulzone in der Singerstraße gepkant
  • Rundgang zum Thema Verkehrsberuhigung in Moabit
  • Nature Journaling am Naturkundemuseum
  • Familie inmitten der Großstadt: Frauenfußball beim Moabiter FSV 

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