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Hämmern für den Planeten. In der Floating University Berlin.

© Constanze Flamme

Berliner Projekt „reEDOcate me!“: Kot zu Kohle am Tempelhofer Feld

Weltretten auf Japanisch: Ökologie und Kunst als Performance und „freiwillige Hirnwaschanlage“ in der Floating University Berlin.

Ob eine Öko-Diktatur hierzulande politisch mehrheitsfähig wäre? Eingedenk des Aufschreis, den schon das Wort „Veggie Day“ verursacht, vermutlich nicht. Schade eigentlich. Denn es gibt leuchtende Beispiele in der Geschichte dafür, dass gerade aus radikal verordneter Ressourcensparsamkeit gute Ideen entstehen können. Wie im Japan der Edo-Epoche, die im 17. Jahrhundert begann.

Damals schottete das Inselreich sich komplett ab, ließ keine ausländischen Waren mehr ins Land und führte eine Kreislaufwirtschaft ein. Eins der knappsten Güter war Holz, die Menschen durften nur so viel davon im Wald sammeln, wie sie tragen konnten. Um Scheite zu sparen, wurde meist nur noch einmal pro Woche ein Topf mit Reis aufgesetzt. Und in der Folge die kalte Küche erfunden – bekannt als Sushi. Wer verbindet Maki und Nigiri heute mit Verzicht?

In der Floating University nahe des Tempelhofer Felds – noch immer einer der spannendsten Kunstorte, die Berlin zu bieten hat – lädt jetzt ein mehrstündiger Performance-Parcours dazu ein, von der fernen Vergangenheit für die sehr nahe Zukunft zu lernen. „reEDOcate me! Ein postfossiler Themenpark“ heißt das Projekt, das die Kurator:innen Aljoscha Begrich, Makiko Yamaguchi, Christian Tschirner, Benjamin Foerster-Baldenius und Dido Aquilanti erfunden haben.

Gelabelt wird die Veranstaltung auch als „freiwillige Hirnwaschanlage“. Es geht im Wesentlichen darum, sich auf Alternativangebote zu einem Raubbausystem einzulassen, das mit Vollgas in die Klimakatastrophe steuert. Wo die Ökonomin Ulrike Herrmann die britische Kriegswirtschaft als Vorbild preist (auch eher unpopulär), schlagen diese Macher:innen die Rückbesinnung auf eine Zeit vor, die nicht zuletzt reiche kulturelle Blüten getrieben hat. Während der Edo-Epoche sind unter anderem das Kabuki- und das No-Theater entstanden.

Die mehr oder minder umdenkwilligen Besucher:innen werden in Gruppen eingeteilt, die japanische Namen tragen wie „Mottainai“ – ein wunderschöner Begriff, der das Bedauern über verschwendete Zeit und Güter ausdrückt. Der performative Stationenpfad führt durch die Schrebergartenkolonie neben der Floating University und über das Wildwuchs-Gelände selbst mit seinem großen Regenwasserrückstaubecken (im künstlerischen Beitrag von Nagara Wada zum japanischen Biwa-See umgedeutet, welchen der Sage nach ein Riese beim Schaufeln des Fuji-Berges ausgehoben hat).

Um die 20 nationale und internationale Performer:innen sind an beteiligt, es gibt Workshop-Formate und Werkstätten für japanische Holzsandalen, Tanzeinlagen mit Wassergeistern, einen „Turm der Erlasse“ (von Anna Kpok), in dem über die dringlichst benötigten Verbote beraten wird, japanische Küche, Sauna und Hot Tub – und eine „Unwritten Library“ (Sabine Zahn und Joshua Rutter), in der sich Ninja-Techniken lernen lassen.

Manches ist Mitmach-Nonsens, vieles erhellend – wie beispielsweise die muntere Fäkalien-Lecture von Ella Ziegler („Holy Shit“), die Exkremente unter anderem als wichtiges Handelsgut während der Edo-Zeit vorstellt, „night soil“ genannt, Nachterde (am wertvollsten waren die Ausscheidungen der Geishas).

Die Floating University bietet überhaupt allen Besucher:innen an, ihre Ausscheidungen im Bio-Ofen zu verköhlern („Die organische Kohle aus Kacke wird bei unserer Baumpflanzung in den Boden eingebracht“). Klingt gewöhnungsbedürftig? Tja. Ist aber allemal nicht so absurd wie der Ressourcenverbrauch einer herkömmlichen Wassertoilette.

Währenddessen konfrontiert Mats Staub die Teilnehmenden mit Jugendlichen, die ein paar wirklich gute Fragen stellen („Was hast du dafür getan, unsere Zukunft zu retten?“). Und Christophe Meierhans lädt in seiner Audio-Meditation „Mélété Thanatou“ die Kopfhörer tragenden Besucher:innen dazu ein, sich mit einer Zukunft zu konfrontieren, in der alles verloren ist, was das Leben lebenswert macht. Keine Dystopie – sondern das realistische Szenario für den Fall des ausbleibenden kollektiven Umdenkens. Dafür kann es gar nicht genug Hirnwaschanlagen geben. wieder 16., 21. bis 23. 10.

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