zum Hauptinhalt
Mehr über Motten erfahren die Teilnehmenden am Bahnhof Lichtenberg.

© Izzy Dempsey

Klangkunst zum Thema Lichtverschmutzung: Sprechende Motten am Bahnhof Berlin-Lichtenberg

Ein britischer Künstler möchte Berlin über „Dark-Sky-Initiativen“ aufklären. Schließlich sterben an einer Straßenlaterne pro Nacht über 200 Motten.

Der britische Künstler Jeremy Knowles macht Klangkunst-Event zum Thema Lichtverschmutzung aus der Sicht von Motten. Am Bahnhof Lichtenberg lässt er die Insekten sprechen - Besucher:innen können sie per App hören und sollen so mehr darüber erfahren, wie es ist, dem künstlichen Licht verfallen zu sein.

„Open the Night“ ist ein Klangspaziergang im öffentlichen Raum, bei dem mithilfe der mobilen App „Echoes“ georäumliche Audiotechnologie eingesetzt wird. Wenn die Besucher:innen mit der App auf dem Handy eine bestimmte Zone betreten, geht es los. Einfach die App auf dem heimischen Sofa sitzend hören geht also nicht.

„Man muss schon physisch anwesend sein“, sagt Knowles. Der Ort ist die Fußgängerzone am Bahnhof Lichtenberg, gegenüber der Einbecker Straße, genau hier. Am besten natürlich, man kommt nach Eindruck der Dunkelheit, zwischen 19 und 21 Uhr. Dann hört man Motten-Monologe, die sich an Straßenlaternen richten. Die Tiere haben einiges über Licht zu erzählen. Der Klangspaziergang ist in Deutsch, Englisch und deutscher Gebärdensprache verfügbar.

200
Insekten und mehr sterben in einer Sommernacht in Berlin an einer Straßenlaterne.

Wie viele andere nachtaktive Insekten nutzen Motten das Licht der Sterne und des Mondes als Navigationshilfe, um nicht nur nektarproduzierende Pflanzen zu finden, von denen sie sich ernähren können, sondern auch Partner für die Fortpflanzung. Dazu richten Motten ihre Flügel immer in einem bestimmten Winkel zum Mond aus.

Je mehr künstliches Licht vorhanden ist, desto weniger sind Motten fähig, zu bestäuben und sich fortpflanzen. „Straßenlaternen konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Motten und bringen sie zum Sterben“, so Knowles. „Im Durchschnitt verursacht eine Straßenlaterne in Berlin im Sommer 200 tote Insekten pro Nacht.“ Der Künstler wuchs auf einem Bauernhof im britischen Hertfordshire auf, „weit weg vom Licht der Straßenlaternen“, wie er betont. Noch bis zum 27. Januar kann man am Bahnhof Lichtenberg seine Motten sprechen hören.

Hören, was Motten zu sagen haben: Besucher:innen der Ausstellung am Bahnhof Lichtenberg.

© Izzy Dempsey

Aber was ist die Alternative? Keine Straßenbeleuchtung mehr aufstellen? Sicherlich wird, gerade am Bahnhof Lichtenberg, Licht zur Sicherheit benötigt. Viele Menschen würden sich ohne Straßenbeleuchtung unwohl fühlen. „Eine gute Frage“, sagt Knowles. Seine Kunst biete da keine konkrete Antwort.

Es geht erstmal darum, das Leben von Motten zu verstehen und vielleicht mehr als nur nervende Viecher zu erkennen, die wild um Lichtquellen schwirren. Knowles: „Es ist ein Versuch, den Insekten in der Biosphäre, die nachts unter dem übermäßigen Licht in der Stadt leiden, ein wenig Mitgefühl entgegenzubringen.“

Es ist ein Versuch, den Insekten ein wenig Mitgefühl entgegenzubringen

Der Künstler Jeremy Knowles über sein Projekt.

In der Technologiebranche hat man das Problem erkannt. Man will auch keine Lichtquellen, die von Insekten umschwärmt werden. Es gibt Leuchten, die so konzipiert sind, dass sie Licht geben, ohne Insekten zu stören. „Grundsätzlich sollte man die Lichter nach unten richten, sie nicht so weiß-blau machen und die Helligkeit reduzieren“, erklärt Knowles, der selbst ein Essay zum Thema auf Englisch veröffentlicht hat:

Die „International Dark Sky Association (IDA)“ vergibt Titel wie „Dark Sky Community“

„Violent (De)Lights“ beschäftigt sich mit „Dark-Sky-Initiativen“: Die „International Dark Sky Association (IDA)“ vergibt Titel wie „Dark Sky Community“ und „Dark Sky Reserve“ an Gebiete, die sich in besonderem Maße für die Verringerung der Lichtverschmutzung und die Einführung nachhaltiger Beleuchtungsmethoden einsetzen. Vorreiter ist hier Kanada, das Land hat mit der „Royal Astronomy Society“ ein eigenes Auszeichnungssystem. Aber auch die Unesco hat ein Programm ins Leben gerufen.

Fulda soll „revolutionäre Beleuchtungsplan“ haben

Arizona in den USA und Fulda in Deutschland werden in Knowles Essay genannt, die gut agieren. Knowles war vom „revolutionäre Beleuchtungsplan“ der Städte beeindruckt, wie er berichtet. Allerdings müsse noch mehr getan werden, um die Lichtemissionen in Fulda zu reduzieren und eine wirklich dunkle Nacht zu gewährleisten. Knowles ist nicht der Einzige, der sich für dieses Thema interessiert.

Die Wissenschaftlerin Sabine Frank hat quasi ihr ganzes Berufsleben im Sternenpark Rhön dem Kampf gegen die Lichtverschmutzung gewidmet. „Unzählige andere wie sie arbeiten bundesweit unermüdlich und unentgeltlich in Städten und Dörfern, um die Bevölkerung über die Auswirkungen von ALAN (Artificial Light at Night) zu informieren und für einen dunklen Himmel zu werben“, schreibt Knowles. Sein Kunstprojekt in Lichtenberg wird von der Stadt Berlin unterstützt und finanziert.

Straßenlaternen im Zyklus des Mondes

Ein innovatives Konzept einer Genossenschaft in San Francisco befasst sich direkt mit dem Problem der Straßenlampen. Das Konzept mit dem Namen „Civil Twilight“ sieht vor, die Straßenlaternen auf die Zyklen des Mondes abzustimmen. Das heißt, wenn der Mond am hellsten ist, werden die Straßenlaternen gedimmt. In Nächten, in denen kein Mond zu sehen ist, bieten die Lampen jedoch gerade genug künstliches Licht für Fußgänger:innen. Mit Konzepten dieser Art könnte nicht nur die Motte in Frieden leben, sondern auch erheblich Geld für Beleuchtung gespart werden.

Sie möchten mehr aus Lichtenberg lesen? Robert Klages berichtet in seinem aktuellen Newsletter auch über diese Themen:

  • Antikapitalistisch und ökologisch: zu Besuch im Hausprojekt „Wönnich 103“
  • Gedenkstätte Hohenschönhausen enthüllt Kunstwerk von ehemaligem Tacheles-Mitgründer 
  • Lichtenberg gibt am wenigsten Geld für Schulreinigungen aus
  • Karlshorst soll Malala-Yousafzai-Platz bekommen
  • Boote ins Wasser lassen: Rummelsburger Bucht soll Slipanlage bekommen
  • Bei Neubau wird lieber Strafe gezahlt statt Bäume gepflanzt: Projekt „Hausbaum“ soll helfen
  • „Safe Places“ speziell für Frauen, inter-, trans-, nicht binäre-, und agender* Personen soll kommen 
  • Fußballer der 47er siegen im Lichtenberg-Derby gegen Sparta

Wenn Sie Anregungen, Kritik oder gern auch Lob zu unserer Bezirksberichterstattung loswerden wollen, schreiben Sie unseren Autor:innen, deren E-Mail-Adressen Sie in den Newslettern finden. Auch Glückwünsche zu diversen Anlässen können Sie gerne im Newsletter bei uns hinterlegen. Bitte an robert.klages@tagesspiegel.de.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false