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Verkehr auf der Schönhauser Allee in Berlin-Pankow.

© imago images/Jürgen Ritter

Update

„Erhöhte Sicherheit“ oder „gesetzwidrig“?: In Berlins größtem Bezirk soll bald auf allen Straßen Tempo 30 gelten

Pankows Bezirksvertreter fordern per Beschluss ein flächendeckendes Tempolimit. Scharfe Kritik kommt von CDU, AfD und FDP - Bezirksamt und Senat verweisen auf rechtliche Hürden.

Von Christian Hönicke

Tempo 30 in ganz Pankow - diese Geschwindigkeitsreduzierung soll bald auf allen Straßen in Berlins einwohnerstärkstem Bezirk gelten. Den Antrag hatte die Linkspartei schon vor einiger Zeit in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gestellt - nach intensiver Beratung wurde er nun am Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) angenommen.

"Das Bezirksamt wird aufgefordert, für alle den Stufen II, III und IV des übergeordneten Straßennetzes zugeordneten Straßen in Pankow sowie die sonstigen Straßen auf dem Territorium des Bezirks eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h anzuordnen bzw. anordnen zu lassen", heißt es im Beschluss.

In die höchste Kategorie I, die als einzige von Tempo 30 ausgenommen wäre, fallen laut Bezirksamt nur die Straßenzüge Prenzlauer Allee – Prenzlauer Promenade – A 114 sowie Greifswalder Straße – Berliner Allee – Malchower Straße.

Der Verkehrsausschuss der BVV hatte zuvor bereits mit neun zu zwei Stimmen dafür votiert. Dabei vertrat die überwiegende Ausschussmehrheit nach offizieller Begründung die Auffassung, "dass eine geringere Geschwindigkeit unmittelbar zu einer höheren Verkehrssicherheit führe", insbesondere für den Fuß- und Radverkehr.

Außerdem würden die Belastungen durch Lärm und Abgase reduziert. Tempo 30 solle daher "sukzessive" im Rahmen der Umsetzung des Planungsnetzes 2025 eingeführt werden.

Fuß- und Radverkehr sollen sicherer werden

Widersprochen wurde im Ausschuss dabei den Einwänden, die Pkw-Motoren und auch die Ampelschaltungen seien für Tempo 50 ausgelegt, so fließe der Verkehr besser. Die Ampelschaltungen müssten sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an denen der Autos orientieren, befand der Ausschuss. Die Ampelanlagen und auch die Motoren müssten also den niedrigeren Geschwindigkeiten angepasst werden.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Die Linkspartei zeigte sich erfreut über den Beschluss, aber nicht überrascht. Er stehe inhaltlich "ja im Einklang mit ungefähr allem, was wir so beschlossen haben", etwa mit dem Klimanotstand oder der Förderung des Umweltverbunds, erklärte Jurik Stiller.

Der Sicht der Linken schlossen sich die Grünen und die SPD an. "Wir erhoffen wir uns dadurch eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit", erklärte Marc Lenkeit, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, "und dies gerade bei den schwächeren Teilnehmern im Verkehr."

CDU and AfD stellen sich gegen Tempo 30

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der gesamten Stadt einzuführen "ist seit langem eine grüne Forderung", sagte Cordelia Koch von den Grünen. "Übrigens ist es auch aus Autofahrersicht deutlich angenehmer, keinen ständigen Wechsel zwischen Tempo 30 und Tempo 50 zu haben." Wer in Berlin Auto fahre, "muss doch ständig Angst haben, ein Knöllchen zu kassieren, weil er ein Tempo-30-Schild übersehen hat. Wenn man Tempo 50 übersieht, wird man wütend angehupt."

Scharfe Kritik gab es dagegen von der AfD, die gegen den Antrag stimmte. "Der Antrag ist völlig sinnfrei", sagte der Fraktionsvorsitzende Stephan Wirtensohn. "Er resultiert aus gänzlich ideologischer Verstrahlung der Antragsteller und ist zudem komplett gesetzwidrig." Die Regelgeschwindigkeit innerorts sei bundesweit einheitlich auf 50 festgesetzt. Man wolle den Beschluss "gerichtlich überprüfen lassen".

Auch die in Pankow sonst prinzipiell Pedes und Pedalen zugeneigte CDU stellte sich gegen den Antrag. Die CDU sei "durchaus geneigt, Tempo 30 zu fordern, wo es sinnvoll ist", erklärte der Fraktionsvorsitzende Johannes Kraft. Das sei etwa in Wohnstraßen oder im innerstädtischen Bereich der Fall. "Auf sämtlichen Verbindungsstraßen im Norden des Bezirks aber hätte das so gut wie keine positiven Effekte."

CDU kritisiert Beschluss als "zu pauschal"

Gerade auf großen Straßen würden zudem oft Busse und Straßenbahnen fahren, "die wären dann auch betroffen", kritisierte Kraft. Durch eine Temporeduzierung würde also auch der Umstieg auf den Nahverkehr unattraktiver.

Und Tempo 30 im ganzen Bezirk, "das ist uns viel zu pauschal", sagt Kraft. "Dieser Antrag hat aus meiner Sicht nur ein Ziel: Das Vergrämen der Autos aus der Stadt. Damit spielt man die einzelnen Verkehrsträger gegeneinander aus - das lehnen wir in dieser Pauschalität ab."

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Auch die FDP stimmte gegen Tempo 30. "Generell wollen wir die Wahlfreiheit jeder Bürgerin, jedes Bürgers bei der Auswahl der gewünschten Verkehrsmittel und dabei jeden Verkehrsträger so schnell und sicher wie möglich machen", begründete Co-Fraktionschef Thomas Enge. Man wolle "keine ideologische Vorabfestlegung" und setze stattdessen "auf eine evidenz- und datengetriebene Verkehrswende".

Verkehrsverwaltung verweist auf Bundesrecht

Tatsächlich ist die Pauschal-Drosselung nicht so einfach. Pankows zuständiger Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) erklärte zwar, generell „halte ich ein solches Ansinnen für sinnvoll“. Tempo 30 könne aber „nur im Zusammenhang mit einem berlinweiten Mobilitätskonzept und Einbindung aller zuständigen Akteure inklusive der Senatsverkehrsverwaltung“ umgesetzt werden.

[Dieser Text stammt aus dem Pankow-Newsletter vom Tagesspiegel. Den kompletten Pankow-Newsletter gibt es kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Ein solches Mobilitätskonzept ist mittelfristig kaum realistisch. Erst einmal müssten dazu die Grundlagen erarbeitet werden. Zum Beispiel führt das Bezirksamt Pankow noch nicht einmal eine Statistik darüber, auf wie vielen Straßen im Bezirk denn bereits Tempo 30 gilt. Auf eine Anfrage des Linkspolitikers Stiller im August 2020 hatte Kuhn zudem erklärt, sein Amt verfolge derzeit keine Planungen für weitere Tempo-30-Abschnitte.

Für die meisten „übergeordneten“ Hauptstraßen ist sowieso nicht der Bezirk, sondern die Senatsverkehrsverwaltung zuständig. Hier solle es aber eine „Anregung“ durch das Bezirksamt geben, Tempo 30 einzuführen, fordert die BVV. Aus der Verkehrsverwaltung allerdings ist zu hören, auch sie halte sich hier nicht für den richtigen Ansprechpartner. Tempo 30 auf Hauptstraßen sei Bundesrecht, dazu müsse eine Änderung der StVO her. Das versucht Berlin seit Jahren, scheitert aber am Widerstand der anderen Bundesländer. Es ist also noch ein weiter Weg, bis in ganz Pankow Tempo 30 herrscht.

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