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Bahn frei: Dieser Radfahrer hat Glück und muss sich die Strecke mit niemanden teilen.

© Bao-My Nguyen

Ärger um Handjerystraße geht weiter: Pläne für Fahrradstraße in der Kritik

Der Beschluss zur Umgestaltung liegt seit 2015 auf dem Tisch, die Pläne sind fertig, nun verhindert eine überraschend große Koalition die Umsetzung. Was ist passiert?

Von Bao-My Nguyen

Der Umbau der Handjerystraße zur Fahrradstraße ist noch immer nicht beschlossene Sache. Ursache ist ein Antrag von SPD und FDP im bezirklichen Verkehrsausschuss, in dem sie Nachbesserungen fordern. Unter anderem sollen mehr Parkplätze erhalten bleiben, was auch auf Zustimmung von CDU, Linke und AfD traf. Zuvor hatte Verkehrsstadträtin Saskia Ellenbeck (Grüne) ihre Pläne vorgestellt. Die SPD hat sich damit gegen die Grünen gestellt, mit der eine Zählgemeinschaft im Bezirk bilden.

Dabei sind sich alle Beteiligten im Grundsatz alle einig: Die bereits 2015 von der BVV beschlossene Fahrradstraße soll kommen. Die bisherigen Pläne sehen vor, über 100 Stellplätze für Autos zu streichen, damit in der relativ schmalen Straße Platz für den Fahrradverkehr ist. Damit dieser ungehindert fließen kann, soll er Vorfahrt vor dem Verkehr aus querenden Straßen erhalten. Gleichzeitig wäre die Handjerystraße auch keine Spielstraße wie bisher.

Bürgergruppe Handjerystraße kritisiert bisherige Kommunikation

Für Fußgänger*innen und insbesondere Kinder sind Inseln an den Kreuzungen geplant, um ein sicheres Überqueren zu ermöglichen. Dafür hat das eingesetzte Planungsbüro zunächst Markierungsarbeiten vorgesehen. Umbauten seien aber jederzeit möglich. Das alles sei aber nicht ausgereift, befanden alle Fraktionen bis auf die Grünen – und Vertreter der Bürgergruppe Handjerystraße, die zur Sitzung erschienen waren. Für sie sprach Wolfgang Zeyns: „Es muss einen Raum für Radfahrer geben, ohne alle einzuschränken.“ Er prangerte zudem die mangelnde Kommunikation des Bezirksamts an. Die Anwohner*innen seien unzureichend einbezogen worden. Das Verfahren „als Bürgerinformation oder gar Bürgerbeteiligung darzustellen, ist und bleibt eine Farce“.

Das Projekt sei eine Fehlplanung, auch deshalb, weil Fußgänger*innen zugunsten der Radelnden benachteiligt würden, beschreibt Georg Biekötter von der Bürgergruppe auf Nachfrage. Besonders ältere Menschen und solche mit Behinderungen seien nicht genug berücksichtigt worden. Dasselbe gelte für Kinder und Jugendliche – in der Straße befindet sich die Bergius-Schule. Zudem ärgert der Wegfall der Parkplätze die Anwohner. Dies verschärfe die bereits bestehende Stellplatznot, stellt Biekötter heraus. Es sei unverhältnismäßig, dass wie verlautbart 51, aber am Ende wohl 172 Plätze verschwinden würden.

In der Handjerystraße hängen einige solcher Plakate. Die Bürgergruppe wirbt für eine „Miteinanderstraße“, bei denen alle Verkehrsteilnehmenden zum Zuge kommen.

© Bao-My Nguyen

Auch der CDU-Verordnete Johannes Rudschies (CDU) sieht die Verkehrssicherheit in den Plänen gefährdet. Bislang sei die Straße so eng, dass es deswegen ein „rücksichtsvolles Miteinander zwischen Autofahrern und Fahrradfahrern“ gebe. „Wenn man nun diese Parkplätze streicht und die Straße verbreitert, wird es vermehrt zu riskanten Überholmanövern und Rasereien durch beide Verkehrsteilnehmer kommen“, sagte Rudschies. Sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak, schlug deshalb vor, die Straße zur Einbahnstraße zu deklarieren und nur für Anlieger*innen freizugeben. Damit seien die Radfahrer*innen geschützter und die Parkplätze blieben. „Es geht nicht um: Hier die Autofahrer, da die Fahrradfahrer, sondern darum, die berechtigten Interessen von beiden Seiten wahrzunehmen.“ Viele seien zudem aufs Auto angewiesen.

Der kleinste gemeinsame Nenner der Opposition: Die Parkplätze

Ähnlich sieht es auch die SPD. Deren Verordnete Annette Hertlein führte zudem ein – in manchen Ohren abenteuerliches – Argument ins Feld: Die Fahrradstraße solle ja zum Klimaschutz beitragen. Aber wenn jetzt Autos wegen fehlender Parkplätze ewig um den Block kreisten, dann erhöhe das den Schadstoffausstoß und der Klimaschutzgedanken sei damit verfehlt.

Konkretere Ablehnungsgründe lieferte der Abgeordnete SPD-Abgeordnete Lars Rauchfuß auf Nachfrage: „Es gab eben diese Hakeleien, an denen sich ja eben auch die Anwohnerproteste festgemacht haben. Beispielsweise: Was ist mit den Behindertenparkplätzen? Was ist mit dem geplanten Wegfall der bisherigen Spielstraße, die eingerichtet wurde, um die Schulkinder zu schützen? Unsere Position ist, und das wurde in der Ausschusssitzung mit allen anderen Fraktionen gegen die Grünen beschlossen: Da muss man bitte noch mal nacharbeiten.“ Insbesondere den Menschen mit Behinderung sei nicht zuzumuten, zum Abstellplatz ihres Fahrzeugs erst die Straße überqueren zu müssen – bei den bisherigen Plänen wäre der Parkplatz nämlich auf der anderen Straßenseite.

Rauchfuß betonte, auch seine Partei wolle, dass die Fahrradstraße nach sieben Jahren endlich umgesetzt werde. Dass dabei auch relativ viele Parkplätze entfallen, sei unstrittig. „Es ist nicht schön, aber das gehört zur Verkehrswende dazu“, sagte er. „Wo wir uns mir den Grünen nicht einig geworden sind, sind die einigen wenigen Detailfragen, bei denen Menschen unverhältnismäßig belastet werden.“

Den Punkt der Verkehrsgerechtigkeit griff auch Stefan Meißner in seiner Rede im Ausschuss auf. Der Aktivist von Changing Cities und des Netzwerks Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg (NFTS) leitete daraus aber etwas anderes ab: Damit alle sicher ankommen sollen und damit es keine Verkehrstote mehr gibt, müsse die bisherige autogerechte Gestaltung verworfen werden. „Es gibt Radfahrer, die sich das Radfahren wegen der Gefahren abgewöhnt haben.“

Etwa ein Drittel der bisherigen Parkplätze sollten laut Planung entfallen.

© Bao-My Nguyen

Und die Stadträtin von den Grünen? Sie verteidigte das Projekt. „Man kann Fahrradstraßen nur dann einrichten, wenn man auch für den Radverkehr gewisse Sicherheitsstandards einhält“, sagte Saskia Ellenbeck. Dafür müssten dann auch Parkplätze entfallen. Wenn man dies aber ablehne, dann müsse man sich die Frage stellen, ob man die von der BVV beschlossene Fahrradstraße überhaupt wolle.

Den Vorwurf, dass sie Ansinnen der Bürger*innen übergehe, weist die Stadträtin entschieden zurück. „Wir als Bezirksamt, ich als Stadträtin, haben einen BVV-Beschluss vorliegen, der uns mit der Umsetzung einer Fahrradstraße beauftragt hat. Wir haben die entsprechende Planung gemacht. Zusätzlich ist eine Rechtsverordnung vom Senat beschlossen worden. Wir setzen Rechtsverordnungen als Bezirksamt um und nehmen die Beschlüsse der BVV sehr ernst.“

So geht es nun weiter: Als nächstes muss die BVV über Antrag aus dem Ausschuss befinden, wobei Stadträtin Ellenbeck schon mal mit einer Zustimmung rechnet. Dann werde ihre Amt die Antragspunkte prüfen und die Pläne anpassen, sagte sie. Dass es eine grundsätzliche Zustimmung für eine Fahrradstraße gebe, stimmt sie aber optimistisch. „Ich hoffe, dass wir das Kapitel im ersten Halbjahr 2023 abschließen können – im Sinne der vielen Verbesserungen, die sowohl für Fußgänger*innen als auch für Radfahrende geschaffen werden.“

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