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Ein Gegendemo zum AfD-Protest in Berlin am 8. Oktober.

© Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

AfD-Demo in Berlin : Warum gab es so wenig Gegenprotest?

Vor vier Jahren stellten sich 25.000 Menschen der AfD entgegen, diesmal nur 1400. Bewegungsforscher Simon Teune erklärt, woran das liegt und wieso der Gegenprotest vor einem Dilemma steht.

Herr Teune, im Mai 2018 nahmen etwa 25.000 Menschen an den Protesten gegen die AfD teil. Diesmal waren es nur 1400. Wieso gab es so wenig Gegenprotest? 
Ich würde da nicht zu viel reininterpretieren. Das heißt nicht, dass die Menschen die AfD akzeptiert haben. Das Wetter war deutlich ungemütlicher als vor vier Jahren. Damals war neu, dass das Bündnis „Reclaim Club Culture“ mit seinen Wagen teilgenommen hat. Da war noch eine andere Energie dahinter. Es war schick, dahin zu gehen.

Jetzt geht es darum, Antworten auf die Krise zu finden und Alternativen zur Politik der AfD auf die Beine zu stellen. Linke Bündnisse und Gewerkschaften haben dazu eigene Demonstrationen und Kundgebungen angekündigt. Es ist eher so, dass man sich dafür die Kräfte spart, anstatt sich der AfD entgegenzustellen.

Trotzdem war das Bild blamabel. 10.000 AfD-Anhänger marschierten fast ungestört durch das eigentlich linke Berlin. Wie konnte das passieren?
Die AfD hat einen großen Aufwand betrieben, um Menschen mit Bussen nach Berlin zu bringen, vor allem aus Ostdeutschland. Die S-Bahnen in Berlin waren dagegen vor der Demonstrationen nicht sonderlich voll. Die extreme Rechte dominiert in Ostdeutschland. Die soziale Lage ist angespannter, weil es weniger Vermögen gibt, die Leute haben keinen Puffer. Wenn die Preise steigen, geht es schnell um die Existenz. Das erklärt die großen Proteste von rechts bis in die Kleinstädte hinein.

Das heißt aber nicht, dass der Protest dort unwidersprochen bleiben. In Großstädten wie Leipzig und Dresden gibt es starke zivilgesellschaftliche Netzwerke, die die Selbstinszenierung der extremen Rechten immer wieder stören. Auch in kleineren Städten gibt es Widerspruch, aber der hat es deutlich schwerer.

Simon Teune ist politischer Soziologe mit dem Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung an der FU Berlin. 

© Foto: Chris Grodotzki

Sie sprachen von linken Antworten und Alternativen zur Politik der AfD – welche sind das?
Die AfD behauptet, die Lösung unserer Probleme liegt darin, die Bundesregierung abzusetzen und auf russische Gaslieferungen zu hoffen. Dagegen gibt es eine alternative Deutung. Und zwar eine sozial gerechte Abfederung der Preisentwicklung durch Umverteilung.

Linke Bündnisse und Gewerkschaften fordern, diejenigen zu unterstützen, die es wirklich brauchen und nicht im Gießkannenprinzip auch die Energierechnung der Reichen zu subventionieren, wie es der aktuelle Vorschlag der Gaspreiskommission vorsieht. Mit dieser Alternative als Forderung wird es in den kommenden Wochen Sozialproteste geben.

Bei der Gegendemonstration am Wochenende waren weniger inhaltliche Vorschläge als Parolen wie „Ganz Berlin hasst die AfD“ zu hören.
Das ist eine symbolische Geste, die AfD bekommt den öffentlichen Raum nicht ungestört zur Verfügung gestellt. Es geht darum zu zeigen, dass man die Haltung nicht teilt und sie gefährlich für die Demokratie findet.

Der Gegenprotest ist in einem Dilemma: man will nicht, dass der Protest ungestört bleibt, läuft aber auch Gefahr, dass sie Teilnehmenden durch das Erlebnis der Konfrontation noch stärker in den Sog der AfD geraten. Allerdings waren am Wochenende vermutlich eher Menschen auf der Seite der AfD unterwegs, die sich schon stark mit der Partei identifizieren und weniger solche, die wegen der energiepolitischen Positionen der AfD neu dazu gestoßen sind.

Aus welchen gesellschaftlichen Milieus kommen die Menschen, die in Berlin gegen die AfD demonstrieren?
Das sind vor allem junge Menschen. Das klassische Protestmilieu kommt aus gebildeten Kreisen. Bei der Gegendemo am Wochenende waren vor allem Leute, die politisch aktiv sind. Die nicht nur einmal, sondern mehrmals im Jahr demonstrieren gehen. Auch bei der AfD-Demo waren nicht die sozial Abgehängten – Menschen, die von Armut betroffen sind, gehen in Deutschland kaum auf die Straße – sondern eher Leute aus der Mittelschicht wie Selbstständige oder aus dem Handwerk.

Welche Entwicklung erwarten Sie für den Gegenprotest in den kommenden Wochen?
Meine Erwartung ist, dass sich das so weiterentwickelt und wir nicht bei jedem Protest, der von der extremen Rechten organisiert wird, Gegenproteste sehen werden. Dafür mehr eigene Sozialproteste von Gewerkschaften und linken Bündnissen.

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