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Fahrradkurier: Beruf Radfahren

Acht Stunden auf dem Fahrrad. Dichter Verkehr, hupende Autos. Vom Ku‘damm zum Alex in 20 Minuten im Platzregen. Bei Neuschnee frühmorgens die erste Sendung abholen. Im Frühling durch den Tiergarten. Pause in der Sonne an der Rummelsburger Bucht. So oder so der schönste Job der Welt.

Fahrradkurier ist nicht unbedingt ein geselliger Beruf. Inmitten der Blechkolonne, auf der Straße unterwegs in der Millionenstadt Berlin ist Christian eigentlich ständig umgeben von Menschen. Doch das täuscht. „Die meiste Zeit des Tages ist man alleine“, sagt er. Wenn Christian auf seinem Dienstrad sitzt, dreht sich alles nur um Aufträge und Radfahren. Dabei ist ein Fahrradkurier immer mit einem Ohr am Funk, um vielleicht den nächsten passenden Auftrag gleich mitzunehmen. Und das bei 35 Grad im Sommer und minus zehn Grad im Winter. Das ist der Alltag eines Fahrradkuriers. Und Christian würde ihn gegen keinen anderen Job tauschen. Wenn andere Leute morgens Radio hören, dann lauscht er schon am Funkgerät den Durchsagen des Disponenten. „Ich brauche die 42“, krächzt es dann aus dem Lautsprecher. „27, hört mich 27?“ Jeder Kurier hat eine eigene Zahl, über die ihn der Funker rufen kann. So entwickelt Christian ein erstes Gefühl dafür, was sich auf den Straßen abspielt und wie die Auftragslage ist. Vor vier Jahren kam er aus dem beschaulichen Marburg nach Berlin. Für ein Praktikum in einem Verlag blieb der studierte Kulturwissenschaftler zunächst einige Wochen, aus denen dann bald Monate wurden. „Oft habe ich mir Musik aufs Ohr getan und bin mit dem Fahrrad los, die Stadt zu erkunden“, sagt er über die Anfangszeit. Nach Erkner zu einem Vorstellungsgespräch, nach Steglitz oder zum Wannsee, einfach so. Auf zwei Rädern lernt man die Stadt schnell kennen. Und sicher besser als andere per U-Bahn oder mit dem Auto. Dann kam dieser Tag im Mai, an dem er eigentlich Bewerbungen schreiben wollte. Irgendwann griff er zum Hörer und rief an. „Fahrradkuriere haben mich schon immer fasziniert“, erklärt er später dieses Telefonat, das mehr eine Übersprungshandlung war. Seitdem ist er dabei und bereut hat er es nie. Auch wenn es Tage gibt, an denen das Radfahren nicht nur die reine Freude ist.

Nachmittags, wenn er sich mal mit Kollegen zur Pause auf einen Kaffee trifft, dann erzählen sie. Von seltsamen Kunden, die sich nicht finden lassen oder nicht öffnen beim Klingeln, von verpassten Aufträgen, die einer der Kollegen weggeschnappt hat. Alle Fahrradkuriere, die für das Berliner Kurierunternehmen Messenger fahren, arbeiten auf selbstständiger Basis. Das bringt Freiheiten mit sich, wie zum Beispiel weitgehend freie Wahl der Arbeitszeiten. Aber das erzeugt auch Stress, denn die Fahrer müssen hellwach sein, um an Aufträge zu kommen. Nur wenn es keinen anderen freien Fahrer in einem Bezirk gibt, kann sich ein Kurier eines Auftrags sicher sein. Sonst muss er „drücken“, das heißt sich per Funk für einen Job melden. Der Schnellste bekommt dann den Zuschlag. Dadurch herrscht natürlich Konkurrenz unter den Fahrern. „Es ist immer Roulette mit den Aufträgen“, sagt Christian. Manchmal kommt die lukrative Tour erst, wenn gerade ein weniger interessanter Job angenommen wurde. Das ist Pech. Die Disponenten achten aber darauf, dass es halbwegs ausgewogen zugeht. „In der Regel gleicht sich das immer wieder aus. Wir halten ganz gut zusammen als Fahrradkuriere.“ „An die körperliche Belastung gewöhnt man sich schnell“, erwidert Christian auf die Frage, wie die ersten Wochen professionelles Radfahren so gelaufen sind. „Am Anfang tun die Beine weh, aber das vergeht nach ein, zwei Monaten“, erinnert sich der in der Nähe von Magdeburg geborene 30-Jährige. Auch beim Material lernt man dazu. Als er nach Berlin kam, kaufte er sich ein altes, aber solides Rennrad auf dem Flohmarkt. Mit dem ist er dann auch die ersten Tage als Kurier gefahren. Aber all die Technik ist im Alltag wenig hilfreich. „Heute fahre ich ein Fixie. Die sind wesentlich wartungsärmer. Ich brauche nur ein Kettenblatt hinten und nur eine Bremse. Ganz einfach“, erklärt Christian sein Dienstfahrzeug. Alles andere verschleißt nur und geht kaputt. Auch so hat er drei bis vier Mal im Jahr Pannen und muss natürlich regelmäßig sein Rad warten. „Ein Platten wird direkt geflickt. Das ist Berufsrisiko“, sagt er locker. Ungefähr zehn Minuten dauere das. Manchmal zehrt das aber auch an den Nerven, gibt er im Nachgang zu. „Bei 0 Grad einen Schlauch wechseln macht keinen Spaß.“ Die steigende Anzahl an Polizeikontrollen nervt Christian. Der Radverkehr werde unverhältnismäßig stark kontrolliert. Noch mehr ärgert ihn aber das Gerede über Kampfradler: „Überall werden wir geschnitten, Radstreifen werden zugeparkt und Radfahrer angehupt. Und wenn ich über eine rote Ampel fahre, bin ich der schlimmste Verkehrsrowdy, ein Kampfradler.“ Dabei ist es für ihn im Alltag unmöglich, an jeder Ampel anzuhalten. Was er sich wünschen würde für den Verkehr in Berlin? Fahrradfreundlicher solle die Stadt werden, mit mehr Schutzstreifen. Das Autofahren könnte stärker sanktioniert werden. „Da hätten schließlich alle was davon.“ Irgendwann wird auch Christians Zeit als Fahrradkurier zu Ende gehen, dessen ist er sich durchaus bewusst. „Ich stecke das noch ganz gut weg“, sagt der 30-Jährige, der gerade zum ersten Mal Vater geworden ist. Seine Freundin hat er übrigens auch auf dem Rad kennengelernt. Sie saß auf einer Bank im Görlitzer Park, als er an ihr vorbeifuhr. Daran denken mag er aber noch nicht. „Die Bewegung würde mir schon sehr fehlen. Ich kann mir nicht vorstellen, einfach so in ein Büro zu wechseln.“

24 neue Fahrradtouren finden Sie im neuen „Tagesspiegel Radfahren in Berlin und Brandenburg“.

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