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Dauerhaft im Ausnahmezustand: Der Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr.

© Fernando Gutierrez-Juarez/dpa

Dauerhaft im Ausnahmezustand: Berlins Innensenatorin legt Plan gegen Krise des Rettungsdiensts vor

Unter anderem soll die Feuerwehr mehr Personal bekommen. Eine schnelle Hilfe ist aber nicht in Sicht. Kritik kommt von der Gewerkschaft.

Am Montag rief die Berliner Feuerwehr zum 169. Mal den Ausnahmezustand beim Rettungsdienst aus – und damit nahezu an jedem Tag im ersten Halbjahr 2022 und genauso oft wie im gesamten Vorjahr. Am Mittwoch legte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ihren Rettungsplan vor, wie sie den Rettungsdienst vor dem Kollaps bewahren will.

Am Montag und Dienstag gab es Krisensitzungen, über Tage konnten Spranger und Landesbranddirektor Karsten Homrighausen nichts sagen, nachdem sich am Sonnabend die Lage dramatisch zugespitzt hatte: 16 Stunden Ausnahmezustand, zu wenig Personal, keine freien Rettungswagen, Menschen in Not warteten eine gefühlte Ewigkeit.

Spranger wird vorerst nur an Stellschrauben drehen. Konkrete Angaben, bis wann die Details umgesetzt werden sollen, fehlen weitestgehend. Spranger will mit Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) sprechen, ihr Ziel: Rettungswagen sollen nicht mehr so oft von Krankenhäusern abgewiesen werden und in der ganzen Stadt nach freien Klinikbetten suchen.

Die digitale Vernetzung von Krankenhäusern und Rettungsdiensten müsse „weiter verbessert werden“. Ab 1. Juli stellt der Arbeiter-Samariter-Bund einen zusätzlichen Rettungswagen bereit. Vier weitere von den Hilfsorganisationen sollen es bis Jahresende werden.

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Bei der Feuerwehr soll die Fahrzeugflotte besser gesteuert werden – auch digital. Die Zeiten, in denen sich die Besatzungen als nicht einsatzbereit melden, sollen verkürzt, Einsatz- und Dienstpläne angepasst werden. Bei der Feuerwehr könnte auch Personal aus der Verwaltung mit der nötigen Ausbildung reaktiviert werden. Zudem will Spranger prüfen, ob private Krankentransporte für nicht akute Fälle Fahrten in die Kliniken übernehmen können. Aktuell gebe es einen „Mehrbedarf von bis zu 19 Rettungswagen“.

Feuerwehr soll mehr Personal bekommen

Immerhin: Die Feuerwehr bekommt mehr Personal, 793 zusätzliche Stellen im „feuerwehrtechnischen Dienst“ seit 2018, die Anzahl der Ausbildungsplätze wurde auf 500 verdoppelt. Bei den Notfallsanitätern wird mehr ausgebildet: 2021 waren es 24 Auszubildende, 2022 sind 150 geplant, 2023 schon 180.

Zu Forderungen der Gewerkschaften, dass Rettungsdienstgesetz zu überarbeiten und die Macht des Ärtzlichen Leiters der Feuerwehr zu beschränken, der in der Kritik steht, verhielt sich Spranger uneindeutig. „Wir haben zu Recht hohe Qualitätsanforderungen im Rettungsdienst, um Notfallpatientinnen und -patienten bestmöglich zu versorgen“, sagte sie. Und: „Wir verschließen uns nicht konkreten Vorschlägen, um das Rettungsdienstgesetz anzupassen.“

[Mehr zum Thema auf Tagesspiegel Plus: Nach Horrortag am Sonnabend. Berliner Feuerwehr muss erneut Ausnahmezustand ausrufen - schon 165 Mal in diesem Jahr]

Weiter heißt es in Sprangers Erklärung: „Die Berliner Feuerwehr und die Kassenärztliche Vereinigung stimmen eine gemeinsame Kampagne ab.“ Die Bürger sollen aufgeklärt werden, wann sie den Notruf 112 oder die Nummer des Bereitschaftsdiensts der Kassenärzte 116117 wählen sollen. „Ich appelliere an alle Menschen in Berlin, mit der Notrufnummer 112 gewissenhaft umzugehen. Diese ist im Wesentlichen für die Fälle mit einer unmittelbaren Lebensgefahr vorbehalten“, sagte Spranger.

Gewerkschaft kritisiert Pläne der Innensenatorin

Lars Wieg, Chef der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) in Berlin reagierte entsetzt. „Mir fehlen die Worte“, sagte er. „Wenn das die Antwort auf die katastrophale Situation im Rettungsdienst ist, dann wird das ein spannender Sommer. Das ist keine angemessene Reaktion auf die derzeitigen Probleme.“ Die fünf zusätzlichen Rettungswagen der Hilfsorganisationen seien eine Mogelpackung und schon länger geplant gewesen.

Von den fünf Wagen stünden rechnerisch nur eineinhalb rund um die Uhr zur Verfügung. Auch bei den Hilfsorganisationen seien wegen Personalmangel die Rettungswagen „ständig nicht besetzt“.

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Schwierig sei es auch, Mitarbeiter aus der Verwaltung zu reaktivieren. Sie müssten „erst auf den aktuellen Wissensstand gebracht werden, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden“, sagte Wieg. „Das ist kurzfristig nicht umsetzbar.“

Auch die bekannte Stellenoffensive sei Augenwischerei, zahlreiche Stellen seien nicht besetzt, die Ausbildung nehme Zeit in Anspruch und führe nicht zur schnellen Entlastung der Mitarbeiter. Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sagte: Sprangers Vorschläge „ergeben Sinn, werden aber wenig bis gar nichts an der Situation ändern“.

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