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Fleischerei Kumpel & Keule in Kreuzberger Markthalle Neun: Metzger Jörg Förstera (mit Base-Cap) demonstriert sein Handwerk

© Kumpel & Keule

Berlins Fleischerhandwerk in der Krise: Diese Meisterbetriebe retten die Wurstkultur

Zu wenige Lehrlinge: Zum Jahresende muss Berlins Fleischerfachschule schließen. Stirbt dieses Handwerk aus? Es gibt noch Hoffnung.

23 Jahre lang wurden an der Fleischerfachschule in Moabit Meisterinnen und Meister ausgebildet. Ende Dezember ist Schluss: Die Ausbildungsstätte auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße wird den bereits seit einem Jahr eingeschränkten Betrieb endgültig einstellen. Es hätten sich einfach nicht mehr genug Lehrlinge angemeldet, heißt es bei der Fleischer-Innung. Speziell in der Hauptstadt gibt es einen massiven Fachkräftemangel.

Dieser Tage verbreitete die britische BBC einen ausführlichen Bericht darüber in aller Welt. Germanys Capital ohne German Wurst? Das klingt wieder nach einem Indiz dafür, dass nichts mehr heilig, nichts mehr gewiss ist in diese Zeiten.

Das ist natürlich übertrieben – einerseits. Denn den deutschen Fleischgroßbetrieben geht es bestens. Auf der anderen Seite belegen Zahlen auch einen Trendwechsel: Im Jahr 2017 gab es nach Angaben des Deutschen Fleischer-Verbandes (DFV) noch insgesamt 108 Fleischereibetriebe in der Hauptstadt, dazu 68 Filialen: Sehr wenig für eine Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern. Jede Verkaufsstelle musste rein rechnerisch 21 000 Einwohner versorgen. So dünn wie in der Hauptstadt ist die Versorgungsdichte in keinem anderen Bundesland. Zum Vergleich: In Bayern stehen einer Verkaufsstelle 2500 Einwohner gegenüber.

Inhabergeführte Metzgereien schließen häufig, wenn der Meister keinen Nachfolger findet. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Betriebe bundesweit fast halbiert, von 21 160 im Jahr 1998 auf gut 12 300 im vergangenen Jahr. Seit Dezember 2018 bezeichnet die Arbeitsagentur den Beruf des Fleischers offiziell als „Engpassberuf“, der Fachkräftemangel ist damit offiziell.

Dabei gibt es durchaus eine anhaltend hohe Nachfrage nach Fleischprodukten. Laut DFV verzehrte die deutsche Bevölkerung 2017 insgesamt 4,95 Millionen Tonnen. Das sind durchschnittlich 59,7 Kilogramm pro Kopf. Kritische Zahlen und Fakten zum Fleischkonsum nennt unter anderem der "Fleisch-Atlas" der Heinrich-Böll-Stiftung.

Unzeitgemäßer Beruf im digitalen Zeitalter?

Doch warum wollen so wenig junge Leute diesen Beruf ergreifen? „Ein Fleischer muss früh aufstehen und mit den eigenen Händen arbeiten“, sagt Marcus Benser. „Das ist unzeitgemäß in unserer digitalisierten und automatisierten Welt.“ Während er spricht, trennt der Fleischermeister mit einem Messer Fett vom Schwein. Benser stammt aus Weimar in Thüringen und ist Metzger in siebter Generation. Seit 1996 führt er seinen eigenen Handwerksbetrieb im Neuköllner Ortsteil Rixdorf: die Blutwurstmanufaktur.

Benser hatte eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert – auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters. Der Sohn sollte es einmal einfacher haben. Doch der junge Mann empfand die Büroarbeit als unbefriedigend. Er habe sich gefühlt wie „ein kleines Rädchen im großen Getriebe“, sagt er heute. Deshalb tauschte er den feinen Anzug gegen die stabile Gummischürze und ging im väterlichen Betrieb noch einmal in die Lehre.

Fleischermeister Marcus Benser (rechts) mit Lehrling Niels Hasselberg und einer Rinderkeule während der Trockenreifung. Benser ist Inhaber der "Blutwurstmanufaktur" im Neuköllner Ortsteil Rixdorf.
Fleischermeister Marcus Benser (rechts) mit Lehrling Niels Hasselberg und einer Rinderkeule während der Trockenreifung. Benser ist Inhaber der "Blutwurstmanufaktur" im Neuköllner Ortsteil Rixdorf.

© Christoph M. Kluge

Ein moderner Fleischer müsse sich spezialisieren und Produkte anbieten, die aus der Masse herausstechen, erklärt Benser. So wie seine Blutwurst, die er nach altem Rezept herstellt. Diese Wurst genießt internationale Bekanntheit. Seit 2004 ist Benser offiziell Mitglied in der französischen „Bruderschaft der Ritter der Blutwurst“ mit Sitz in der Normandie – eine besondere Ehre.

Der Rixdorfer „Blutwurstritter“ vermarktet seine Produkte auch über einen Online-Shop. 4000 Pakete pro Jahr. Ein befreundeter Marketingexperte habe bei der Entwicklung der Marke geholfen. „Wir haben die Blutwurst zu neuen Höhen geführt“, sagt Benser stolz. Er hofft, dass sein Sohn den Betrieb eines Tages übernehmen wird. Lesen Sie hier ein Tagesspiegel-Porträt aus dem Jahr 2009.

In der Blutwurstmanufaktur arbeiten zehn Angestellte, darunter der Lehrling Niels Hasselberg. Er wohnt in der Nähe und kam zuerst nur wegen eines Schülerpraktikums. Die Arbeit habe ihm einfach Spaß gemacht, deshalb sei er geblieben, sagt er. Geselle Olaf Kretschmer hat vor einigen Jahren seine Ausbildung bei Benser abgeschlossen. Danach habe er in einem Schlachthof gearbeitet. Doch die eintönige Fabrikarbeit habe ihm nicht gefallen, deshalb sei er zurückgekommen in den kleinen Betrieb mit familiärem Betriebsklima. Der Meister hat ihn sofort wieder eingestellt.

Qualität behauptet sich gegen Billigfleisch vom Discounter

„Unser Handwerk erlebt zur Zeit eine Renaissance“, behauptet Jens-Uwe Bünger, der Chef der Fleischerei Bünger am S-Bahnhof Halensee (Charlottenburg-Wilmersdorf). Viele Konsumenten hätten heute keine Lust mehr auf industriell hergestelltes Fleisch von der Supermarkttheke und seien wieder bereit, mehr Geld auszugeben. Doch diese Zielgruppe sei anspruchsvoller als früher. „Die Kunden möchten wissen, woher das Fleisch kommt". Wer die Fragen nicht beantworten könne, habe heute keine Chance mehr am Markt, glaubt er. Wer auf gehobene Qualität setze, könne sich gegen die Konkurrenz aus dem Discounter behaupten.

Büngers Spezialität ist die Bratwurst, die er in 20 verschiedenen Variationen anbietet. Neben sehr traditionellen Sorten wie der Fränkischen Bratwurst stellt er auch ausgefallenere Varianten wie Thai-Chili-Lemon, Trüffel oder Hanf-Bergamotte her. Büngers Kreationen räumten bereits mehrfach Preise ab bei der Berliner Bratwurstmeisterschaft, die die Fleischer-Innung alljährlich in der Domäne Dahlem veranstaltet.

Fleischermeister Jens-Uwe Bünger und eine Mitarbeiterin aus der Fleischerei Bünger am S-Bahnhof Halensee.
Fleischermeister Jens-Uwe Bünger und eine Mitarbeiterin aus der Fleischerei Bünger am S-Bahnhof Halensee.

© Kai-Uwe Heinrich

Auch der Meister der Edelfleischerei Bünger entstammt einer Metzgerfamilie. Seine Eltern betrieben bis zu ihrem Ruhestand eine Fleischerei im Wedding. Anfang der 1990er Jahre, nach seinem Abitur, ging der Sohn in die Lehre, ließ sich in Bayern ausbilden. Einige Jahre später übernahm er den Betrieb eines älteren Kollegen. Nach dem Meisterbrief drückte Bünger noch einmal die Schulbank, deshalb darf er sich heute „Fleischsommelier“ nennen. Die Geschäfte laufen gut, die relativ zahlungskräftige Nachbarschaft schätzt die feinen Produkte. Wenn da nur nicht die Nachwuchssorgen wären. Momentan arbeiten 20 Personen im Betrieb. „Es könnten auch zwei oder drei mehr sein“, sagt Bünger.

Haben alle Fleischer dieses Problem? „Wir haben mehr Interessenten, als wir annehmen können“, behauptet Hendrik Haase. 2015 gründete der Food-Aktivist Haase gemeinsam mit dem gelernten Metzger Jörg Förstera die gläserne Fleischerei Kumpel & Keule in der Kreuzberger Markthalle Neun. Wie in einer Showküche können die Besucher dort bei der Verarbeitung von Fleisch und Wurst zuschauen.

Dem Fleischerhandwerk fehle es an Innovationskraft, kritisiert Haase. Schon die Ausbildung sei nicht mehr zeitgemäß. Die Azubis würden lernen, Wurstplatten zu legen, aber nicht, wie man mit den Kunden kommuniziert. Der Umgangston in vielen Betrieben sei respektlos, die Behandlung ebenso schlecht wie die Bezahlung. Das Macho-Gehabe vieler älterer Fleischer wirke zudem abschreckend auf Frauen, die sich für den Beruf interessieren, so Haase.

Geschichtsstudent landet als Azubi bei Kumpel & Keule

Bei Kumpel & Keule hingegen gehe es um „eine andere Art, mit Lebensmitteln umzugehen“ – nachhaltiger, ökologischer und bewusster. Nach Möglichkeit sollen alle Teile des Tieres verarbeitet werden. Anfangs seien die Querköpfe von den etablierten Fleischern verlacht worden. „Wir waren hier eher die Punks“, sagt der Unternehmer lachend. Doch dann gab der Erfolg den selbsternannten „Fleischrebellen“ recht. Zuerst wurden sie in den sozialen Netzwerken gefeiert, dann berichteten klassische Medien.

Gläserne Metzgerei Kumpel & Keule in der Kreuzberger Markthalle Neun: Einer der Gründer ist Jörg Förstera, einst jüngster Fleischermeister Deutschlands, einer der besten seines Jahrgangs, später Ausbilder und Dozent an der Fleischerinnung Berlin, und Food-Aktivist Hendrik Haase. Dieses Foto stammt von 2016.
Gläserne Metzgerei Kumpel & Keule in der Kreuzberger Markthalle Neun: Einer der Gründer ist Jörg Förstera, einst jüngster Fleischermeister Deutschlands, einer der besten seines Jahrgangs, später Ausbilder und Dozent an der Fleischerinnung Berlin, und Food-Aktivist Hendrik Haase. Dieses Foto stammt von 2016.

© Mike Wolff

Kumpel & Keule will Vorreiter sein: Unternehmen mit einem angenehmen Arbeitsklima für 30 Beschäftigte und einem hohen Anspruch an die Qualität. Das Fleisch kommt von Züchtern und Bauern, die auf Nachhaltigkeit setzen. Das kommt sehr gut an im Szenekiez. Im Dezember 2017 kam das Restaurant Speisewirtschaft in der Skalitzer Straße hinzu. Neben Burger und Steaks gibt es dort saisonale Spezialitäten. Aktueller Sommer-Hit: Weißwurst vom Iberico-Schwein mit gegrillter Wassermelone. Dazu passt ein Craft-Beer vom Fass.

Jakob Paulus hat Kumpel & Keule im Internet kennengelernt. Damals studierte er Geschichte und Philosophie. Das Studium brach er ab, jetzt ist der 22-jährige Azubi im dritten Lehrjahr in der ungewöhnlichen Fleischerei. In einem herkömmlichen Betrieb hätte er nicht angefangen. In seiner Ausbildung sieht er eine solide Grundlage für seine Karriere. Eventuell möchte er nach seinem Abschluss wieder studieren, diesmal Architektur.

Die Fleischer-Ausbildung ist eine dreijährige, duale Berufsausbildung. Die Lehrlinge verbringen in der Regel vier Wochentage im Ausbildungsbetrieb und einen in der Berufsschule. Der praktische Teil kann in einem Handwerks- oder einem Industriebetrieb geleistet werden. Als Voraussetzung ist kein bestimmter Schulabschluss vorgeschrieben. Eine zweijährige Weiterbildung zum Lebensmitteltechniker eröffnet die Chance auf eine Position in der mittleren Managementebene in der Industrie. Um ihre Prüfungen abzulegen reisen Berlins Fleischer künftig nach Leipzig.

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