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Die schummrige Bar war der Ort für die ganz späten Vögel.

© Promo

Die „Schoppenstube“: Berlins älteste Schwulenbar muss schließen

Die „Schoppenstube“ ist nicht nur Berlins älteste Schwulenbar, sondern zugleich ein Ost-Berliner Mythos. Nach nunmehr 50 Jahren muss „die Schoppe“ im kommenden Sommer schließen. Der Vermieter hat der Bar gekündigt. Ein letzter Besuch im ehemaligen Zentrum der DDR-Schwulenszene.

Wer hier nun gleich nach der „Schoppenstube“ fragt, der gibt sich als Ignorant zu erkennen. Denn es muss natürlich „die Schoppe“ heißen, mit jenem insiderischen Unterton, der einer Institution gebührt. Wer sie allerdings jetzt noch nicht kennt, der wird sie auch kaum mehr kennenlernen, denn die Schoppenstube, das Zentrum der Schwulenszene in der DDR, wird im kommenden Sommer geschlossen – die Kündigung durch den Vermieter setzt dem 50 Jahre alten Mikrokosmos ein Ende.

Als Lokal hat die kleine Kneipe alle Systeme überlebt. Sie entstand als Weinstube mit Fasskeller 1923, wurde von der HO (Handelsorganisation) 1963 neu eröffnet. Schon einige Jahre später trafen sich dort nur noch Homosexuelle, denn in dieser Zeit verlagerte sich die Ost-Berliner Szene von der Friedrichstraße, die zum DDR-Schaufenster umgewandelt wurde, nach Prenzlauer Berg. Heute gilt sie als älteste Schwulenbar der Stadt. Wolfhard Zehe, der heutige Betreiber, ist seit 1980 dabei.

Etwa zu dieser Zeit entwickelte der Ost-Berliner Regisseur Heiner Carow auch die Idee für einen Film, der viel später, im November 1989, herauskam und den Blick der internationalen Cineasten auf eben diese Szene lenkte: „Coming Out“. In der Schoppenstube an der Schönhauser Allee spielten einige Szenen des preisgekrönten Films, Wolfhard Zehe war als Barmann zu sehen.

Der Paragraf 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, fiel in der Bundesrepublik erst 1994, in der DDR schon 1968. Die Ost-Berliner Schwulenszene richtete sich in ihrer Nische ein, gab sich diskret, gesittet. Man sprach vom „Bermuda-Dreieck“, meinte den Kern von Prenzlauer Berg, in dem es mehrere solcher Kneipen gab, das Café Senefelder, die Alt-Berliner Bierstuben, den „Burgfrieden“ – nichts Gestyltes, nichts modisch Cooles, kaum Party, kein Rausch, keine Exaltationen. Schon Berührungen waren verpönt, lediglich am Heiligabend durfte, dezent, geküsst werden.

Die Schoppe war das Zentrum, der Ort für die ganz späten Vögel. Ursprünglich schloss sie um vier, später um fünf, weil erst dann Konnopke gegenüber die ersten Currywürste verkaufte und einen Grund fürs Gehen lieferte. Vorn wachte ein Türsteher, aber die Stammgäste kamen von der Rückseite, klopften bei Zehe am Tresenfenster und fanden so immer irgendwie hinein.

Zehe stieg in diesen vielen Jahren vom Zapfer zum Chef auf, ist inzwischen 68 und trägt das Ende mit Fassung. „Ewig kann man auch nicht Wirt sein“, sagt er, möglicherweise habe die Kündigung ihm einfach den Entschluss abgenommen. „Alle 13,8 Sekunden einen Drink“, wie er mal ausgerechnet hat, das wurde im Lauf der Jahre immer schwerer. Die Schoppenstube, ein schummriger Raum mit Möbeln aus den Achtzigern, ist längst nicht mehr die heiße, permanent überfüllte Schwulenbar, die sie einmal war – eher eine gemütliche Kneipe, Rahmen für sentimentale Erinnerungen an alte Zeiten.

Zehe hat in den Neunzigern versucht, sich der westlichen Schwulenkultur mit ihren Pornokinos und Saunen anzupassen, hat den Billardraum in einen Darkroom umgebaut, doch da wollte niemand hinein, die Schoppe war zum Quatschen geschaffen und nicht für schnelle Sexkontakte, das änderte sich nicht. Aber auch die Welt der Selbsthilfegruppen und sozialen Projekte blieb außen vor. Dennoch wandelte sich die Gästeschar, seit die Schoppe in Reiseführern als Kultort erwähnt wurde, das Familiäre blieb auf der Strecke, viele alte Gäste igelten sich zu Hause in ihrer neu erworbenen Bürgerlichkeit ein.

Doch Zehe stellte sich nicht gegen den Wandel. Er kämpfte um seine Gäste und schloss sich dem geografisch westlastigen „Regenbogenfonds schwuler Wirte“ an – naheliegend angesichts der Tatsache, dass die U-Bahn vor der Tür der Schoppe direkt zum Nollendorfplatz führt, wo noch eine halbwegs geschlossene Szene existiert. War Schlagerparty in der Schönhauser, rutschten viele von dort mal rüber, jubelten ekstatisch, wenn in der Kellerbar der stadtverbindende Hit „Über den Dächern von Berlin“ von Ute Freudenberg und Christian Lais lief. Vieles, meint Zehe, sei anders geworden: „Die Zeit vor der Wende war bei den Schwulen geprägt durch mehr Zusammenhalt. Heute sind sie verkrampfter, nicht so offen, jeder will schöner sein als der andere.“

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