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Anastasia Samoylova, „Pink Sidewalk“ aus der Serie FloodZone.

© ©️ Anastasia Samoylova

European Month of Photography: Lasst euch berühren

Mit dem größten Festival der Fotokunst in Deutschland zeigt sich Berlin ab März vier Wochen lang erneut als Zentrum der Fotografie.

Pinke Flamingos, rosa Bürgersteige und bonbonfarbene Häuser: Das ist Florida, der Ort, an dem die Sonne heller scheint. Ein Paradies? In Alltagsfotografien der seit 2016 in Miami lebender Künstlerin Anastasia  Samoylova schimmert hinter der zuckersüßen Fassade des Sunshine State eine bittere Wahrheit hervor. Die vom Sturm umgekippten Palmen im „Pink Sidewalk“, die sich an strahlend weißen Hauswänden abstützen, lassen Verstörendes erahnen: Kaum eine Stadt in den USA ist so massiv durch den Klimawandel bedroht wie Miami.

„Floridas“ nennt die in Moskau geborene Samoylova ihre Ausstellung, die bis Mai bei C/O Berlin läuft. Die subtilen Arbeiten zeigen eine Welt voller Widersprüche: luxuriöse Immobilien, menschenleere Straßen, verlassene Landstriche. Kalt lassen einen die ins warme Licht getauchten Bilder definitiv nicht.

Das Leitmotiv lautet „Touch“

Damit fügt sich die Ausstellung geschmeidig in das Programm des European Month of Photography (Emop) in Berlin, der ab März mit dem Leitmotiv „Touch“ seine zehnte Ausgabe feiert. Vier Wochen lang kann man sich überall in der Stadt von spannender Fotokunst berühren lassen, an Paneldiskussionen und Talks teilnehmen oder sich einfach durch die unzähligen Galerien in der Hauptstadt und in Potsdam treiben lassen. Gerade das macht traditionell den besonderen Reiz des Emop aus.

Blumenkunst. Luise Marchand lässt in ihren Fotografien organische und künstliche Elemente aufeinanderstoßen. Hier eine Arbeit aus der Serie Muttererde (2022).

© © Luise Marchand, Courtesy Laura Mars Gallery

Mit rund 100 Ausstellungen der Festival-Partner, etwa die Helmut Newton Foundation, C/O Berlin, Deutsches Historisches Museum, Akademie der Künste und über 500 teilnehmenden Fotograf:innen gibt es dabei so gut wie alle Genres der Bilderwelt zu erkunden. Doch wo fängt man da überhaupt an?

Am besten in der Kunstgalerie Amtsalon in der Kantstraße 79. „Man braucht für so ein großes Festival eine zentrale Anlaufstelle“, sagt Maren Lübbke-Tidow, die künstlerische Leiterin des Emop. Pünktlich zum Jubiläum hat man hier den perfekten Ort gefunden, um erstmalig auch eine eigene, von den Kulturprojekten produzierte Schau „Touch. Politiken der Berührung“ beizusteuern – ein Highlight. Auf vier Etagen werden 40 in Berlin lebende und international anerkannte Künstler:innen vereint und ihre Arbeiten in Beziehung gebracht.

Vielleicht kommen wir endlich zu einem anderem Verhältnis der Rezeption der Kunst in der DDR.

Maren Lübbke-Tidow, künstlerische Leiterin des Emop

Stark vertreten beim größten Fotofestival Deutschlands sind diesmal auch Künstler:innen mit einer DDR-Biografie: Ulrich Wüst in der Loock Galerie, Gabriele Stötzer in der kommunalen Galerie Pankow oder Manfred Paul im Haus am Kleistpark. „Es gibt wirklich viel zu entdecken, was vielleicht auch ein Zeichen dafür ist, dass wir endlich zu einem anderem Verhältnis der Rezeption der Kunst in der DDR kommen“, sagt Lübbke-Tidow.

Gundula Schulze Eldowy durchstreifte von 1977 bis 1990 das alte Ostberlin. Hier ein Bild aus der Serie Berlin in einer Hundenacht (1987), Silbergelatineabzug auf Barytpapier.

© © Gundula Schulze Eldowy

Blick der jungen Generation

Verbinden, vernetzen, verstetigen: Damit wären wir wieder beim Leitmotiv Touch. „Wir haben es recht früh festgelegt. Dann brach der Ukrainekrieg aus“, erzählt Lübbke-Tidow. Natürlich stand sofort die Frage im Raum: Braucht es ein neues Konzept? Muss sich ein Festival nicht auch zur Aufgabe machen, auf solche aktuellen Entwicklungen zu reagieren? Als Antwort darauf entstand die Sonderschau „Drängende Gegenwart“, die den Blick der jungen Generation reflektiert.

Die Arbeit von Giulia Degasperi aus der Serie „The Dark Moutains“ (2020) ist im Rahmen der Ausstellung „Drängende Gegenwart“ von der jungen Generation zu sehen.

© © Giulia Degasperi (HTW Berlin)

Sieben Ausbildungsorte kamen dafür zusammen, darunter der Lette Verein Berlin, die Ostkreuzschule für Fotografie und die Fachhochschule Potsdam. Dass sich ausgerechnet Schüler:innen und Studierende mit den aktuellen politischen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen auseinandersetzen, liegt auf der Hand, schließlich sind sie davon am meisten betroffen.

Hashem Shakeri gibt tiefe Einblicke jenseits von Stereotypen in den Alltag der iranischen Gesellschaft. Porträt von Dorna und Sevda, beide 12 Jahre alt, in der neugebaute Stadt Parand, aus der Serie „Cast Out Of Heaven“ (2016), zu sehen in der Galerie Anahita Contemporary.

© © Hashem Shakeri

Touren durch Fotoarchive

Und was lehrt uns die Vergangenheit? Überraschende Einblicke liefern garantiert Archivtouren. „In Berlin gibt es mehr als 70 Fotoarchive“, sagt Lübbke-Tidow. Während des Emop kann man dort etwa die Erfahrung der zwei Weltkriege in der Stadt nachvollziehen und sich die Schrecken des Krieges mit seinen unendlichen Verwüstungen vor Augen führen.

Umgekehrt schlagen Archive auch eine Brücke in die Zukunft. „Die Fotografie ist zum wichtigsten Bildmedium der Gegenwart geworden“, sagt Lübbke-Tidow, „aber irgendwann wird auch Instagram Geschichte sein.“ Da stellt sich die Frage, wie wir Archive künftig bestücken wollen und was eigentlich erhaltenswert ist.

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