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Ist das Abfall-Kunst oder soll das weg? Ein verwaistes Sofa in Prenzlauer Berg.

© imago images/Seeliger

Wie kann Berlin weniger Abfall produzieren?: Gebrauchtes in Neues transformieren

Auf Einladung der Wohnungsgesellschaft Gewobag haben Künstler und Experten über die Ursachen des massenhaften Mülls in der Stadt diskutiert. Ein paar Lösungsvorschläge gab es auch.

Müll bringt negative Emotionen mit sich, ist „nicht besonders sexy“, sagt Snezana Michaelis, Vorständin des städtischen Wohnungsunternehmens Gewobag. Aber man kann Müll auch aus seiner Schmuddelecke holen, indem man eher von der „Ästhetik des Gebrauchten“ spricht wie Upcycling-Künstler Jan Micha Gamer. Oder von „wichtigen Dingen, die abgewertet werden“, wie Modedesignerin Paula Kunkel.

Die Gewobag hat ein akutes Sperrmüllproblem in einigen Kiezen, wollte aber nicht nur an der Oberfläche des Phänomens kratzen, sondern tiefer hineinleuchten, „psychologische, kulturelle und soziologische Aspekte“ diskutieren. Dazu lud das Unternehmen Akteure, Experten, zuständige Senatsvertreter und Bezirkspolitiker ins Café Blumental in Kreuzberg ein, einem Bezirk, der sich schon lange mit der Vermüllung des städtischen Raums beschäftigen muss.

Bezirkspolitiker und Senatsvertreter hatten offenbar keine Lust auf das unsexy Thema und blieben der Diskussion fern.

Snezana Michaelis erzählte erstmal vom Kiez Heerstraße-Nord in Spandau. Dort kommt die Stadtreinigung BSR dreimal die Woche mit großen Fahrzeugen und transportiert den zuvor in Fluren und Grünanlagen eingesammelten Sperrmüll ab.

Wichtig sind Aktionen wie Clean-ups, die das Gemeinschaftsgefühl stärken.

Elisabeth Süßbauer von der Technischen Universität

15.000 Kubikmeter an alten Möbeln, Schränken und Matratzen kamen da im vergangenen Jahr zusammen, 4,5 Kubikmeter auf jeden Haushalt, den Elektroschrott nicht eingerechnet. Die Gewobag fragte sich, ob es vielleicht an der sozialen Zusammensetzung der Bewohner liegt. Als Vergleichsmaßstab wählte man den Kiez am Mehringplatz in Kreuzberg. Dort kamen pro Haushalt aber nur 1,2 Kubikmeter zusammen. Merke: Soziale Ursachen reichen nicht zur Erklärung.

Können Schwaben Vorbilder sein?

Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt, der die Diskussion leitete, kennt das Sperrmüll-Problem aus seinem eigenen Kiez in Mitte, sozial eher unauffällig. Er zitierte die Idee von Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne), Mülleimer einfach abzuschrauben, machte jedoch wenig Hoffnung, dass sowas funktionieren würde.

Studien hätten ergeben, dass eher mehr Mülleimer helfen würden, erklärte Elisabeth Süßbauer von der Technischen Universität, die zur Frage des Abfall-Verhaltens forscht.

Gewobag-Vorständin Snezana Michaelis mit einem Mehrweg-Kaffeebecher.
Gewobag-Vorständin Snezana Michaelis mit einem Mehrweg-Kaffeebecher.

© Thomas Loy

Süßbauer lobte die BSR, die einen tollen Job mache, aber auch alte Traditionen wie die schwäbische Kehrwoche und den sozialen Kontrolldruck im schwäbischen Ländle allgemein. Wichtig seien „Aktionen, die das Gemeinschaftsgefühl stärken“ wie Clean-ups, also Müllsammel-Events, oder Baumscheiben-Patenschaften in vielen Kiezen.

BSR-Managerin Birgit Nimke-Sliwinski freut sich, dass die BSR inzwischen neben Sperrmüll auch illegal abgelagerten Bauschutt mitnehmen darf. Das musste sie früher einem gewerblichen Entsorger überlassen. Man versuche, vor allem Kinder möglichst spielerisch an das Thema Müllvermeidung und -entsorgung heranzuführen, wünschte sich dabei allerdings noch mehr Unterstützung besonders von Lehrern. Die würden das Thema häufig ignorieren.

Abfälle können zu Textilien werden

Upcycling-Künstler Jan Micha Gamer sieht eher Denkblockaden und Handlungsdefizite bei Erwachsenen. Kinder würden ständig mit dem Thema konfrontiert und könnten das schon nicht mehr hören. Gamer transformiert gebrauchte Materialien zu neuen Objekten. „Müll ist Material am falschen Ort“, lautet sein Credo. Für die Massen an ausrangierten Teppichböden, die jedes Jahr verbrannt werden statt sie zu recyceln, hat er auch keine Lösung.

Was Dinge sind, findet in unseren Köpfen statt. Je unattraktiver es für Menschen ist, desto attraktiver ist es für mich.

Paula Kunkel, Modedesignerin

Modedesignerin Paula Kunkel hielt ein flammendes Plädoyer für Mode aus angeblich wertlosen Dingen wie alten Schlüsseln, Gardinenringen oder Stoffresten. Neu gewebte Stoffe seien eigentlich völlig überflüssig. „Wir können mit den Ressourcen 20 bis 30 Jahre leben.“

Designerin Paula Kunkel findet, dass alles schon da ist, was man für Mode braucht.
Designerin Paula Kunkel findet, dass alles schon da ist, was man für Mode braucht.

© BRITTA LEUERMANN

Kunkel sucht sich genau wie Gamer altes Zeug zusammen, um daraus Recycling-Mode zu kreieren. Auch sie sieht Müll vor allem als psychologisches Problem. „Was Dinge sind, findet in unseren Köpfen statt. Je unattraktiver es für Menschen ist, desto attraktiver ist es für mich.“

Mit Textilien, in der Regel neuwertigen, hat auch Thomas Voigt vom Versandhändler Otto zu tun. Von „fast fashion“, also Billigklamotten, die schnell in der Tonne landen, halte sich Otto fern. Es sei mehr Kontrolle nötig, um solche Importe zu stoppen. Im Bereich Kinderkleidung sei der Second-Hand-Markt inzwischen so groß, dass viele Anbieter pleite gegangen seien.

Start-up-Gründer Roland Groß (Sykell, Sackworks) präsentierte schließlich ein paar Innovationen, die Müll vermeiden helfen: In Rewe-Märkten und an vielen Tankstellen gebe es inzwischen Mehrweg-Schüsseln für frische Salate oder Fertiggerichte, die gegen Pfand abgegeben werden. Das Zurückbringen funktioniert wie bei Pfandflaschen: Einfach in den Automaten schieben.

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