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Eine Postbote ist auf einem Dreirad E-Bike unterwegs.

© dpa/Jochen Tack

Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst: Ende der Bescheidenheit

Die diesjährige Tarifforderung ist so hoch wie zuletzt 1974. Damals gab es auch eine Energiekrise.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Verdi schlägt alle Rekorde. Für die Beschäftigten der Post fordert die Dienstleistungsgewerkschaft eine Tariferhöhung um 15 Prozent und für den öffentlichen Dienst der Kommunen und beim Bund 10,5 Prozent. Ähnliche Forderungen gab es zuletzt vor 50 Jahren. Setzt sich die Gewerkschaft in den kommenden Wochen durch, dann wären die Kaufkraftverluste durch die hohen Energie- und Lebensmittelpreise mehr als ausgeglichen. Doch das ist Illusion.

Bei der Post ist mehr drin für die Beschäftigten als im öffentlichen Dienst: Der weltweit tätige Logistikkonzern gehörte zu den Profiteuren der Coronazeit und fuhr Rekordgewinne ein – mehr als 16 Milliarden Euro in den vergangenen beiden Jahren. Es gibt also etwas zu verteilen zugunsten der 160.000 Postler, und die Durchsetzungschancen der Gewerkschaften sind gut, weil Verdi viele streikbereite Mitglieder hat bei der Post. Im viel größeren öffentlichen Dienst mit rund 2,5 Millionen Beschäftigten ist die Lage komplizierter.

Mitten in der Pandemie war die letzte Tariferhöhung vor zwei Jahren bescheiden, weshalb Verdi Nachholbedarf sieht. Und die Erwartungen der inflationsgeplagten Mitglieder sind hoch. Im Herbst will der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke vom Bundeskongress der Gewerkschaft wiedergewählt werden; ein hoher Tarifabschluss im größten Organisationsbereich brächte ihm Rückenwind. Dafür geht Werneke volles Risiko. Mit 10,5 Prozent hat er die Latte hochgelegt und argumentiert dabei wie ein Dienstellenleiter oder Krankenhausgeschäftsführer: Ohne höhere Einkommen haben große Teile des öffentlichen Dienstes auf dem Arbeitsmarkt keine Chance gegen die Arbeitgeber in der Privatwirtschaft.

Das wissen die Kommunen, die aber auch einen Investitionsstau von rund 150 Milliarden Euro vor sich herschieben. Wie der Verteilungskonflikt am Ende ausgeht und wie teuer es wird für die Städte und Gemeinden, hängt ab der Kampfbereitschaft der Gewerkschafter, in Berlin zum Beispiel der Beschäftigten der BSR und einiger Krankenhäuser, in Brandenburg vom Kitapersonal. Bis Ende März wird es immer wieder Warnstreiks geben, bevor die Tarifpartner dann das richtige Maß gefunden haben. 10,5 Prozent? Von eine Forderung bleiben in der Regel 60 Prozent übrig. Ausnahmen bestätigen die Regel: 1974 in der Ölkrise forderte die Gewerkschaft ÖTV für den öffentlichen Dienst 15 Prozent. Nach dreitägigem Streik knickten die öffentlichen Arbeitgeber ein und unterschrieben eine Tariferhöhung um elf Prozent. Dieser Rekord wird noch lange Bestand haben.

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