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Die hohen Zinsen lähmen die Konjunkturaussichten in der Start-up-Branche. Auch in Berlin werden Investoren vorsichtiger.

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Obwohl Firmen Stellen streichen: Berliner Start-ups haben gute Aussichten – trotz Krise

Investoren haben Start-ups mit Milliardenbeträgen versorgt, nun lahmt die Konjunktur. Wirtschaftssenator Stephan Schwarz blickt dennoch zuversichtlich in die Zukunft.

Berlin ist eine Stadt der Dienstleistungswirtschaft. Somit haben die hohen Energiepreise die Berliner Wirtschaft 2022 weniger hart getroffen als Bundesländer, die vom produzierenden Gewerbe abhängig sind. Nicht überraschend ist deshalb, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Berlin vergangenes Jahr stärker gewachsen ist als im Bundesdurchschnitt. Der Senat geht von einem voraussichtlichen Plus von 2,5 Prozent aus. Für 2023 erwartet er ein Wachstum von 0,5 bis ein Prozent. Die Zahlen präsentierte Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) am Mittwoch.

„Wir haben uns als Wirtschaftsstandort gut geschlagen. Wir wollen an die Spitze“, sagte der Senator und konnte es sich angesichts der positiven Konjunkturaussichten nicht verkneifen, in Richtung anderer Bundesländer auszuholen: „Es gibt ein natürliches Ressentiment der Provinz gegen die Hauptstadt.“ Die Werkbank Deutschlands sei Berlin schon lange nicht mehr. Das Land nehme den Wettbewerb mit München und Hamburg an.

Es gibt ein natürliches Ressentiment der Provinz gegen die Hauptstadt.

Stephan Schwarz, Wirtschaftssenator in Berlin

Schwarz hatte bereits Anfang Januar ähnliche Zahlen veröffentlicht. Doch Berlin wählt in zwei Wochen. Ein guter Zeitpunkt, dachte man sich offenbar im Senat, um mit positiven Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung an die Wähler:innen heranzutreten. Schwarz bekräftigte erneut, dass er nur im Amt bleiben wolle, falls Franziska Giffey (SPD) nach dem 12. Februar seine Chefin bleibe. Mit dieser teilt Schwarz eine innovations- und unternehmensfreundliche Politik. Giffey sagte dem Tagesspiegel Anfang der Woche, dass sie Berlin und Brandenburg zu der „wirtschaftsstärksten Metropolregion Europas“ machen wolle.

Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) ist Senator für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin. Er ist über Parteigrenzen beliebt.

© dpa/Soeren Stache

Lahmende Konjunktur in der Start-up-Branche

Einen großen Teil dazu trägt in der Stadt die Start-up-Branche bei. Wenn es um finanzierungswillige Venture-Capital-Firmen geht, verzeichnete die Branche 2021 ein historisches Allzeithoch. Infolge der Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) pumpten Investor:innen vergangenes Jahr deutlich weniger Kapital in Berliner Start-ups, immerhin aber noch rund 4,9 Milliarden Euro. Gleichzeitig fingen Start-ups damit an, massenhaft Stellen abzubauen, kürzlich etwa die Lieferplattform Delivery Hero.

Start-ups – gerade solche in der Digitalwirtschaft – versuchen durch schnelles Wachstum Mitbewerber vom Markt zu drängen. Eine Blase, die sich in den vergangenen Jahren aufgebläht hat und nun zu platzen droht, sehe Schwarz allerdings nicht. „Diese Entwicklung ist gar nicht schlecht“, sagte er, wenngleich ihn die lahmende Finanzierungslust betrübe. „Es handelt sich um eine heilsame Korrektur. Das ist ein gutes Zeichen für den Markt, weil Start-ups jetzt den Beweis antreten können, dass sie ein tragfähiges Geschäftsmodell haben.“ Fachkräfte, die von einem Fintech auf die Straße gesetzt werden, fänden schnell Anschluss in einem anderen Unternehmen.

Robert Lehmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo-Institut in München, schätzt die Lage ähnlich wie Schwarz ein. „Das ist eine normale Marktreaktion“, sagt er. Sein Kollege vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Volkswirt Martin Gornig, sieht vor allem im hohen Leitzins der EZB eine Gefahr: „Das Allzeithoch 2021 hatte mit mangelnden alternativen Anlagemöglichkeiten zu tun. Wenn das Zinsniveau weiter steigt, wird das Angebot für Venture-Capital-Firmen kleiner.“ Schwarz wünscht sich vom Bund deshalb Steuererleichterungen.

2023, ein düsteres Jahr für das Baugewerbe

Die hohen Zinsen treffen auch das Baugewerbe hart. Dienstag hatte Vonovia, Europas größter Immobilienkonzern, angekündigt, dieses Jahr keine Neubau-Projekte starten zu wollen. „Ich bedauere das natürlich“, sagte Schwarz. „Man darf daraus jetzt nicht den Schluss ziehen, dass die gesamte Branche so handelt.“

Martin Gornig vom DIW stimmt diesem Befund mittel- und langfristig zwar zu, sieht jedoch einen herannahenden Dominoeffekt für 2023: „Die Investoren sind vorsichtig, stornieren Aufträge und lassen ihre Planungen langsamer laufen.“ Der Ifo-Experte Robert Lehmann betont, dass Berlin als attraktiver Standort einen Vorteil gegenüber anderen Bundesländern habe, zudem sei der Auftragsbestand hoch. Doch auch er geht von weiteren Zinsentscheidungen aus: „Bauen wird dadurch deutlich teurer werden.“

Insgesamt sehen die wirtschaftlichen Aussichten aber positiv aus: Die Tourist:innen kehren zurück, die Messewirtschaft hat sich 2022 nach zwei Coronajahren erholt, die Exporte haben zugelegt. Schwarz sieht daher nicht die Notwendigkeit, Firmen mit weiteren Entlastungspaketen zu unterstützen. Falls die Inflation nicht stärker steigt als prognostiziert, erwartet der Volkswirt Lehmann vor allem „Aufholungstendenzen im Dienstleistungsbereich“. „Berlin wird auch dieses Jahr voraussichtlich stärker expandieren als die anderen Bundesländer“, sagt er.

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