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Die Aktiven der Mieterinitiative „Weberwiese - Milieu sind wir!“ befürchten den sukzessiven Verkauf von etwa 500 Wohnungen im Milieuschutzgebiet Weberwiese. Das Bezirksamt plant aktuell eine Strategie zur Überführung in gemeinwohlorientierte Eigentumsformen.

© Bernd Lützeler

Mieterschutz in Berlin-Friedrichshain: 500 Wohnungen könnten verkauft werden

An der Weberwiese stehen die ersten von rund 500 Eigentumswohnungen zum Verkauf. Die Mieter:innen fürchten Eigenbedarfskündigungen, die Politik sichert Unterstützung zu.

Auf der Verkaufsplattform sind die länglichen Gebäude, um die es geht, rot eingefärbt. Sie sind Teil des denkmalgeschützten Wohnensembles Weberwiese in Friedrichshain südlich der Karl-Marx-Allee, nicht weit von der East Side Gallery und dem Berghain.

Aktuell werden auf der Online-Plattform “54 EAST” 27 Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen zu Preisen ab 280.000 Euro als „attraktive Eigentumswohnungen“ in zentraler, innerstädtischer Lage angeboten. Doch das ist laut der Mieterinitiative „Weberwiese – Milieu sind wir!“, die sich gegen den Verkauf der Wohnungen wehrt, wohl nur der Anfang.

“Unsere Wohnanlagen umfassen 35 Aufgänge mit insgesamt knapp 500 Wohnungen”, sagt Bernd Lützeler von der Initiative. Die Gebäude seien 1954 als „stilistisches Vorzeigeprojekt“ erbaut worden. Wie viele der Wohnungen bereits verkauft wurden, ist unklar.

Ende 2022 verschärfte sich die Lage

Was laut Initiative klar ist: 2006 wurden die ehemals kommunal verwalteten Häuser an die dänische Taekker-Gruppe verkauft. Noch bevor die Weberwiese 2016 zum Milieuschutzgebiet erklärt wurde, seien die Wohnungen in Eigentum aufgeteilt worden und 2017 von Taekker durch einen „Share Deal“ an die White Tulip GmbH übergegangen. Die aktuelle Eigentümerin hat ihren Sitz in Luxemburg, die Residea Immobilien Management GmbH verwaltet laut eigener Aussagen rund 400 der Wohnungen.

Seit Ende 2022 tut sich einiges im Hauskomplex. Und bei den Mieter:innen steigt die Unruhe: Ein von der Hausverwaltung beauftragtes Unternehmen bat um Terminabsprachen für Mietergespräche und Begehungen, offensichtlich um Verkäufe der Wohnungen vorzubereiten. Es scheint so, als würde die Hausverwaltung versuchen, möglichst viele Mieter:innen aus ihren Wohnungen herauszukaufen.

Die fünfgeschossigen Wohngebäude im Gebiet Weberwiese wurden bis 1990 kommunal verwaltet.

© Bernd Lützeler

Leere Wohnungen spielen auf dem Markt laut Mieterverein höhere Preise ein. Zwar gilt eine mehrjährige Kündigungssperre für Mieter:innen, deren Wohnungen nach der Umwandlung in Eigentum an Dritte verkauft werden. Der Druck auf die Mieter:innen ist aber jetzt schon spürbar gestiegen.

„Mieter:innen wurden angerufen, per E-Mail angeschrieben oder direkt an der Haustür angesprochen“, berichtet Lützeler. Auch andere Mieter:innen berichteten dem Tagesspiegel von solchen Kontaktaufnahmen: Manchen seien Abfindungen angeboten worden, andere wurden – mit oder ohne Terminabsprache – gebeten, ihre Wohnung zu zeigen. Bei diesen Besichtigungen sei gefragt worden, ob sie beabsichtigten, in nächster Zeit auszuziehen.

Laut der Mieterinitiative wurden etwa die Hälfte der Wohngebäude in den letzten Jahren saniert, insbesondere die Fassaden.

© Bernd Lützeler

Außerdem wird die gesamte Wohnsituation in der Nachbarschaft ungemütlicher: Mieter:innen berichten von Leerstand, möblierter Vermietung auf Zeit, Verfall der Bausubstanz und Legionellenbefall. Etwa die Hälfte der Gebäude, insbesondere die Fassaden, seien renoviert worden.

Die Hausverwaltung Residea gibt auf Anfrage, ob die Sorgen der Mieter:innen berechtigt sein, an, dass sie sich „zu Gerüchten und Spekulationen nicht äußern“ wolle. Trotzdem sei es ihr wichtig darauf hinzuweisen, „dass Mieter selbst im Falle von Immobilienverkäufen grundsätzlich über weitreichende Schutzrechte verfügen.“ Außerdem werde man „auch künftig“ den Mieter:innen anbieten, „die eigene Wohnung zu bevorzugten Konditionen zu erwerben.“

Am Fall der Weberwiese soll berlinweite Strategie erarbeitet werden 

Die Mieterinitiative hat sich mit der Bitte, „die betroffenen Wohnungen vor Veräußerung zu bewahren“ an das Bezirksamt gewandt. Unter dem Titel „Weberwiese retten!“ luden Initiative und Bezirksamt am Mittwochabend zu einer Mieterversammlung ein. Im Rahmen einer Kommission möchte der Bezirk bis Anfang Mai eine Strategie entwickeln, die Mieter:innen vor Verdrängung durch Eigenbedarfskündigung und Entmietung schützen soll.

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Anwesend waren etwa 80 Menschen, neben Politiker:innen von Grünen, Linken und SPD viele Mieter:innen der betroffenen Gebäude – die Aktiven der Initiative hatten zuvor Flyer in der Grünberger-, Gubener-, Kadiner-, Lasdehner-, Marchlewski- und Wedekindstraße verteilt.

“Viele Mieter haben ein Vorkaufsrecht und möglicherweise ein lebenslanges Wohnrecht”, sagte Baustadtrat Florian Schmidt. Laut einer Studie des Bezirksamtes sind allein in Friedrichshain-Kreuzberg etwa 48 Prozent aller Wohngebäude in Eigentumswohnungen aufgeteilt. Vor zehn Jahren sollen es noch 31 Prozent gewesen sein. Betroffen seien heute etwa 73.000 Wohnungen.

Berlinweit wurden seit 2013 rund 140.000 Wohnungen in Eigentum umgewandelt. Das geht aus einer Antwort der Stadtentwicklungsverwaltung im November 2022 auf eine Anfrage von Niklas Schenker (Linke) hervor. Von ihnen würden nun immer mehr aus der Kündigungssperre fallen, woraufhin den Mieter:innen Eigenbedarfskündigungen drohen.

Linke wollen zügige Lösung durch “gestreckten Erwerb” 

Das Vorkaufsrecht (nach § 577 BGB) könnte tatsächlich ein Hebel sein, um die Bewohnerstruktur in dem Ensemble zu schützen. Mieter:innen, die schon vor der Umwandlung in Eigentum in der Wohnung wohnten, können die Wohnungen zwei Monate lang ab Mitteilung eines Kaufvertrages zugunsten eines Dritten selbst erwerben.

Nur verfügen viele Mieter:innen nicht über das nötige Kapital, um ihre Wohnung selbst zu kaufen. Deshalb hat die Linke einen sogenannten “gestreckten Erwerb” ins Spiel gebracht: Die Mieter:innen sollen ihr Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen, aber nur pro forma. Die Wohnung würde gleich an einen gemeinwohlorientierten Träger weitergegeben, der auch die Finanzierung übernimmt. Noch besser fänden es die Linkenabgeordneten Damiano Valgolio und Niklas Schenker, wenn der Senat offensiv auf den Eigentümer zugeht und ihm anbietet, die Wohnungen ohne den Umweg über die jetzigen Bewohner:innen gleich als Paket zu kaufen.

Die Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Der Stuck und Malereien in den Treppenhäusern sind zum Teil noch erhalten.

© Bernd Lützeler

Der grüne Bezirksstadtrat Schmidt findet das Modell im Prinzip interessant. Aber er möchte das Ganze etwas langsamer und mehrgleisig angehen, daher die Idee mit der dreimonatigen Kommission für eine berlinweite Strategie. Der “gestreckte Erwerb” soll dabei nur eine Option neben anderen sein.

Schmidt distanzierte sich in der Diskussion vom oftmals erwähnten „Erfolgsbeispiel“ Karl-Marx-Allee. Das Modell des gestreckten Verkaufs kam dort 2019 beim Verkauf hunderter Wohnungen zum Einsatz. Dabei gingen die Wohnungen über das individuelle Vorkaufsrecht der Mieter:innen an die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Im Gegensatz dazu würden die Wohnungen im Gebiet Weberwiese nach und nach verkauft.

Ein weiterer Grund, warum sich der Bezirk und die Grünen nicht sofort um einen Paketankauf von mehreren Wohnungen bemühen wollen, liegt wohl in der Unsicherheit über die künftige Koalition auf Landesebene. „Bei der Karl-Marx-Allee haben Rot-Grün-Rot für die Mieterinnen zusammengearbeitet. Die Situation ist jetzt schwieriger: Nicht nur wegen der Finanzlage, sondern auch wegen der Wahl“, sagte Katrin Schmidberger (Grüne). Ohne den finanziellen Rückhalt des Senats wäre ein groß angelegter Ankauf nicht zu bewältigen.

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