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In Berlin hat sich über viele Jahre ein gründungsfreundliches Ökosystem etabliert. Die Folge: Rund 50 Prozent aller Start-up-Investments
in Deutschland gehen in die Hauptstadt.

© Gestaltung: Tagesspiegel/K.Schuber/Fotos: freepik

Metropole der Einhörner: Was Berlin zur Start-up-Hauptstadt macht

In keinem anderen Bundesland werden so viele Start-ups ins Leben gerufen wie in Berlin. Woran liegt es, dass die Stadt ein solcher Magnet für Gründer ist?

Von Sabine Hölper

Kennen Sie die das Softwareunternehmen Mambu, die Logistikplattform Forto oder das Versicherungsportal Wefox? Dabei handelt es sich um drei von 21 Berliner Unicorns. Als Einhörner gelten Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden.

Start-ups, ob sehr erfolgreich oder am Kämpfen, ob länger auf dem Markt oder erst kürzlich gegründet, gehören zu Berlin wie die Club-Kultur, das Brandenburger Tor oder die Wohnungsnot. Zu Recht gilt Berlin als deutsche Gründerhauptstadt. Laut „Startup Report“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe aus dem Jahr 2022 sind in Berlin rund 4500 Start-ups angesiedelt. Sie beschäftigen mindestens 80.000 Mitarbeitende. Aufgrund unterschiedlicher Zählweisen sind diese Zahlen allerdings nur Annäherungswerte.

Niclas Vogt ist Pressesprecher des Bundesverband Deutsche Startups.

© privat

Gesichert sind hingegen diese Zahlen: Jedes Jahr werden im Schnitt 500 Start-ups in Berlin gegründet. Im ersten Halbjahr 2023 waren es laut dem Bundesverband Deutsche Startups 262 Neugründungen in der Stadt. „Somit wird in Berlin alle 19 Stunden ein neues Start-up gegründet“, sagt Niclas Vogt, Pressesprecher des Startup-Verbands.

Was macht ein Start-up aus?

Das Portal Statista listet für das zweite Quartal dieses Jahres 147 Neugründungen in Berlin auf. Zum Vergleich: Die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen liegen mit 125 beziehungsweise 115 Gründungen auf den Plätzen zwei und drei. In Brandenburg wurden im gleichen Zeitraum zwischen April und Juni elf Start-ups aus der Taufe gehoben.

Eine einheitliche Definition für Start-ups gibt es nicht. Die meisten Akteure aus der Szene können sich aber hierauf einigen: Ein Start-up ist ein neu gegründetes Unternehmen mit einer besonderen Dynamik, die auf der wahrgenommenen Nachfrage nach seinem Produkt oder seiner Dienstleistung basiert. Die Absicht eines Start-ups ist es, schnell zu wachsen, indem es etwas anbietet, das eine spezifische Marktlücke schließt. Der Bundesverband Deutsche Startups zieht die Grenze bei einem Alter von zehn Jahren.

Weitere Merkmale laut dem Verband: Start-ups planen ein Mitarbeiter- und Umsatzwachstum, sie sind hoch innovativ in ihren Produkten, Dienstleistungen, Geschäftsmodellen und/oder Technologien. Mitunter heißt es auch, dass ein Start-up aufhört, eines zu sein, wenn es eine bestimmte Größe erreicht, rentabel ist, ein hohes Maß an Investitionsmitteln erhält, an die Börse geht oder von einem größeren Unternehmen übernommen wird.

Gründer ziehen Leute aus der ganzen Welt an

Nach all diesen Definitionen wäre etwa Zalando längst kein Start-up mehr. 2008 gegründet und mit Umsätzen in fast zweistelliger Milliarden-Höhe ist es heute ein etabliertes, erfolgreiches Unternehmen. Dennoch wird Zalando oft noch als Start-up wahrgenommen, als eines der Berliner Vorzeige-Start-ups.

Berlin hat sich seit Mitte der Nullerjahre, als die Start-up-Szene in der Hauptstadt und in ganz Deutschland Fahrt aufnahm, weiterentwickelt. Mehr und mehr Gründer haben sich aufs Parkett getraut – und immer mehr Leute aus der ganzen Welt angezogen.

Berlin hat viele Vorzüge

Berlin hatte und hat dabei große Vorteile. Die eingangs erwähnte Club-Kultur, überhaupt der Ruf als pulsierende, spannende Metropole sprechen ein internationales Publikum an. Viele junge und junggebliebene Firmen erzählen nicht ohne Stolz, dass sie Mitarbeiter aus 50, 60, 70 Nationen beschäftigen. Die Diversität in den Unternehmen, der gute Ruf der Hauptstadt haben die Start-up-Szene in Berlin immer weiter beflügelt. Nach und nach hat sich ein Ökosystem etabliert, das deutschlandweit, aber sogar im europäischen Vergleich, weit oben steht.

Ökosystem bedeutet nichts anderes als das Umfeld für die Gründer. Und das ist in Berlin gut bis exzellent: Hier sitzen Berater, Business Angels, Venture-Capital-Geber. Auch mehrere Hochschulen tragen mit ihren diversen Gründungszentren zu einem funktionierenden Ökosystem bei. Hier gibt es zudem viele Gleichgesinnte zum Austausch, etliche Co-Working-Plätze, andere Vernetzungsmöglichkeiten, zum Beispiel formell auf Messen oder informell in Cafés wie dem St. Oberholz in Berlin-Mitte.

Arbeiten und Netzwerken: Co-Working-Spaces schaffen für beides Raum.

© imago/Westend61

Jemanden zu kennen, der jemanden kennt, das ist – laut dem gerade erschienenen „Deutschen Startup Monitor 2023“ (DSM) von Startup-Verband und PwC Deutschland – ein in Berlin besonders ausgeprägtes Gut. Hier haben Gründer und Gründerinnen im Schnitt 12,2 andere Gründer und Gründerinnen in ihrem Freundeskreis. Deutschlandweit sind es nur 7,3. Laut DSM spielen solche „funktionierenden Netzwerke eine zentrale Rolle“. Denn: „Gründer:innen, die regelmäßig andere Gründer:innen treffen, sind erfolgreicher.“

Auch die im Vergleich zu Metropolen wie London, Tel Aviv oder New York immer noch recht günstigen Mieten tragen dazu bei, dass Berlin die dringend benötigten Talente findet. Zudem ist Englisch größtenteils die Geschäftssprache. Das erleichtert die Suche nach Fachkräften und bietet Ausländern eine Willkommenskultur, wie sie nicht überall gegeben ist.

Diese jahrelang etablierten Vorteile bleiben nicht wirkungslos. Im Gegenteil. Sie haben dazu geführt, dass Berlin in der Beliebtheitsskala der Startup Heatmap jedes Jahr mit London um den europäischen Platz eins konkurriert. Mal hat Berlin die Nase vorne, mal London. Deutschlandweit gilt, dass aktuell mehr als jedes fünfte Start-up (20,8 Prozent) seinen Hauptsitz in Berlin hat. Danach kommen Nordrhein-Westfalen mit 18,7 Prozent und Bayern mit 13,4 Prozent. Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern beheimatet 0,9 Prozent aller Start-ups.

Blick auf das Londoner Finanzviertel. Berlin konkurriert mit der englischen Hauptstadt um Platz eins als beliebteste Start-up-Metropole Europas.

© IMAGO/imageBROKER/Ian Murray

Noch viel deutlicher zeigt sich die Vormachtstellung Berlins bei den Finanzierungen: Laut EY wurden 2022 4,9 Milliarden Euro in Berliner Unternehmen investiert. Das waren fast 50 Prozent aller Start-up-Investments in Deutschland. In den vier Jahren davor waren es sogar je um die 60 Prozent. Der prozentuale Rückgang 2022 liegt daran, dass in Berlin mehr fortgeschrittene Start-ups sitzen, die größere Summen benötigen. Diese wurden im letzten Jahr etwas restriktiver gehandhabt, während Erst-Finanzierungen freimütiger getätigt wurden.

Dass Berlin bereits eine Menge seit Jahren reüssierender Start-ups beheimatet, wird auch deutlich, wenn man die Zahl der Einhörner betrachtet: Von aktuell 32 deutschen Unicorns haben 21 ihren Hauptsitz in Berlin. München folgt mit fünf. Zu den in Berlin ansässigen Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden, zählen neben dem eingangs genannten Mambu, Forto und Wefox etwa das Fintech N26, die Steuerplattform Taxfix, der Online-Broker Trade Republic und der Photovoltaik-Anbieter Enpal. Letzteres gilt, neben dem Hamburger Start-up 1KOMMA5, als eines der wichtigsten Treiber im Bereich „Climate Tech“. Die Firmen suchen Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere für die Klimakrise.

Das Gros der Berliner Jungunternehmer setzt allerdings auf Softwarelösungen, vor allem auch mittels Künstlicher Intelligenz, besonders im B2B-Bereich, also Software-as-a-Service, ferner E-Commerce und insbesondere FinTech. Laut Stefan Franzke, Geschäftsführer bei Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie, gingen „76 Prozent des in Deutschland im Bereich FinTech/InsurTech insgesamt investierten Kapitals von 286 Millionen Euro an Berliner Start-ups.“

Stefan Franzke, Geschäftsführer bei Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie.

© Wolf Lux/Berlin Partner

Die Berlin Finance Initiative will, dass in Berlin ein europaweit einzigartiger Finanz- und Technologiestandort entsteht und plant daher ein „Berlin House of Finance & Tech“. „Mit den Plänen für ein House of Fintech machen wir einen weiteren großen Schritt auf dem Weg zur maßgeblichen Finanzmetropole der Zukunft“, sagt Stefan Franzke.

Doch auch die Berliner Start-up-Szene ist nicht unangreifbar. In den Corona-Jahren litt sie unter dem Virus und seinen Auswirkungen. Auch von Inflation und schwächelnder Konjunktur sind die Start-ups der Hauptstadt betroffen. So gingen zuletzt Finanzierungsrunden zurück und einige Firmen, vor allem die größeren, mussten Mitarbeiter entlassen. Der Geschäftsklima-Index sinkt daher. Als positiv bewerteten das Ökosystem 2023 laut DSM nur noch 58 Prozent der Befragten, im Vergleich zu 68 Prozent im Vorjahr.

Andererseits gibt es noch immer eine nicht zu unterschätzende Dynamik: Im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2022 sei die Zahl der Neugründungen von Berliner Start-ups in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 40 Prozent gestiegen, so Niclas Vogt, Pressesprecher des Startup-Verbands.

Bloß eines ist noch immer nicht im Lot: Nur ein Bruchteil der Gründer ist weiblich. Sie erhalten nur ein Prozent des gesamten Risikokapitals. Hier ist noch viel zu tun. Aber das gilt für alle Start-ups in Deutschland.

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