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In der Coronapandemie haben die MFA die Hauptlast der Impfkampagne gestemmt.

© dpa/Sebastian Kahnert

Einschränkungen in Arztpraxen möglich: Berlins Praxispersonal streikt am Donnerstag für mehr Anerkennung

Viele Medizinische Fachangestellte (MFA) verdienen Niedriglöhne. Während die Situation in der Pflege inzwischen mehr Aufmerksamkeit erfährt, fristen sie ein Schattendasein. Die Wut steigt.

Ebru Özcelik hat sich mit ihrem Job einen Traum erfüllt. Vor fünf Jahren schulte die ehemalige Hotelwirtin zur Arzthelferin um. „Ich kann Menschen helfen und mag, wie vielseitig der Beruf ist: Von der Grippe bis zum Herzinfarkt behandeln wir alles“, sagt sie. Doch oft denkt die Mutter von drei Kindern darüber nach, wieder auszusteigen. Die 2300 Euro brutto, die sie in ihrer Hausarztpraxis in Berlin-Reinickendorf bei 35 Wochenstunden verdient, seien schlicht zu wenig, dazu der tägliche Stress, die immer volle Praxis.

Die 38-Jährige ist eine von mindestens 100 Medizinischen Fachangestellten (MFA), die am Donnerstag in Berlin für höhere Löhne in den Ausstand treten werden. Ungefähr so viele haben sich beim Verband medizinischer Fachberufe (VMF) angemeldet, die Dunkelziffer dürfte darüber liegen. Der VMF vertritt die Belange des Praxispersonals. Es ist der erste Streik in der Verbandsgeschichte.

Der VMF war im November mit einer Forderung von durchschnittlich 14,6 Prozent mehr Lohn über alle Berufsjahr- und Tätigkeitsgruppen in die Verhandlungen gegangen. Am Donnerstag gehen diese in die vierte Runde.

Längere Wartezeiten durch Streik

Nina Krzenciessa ist die Beauftragte der hiesigen Bezirksstelle des VMF. „Wir haben eine große Verantwortung, nehmen Blut ab, impfen, arbeiten im ambulanten OP. Und trotzdem befinden wir uns im Niedriglohnsektor“, sagt sie. Krzenciessa schildert einen Eindruck, den so gut wie alle Arzthelfer:innen teilen: Man habe sie in der Coronapandemie vergessen. „Wo sind die Infizierten als erstes hingegangen? Nicht in die Rettungsstellen, sondern zum Hausarzt!“ Nachvollziehen könne sie daher nicht, warum der Bund den Pflegekräften eine Coronaprämie zahlte und die MFA leer ausgingen.

Trotz der angestauten Wut werden die MFA die ambulante Versorgung am Donnerstag voraussichtlich nicht lahmlegen. Weil die Arzthelfer:innen in Dutzenden kleinen Praxen arbeiten, fällt es der Gewerkschaft schwer, sie zu mobilisieren. Der Organisationsgrad ist schlecht. Hinzu kommt, dass viele sich nicht trauen, zu streiken. Denn Beschäftigte in Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitenden unterliegen nicht dem Kündigungsschutz.

„Einige Arbeitgeber unterstützen unsere Anliegen, aber es gibt eben auch die alten Chefs, wo man das Wort Gewerkschaft in der Praxis nicht einmal erwähnen darf“, sagt Krzenciessa. Sie vermutet, dass Patient:innen wegen des Streiks längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssten. Ganze Praxen würden nur vereinzelt schließen.

Die 56-jährige Arzthelferin Ellen Rohse-Rech werde streiken, um die Gesellschaft aufzurütteln, sagt sie. Auch in ihrer Praxis wolle nur eine ihrer vier Kolleg:innen mit streiken. Das liege zum einen an der Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren, zum anderen wüssten die MFA um die prekäre Lage ihrer Arbeitgeber. Laut Rohse-Rech klagen viele Praxen über Kostendruck. Dieser zwinge sie dazu, ihr Personal schlecht zu bezahlen. Im vergangenen Jahr hatten Niedergelassene ihre Praxen mehrfach geschlossen, um gegen den von ihnen empfundenen Sparzwang zu protestieren. Viele Arbeitgeber unterstützen deshalb den Streik der MFA.

Beliebter Beruf und trotzdem Personalmangel

Auf Anfrage verweist die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin auf eine Umfrage und erklärt, dass etwa 65 Prozent der Praxen in der Hauptstadt nach Tarif oder darüber zahlten. Die KV Berlin habe „Verständnis für die Forderungen“ der MFA nach mehr Geld, jedoch sei es den Praxen „aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage kaum möglich, die Mehrausgaben zu tragen“. Die Ärztekammer Berlin teilt auf Anfrage mit, sie würde Lohnsteigerungen begrüßen, diese müssten jedoch von den Krankenkassen und der Politik auskömmlich finanziert sein.

13,22
Euro pro Stunde beträgt das Einstiegsgehalt für eine ausgebildete MFA.

Wie viel eine Praxis verdient, unterscheidet sich stark nach Fachrichtung: Haus-, Kinder- und Frauenärzt:innen erzielten nach Daten des Statistischen Bundesamts 2021 den kleinsten Reinertrag, er ist so etwas wie der Bruttoverdienst. In diesen Fachgruppen lag er zwischen 250.000 und 300.000 Euro. Praxen in der Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin kamen auf einen Reinertrag von 1,1 Millionen Euro und zählten damit zu den Spitzenverdienern. Die KV Berlin erklärt, der Reinertrag eigne sich nicht als Maßstab, weil die jeweiligen Praxissituationen zu unterschiedlich seien.

Die Gewerkschafterin Krzenciessa hingegen sagt, nicht alle Arbeitgeber seien so knapp bei Kasse, dass sie ihre MFA nicht ordentlich bezahlen könnten. In einer nuklearmedizinischen Praxis seien die Gehälter oft genauso schlecht wie beim Hausarzt.

Zahlt eine Praxis nach aktuellem Tarif, liegt das Einstiegsgehalt für eine MFA nach der dreijährigen Ausbildung bei 13,22 Euro pro Stunde und damit nur unwesentlich über dem Mindestlohn von 12,41 Euro. Obwohl Arzthelferin bei jungen Frauen nach wie vor einer der beliebtesten Ausbildungsberufe ist, suchen viele Praxen in Berlin Personal. Es könnte am niedrigen Lohn liegen, warum sehr viele MFA nach der Ausbildung in Kliniken gehen oder zu Krankenkassen wechseln. Dort verdienen sie deutlich mehr.

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