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Ulrich Misgeld Vorsitzender des Netzwerks Motzener Straße, mit dem Industriegebiet im Rücken.

© promo/Iris Jaskulski

Die Spinne im Netz: Ulrich Misgeld als Lobbyist des Mittelstands

Der frühere Volksbanker kommt als Standortpolitiker im Südwesten Berlins so richtig auf Touren. Und hat viele Wünsche an die Politik.

Die regelmäßigen Langstreckenläufe hinterlassen Wirkung. Ulrich Misgeld ist so agil und ambitioniert wie ein 50-Jähriger, der eine Bankenfusion organisiert. Das war einmal. Der einstige Vorstandschef der Berliner Volksbank (bis 1999) wird im Herbst 73 Jahre alt – und läuft dann seinen 57. Marathon. „Beim Engagement für den Wirtschaftsstandort braucht man die Fähigkeiten eines Marathonläufers“, erzählt Misgeld gutgelaunt. „Allein die Aufwertung des S-Bahnhofs Buckower Chaussee zu einem Regionalbahnhof beschäftigt uns seit 17 Jahren.“ Dabei wäre in diesen Zeiten, sozusagen parallel zum Bau der Dresdner Bahn, die Erweiterung zum Regionalbahnhof gut machbar. „Doch die Bahn will nicht und begründet das mit einer mutmaßlichen Störung der transeuropäischen Netze.“

Ärgerlich, denn fast ein Drittel der 5000 Beschäftigten im Industriegebiet kommt Misgeld zufolge nicht aus Berlin. „Für die wäre ein Regionalbahnhof eine große Erleichterung.“ Der ehemalige Banker ist der Kopf des Unternehmensnetzwerks Motzener Straße in Tempelhof-Schöneberg an der Grenze zum Landkreis Teltow-Fläming. Die randständige Lage war ausschlaggebend für die Entwicklung zum Gewerbestandort: Nach dem Bau der Mauer suchte der Senat Anfang der 1960er Jahre Platz für die Ansiedlung von Betrieben und wählte das damalige Stadtgut. Heute sind dort rund 200 Unternehmen mit etwa 5000 Mitarbeitenden zu Hause. 60 Firmen engagieren sich im Netzwerk und zahlen einen Jahresbeitrag zwischen 200 und 1600 Euro. Dank Misgeld gehört die Motzener Straße zu den bekanntesten Initiativen in der Stadt.

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Unternehmensinitiativen gibt es in Berlin

„Mit dem Netzwerk ist unser Industriegebiet ein besserer Standort geworden“, sagt der Marketingmann. Misgeld selbst kam im Jahr 2000 an die Motzener Straße, als er nach dem Aus bei der Volksbank in den Vorstand der Lichttechnikfirma Semperlux berufen wurde. Von der Mittelstandsbank zum Mittelständler. 2005 gehörte Misgeld zu den Mitstreitern des Bezirksbürgermeisters Ekkehard Band bei der Gründung des Unternehmensnetzwerks.

Und obgleich es Semperlux inzwischen am Standort nicht mehr gibt und Misgeld das Renteneintrittsalter deutlich überschritten hat, beschäftigt er sich bis zu 30 Stunden in der Woche mit der Netzwerkerei. Sein großes Ziel: Misgeld möchte die privaten 14 Berliner Unternehmensinitiativen von der Politik und den Födermittelgebern ähnlich behandelt wissen wie die elf Zukunftsorte, die mit Steuermilliarden aufgepeppt werden.

Netzwerke heben das Potenzial der kleinen und mittelgroßen Unternehmen.

Ulrich Misgeld, Vorsitzender des Unternehmensnetzwerks

„Anders als die vom Senat deklarierten Zukunftsorte müssen wir als Unternehmensnetzwerk den Standort ehrenamtlich betreuen und entwickeln“, sagt Misgeld mit Blick auf Adlershof, Buch oder die Urban Tech Republic in Tegel. Aber es gibt Hoffnung: Er hat die Senatswirtschaftsverwaltung zu einer Studie überredet über die Bedeutung von „innovativen Gewerbestandorten und Unternehmensnetzwerken in Berlin“. Das ist ein erster Schritt in Richtung Fleischtöpfe, erste Ergebnisse sollen vor dem Sommer vorliegen. „Netzwerke heben das Potenzial der KMU“, sagt Misgeld, also der kleinen und mittelgroßen Betrieben. Öffentliche Mittel wären hier also gut angelegt, schlussfolgert der Vereinsvorsitzende. Aber es geht auch ohne. Seit der Gründung habe sein Netzwerk rund eine Million Euro in gemeinsame Projekt investiert.

250.000 Euro für eine Kita

„Ein erster großer Erfolg war die Kita im Süden des Geländes, die 2010 eröffnet werden konnte“, erzählt Misgeld. Mit einer Anschubfinanzierung von rund 250.000 Euro war das Netzwerk beteiligt. Da in Berlin die kleinen Firmen rund 90 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringen, „müssen sich Politik und Verwaltung stärker um diese Firmen kümmern“, meint Misgeld. Auch die Bezirke. Am 17. Februar treffen sich die Motzener mit Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) und der Stadträtin für Stadtentwicklung, um über Verkehrsprobleme und die Nutzung eines seit Jahren leerstehenden Gebäudes der Wasserbetriebe zu diskutieren.

„Die Bezirke bekommen keine Gewerbesteuer und sind deshalb nur bedingt interessiert an Gewerbeansiedlungen“, meint Misgeld und erklärt sich so das vermeintliche Desinteresse der Bezirkspolitiker an den Belangen der Betriebe. Gegen die Einrichtung eines Logistikzentrums hat das Netzwerk Widerspruch eingelegt, der von der Senatsverwaltung für Verkehr abgewiesen wurde. Oltmann verweist auf ein Verkehrsgutachten, wonach mit 144 Fahrten von Sattelschleppern am Tag zu rechnen sei. Da es sich um ein Gewerbe- und kein Wohngebiet handelt, sei das zumutbar. Für Misgeld dagegen beeinträchtigt der Verkehr das Image des Standorts. In diesem Jahr startet ein Projekt Slim (für Smart Logistik in Marienfelde), um CO₂-freie Sammeltransporte vom Güterverkehrszentrum Großbeeren zur Motzener Straße zu testen.

Energieeffizienz war von Anfang an ein Thema im Netzwerk. „Wir sind das grünste Industriegebiet in Berlin“, sagt Misgeld. „Ganz wichtig ist das Image des Standorts, der sich vor vielen Jahren auf den Weg zur Klimaneutralität gemacht hat.“ Die besten Imageträger seien die mittelständischen, familiengeführten Unternehmen, da sie „langfristig orientiert und standorttreu sind“. Allen Auszubildenden im Industriegebiet bietet das Netzwerk eine Schulung zum Energiescout an. „Wir wollen die Fridays-for-Future-Generation ansprechen“, sieht sich der 72-jährige Misgeld auf der Höhe der Zeit. Und freut sich auf weitere Jahre an der Spitze des Netzwerks.

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