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Die Montage von Verbrennungsmotoren im Mercedes-Werk Marienfelde läuft aus

© imago/Jürgen Heinrich

Die Hälfte der Betriebe gefährdet: Fahrzeugindustrie in Berlin und Brandenburg muss sich wandeln

In der Region gehören 200 Unternehmen mit 21.000 Beschäftigten zur Branche. Der Wandel zum emissionsfreien Antrieb steht bei vielen Betrieben noch an.

Tesla macht es möglich. Das Werk des Elektroautoherstellers in Grünheide hat die Fahrzeugindustrie in Berlin-Brandenburg auf ein neues Level gehoben. 200 Unternehmen mit 21.000 Beschäftigten sind hier tätig, knapp die Hälfte davon bei Tesla. Das US-Unternehmen ist in der Zukunft angekommen, während die meisten deutschen Firmen den Wandel vom fossilen zum emissionsfreien Antrieb noch vor sich haben.

„Den Wandel gestalten“ möchte das „Regionale Transformationsnetzwerk für die Fahrzeugindustrie Berlin-Brandenburg (Retranetz-BB)„, in dem sich IG Metall und Industrieverband, Wirtschaftsförderer und Wissenschaftseinrichtungen zusammengefunden haben.

Mit knapp acht Millionen Euro fördert das Bundeswirtschaftsministerium die Kooperation in der Hoffnung auf „Ideen von morgen“, wie Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) am Dienstag bei der ersten Netzwerkkonferenz im Produktionstechnischen Zentrum IPK der Fraunhofer Gesellschaft sagte.

Im ganzen Land finanziert der Steuerzahler 27 solcher Kooperationen mit insgesamt 200 Millionen Euro. „Schauen Sie auf die KMU“, also die kleineren Unternehmen, appellierte Kellner an die berlin-brandenburgischen Netzwerker. Das ist leichter gesagt als getan, wenn ein paar Große wackeln: In der Stadt Brandenburg produziert ZF mit 1500 Mitarbeitern nur noch ein paar Jahre Getriebe. Und in Ludwigsfelde läuft die Transporter-Fertigung von Mercedes 2028 aus.

Einige Unternehmen arbeiten noch unter Volllast, doch in ein paar Jahren ist Schluss.

Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner

Wie unterschiedlich der Wandel verläuft, hat das IMU Institut im Auftrag des Netzwerks bei 15 Betrieben ermittelt und dabei folgende Kategorien aufgestellt: standfeste, wankende und angezählte Betriebe. Acht von 15 Unternehmen geht es gut, da sie über Produkte mit Perspektive verfügen.

Das Tesla-Werk in Grünheide und seine Zulieferer bieten 21.000 Menschen Arbeit.

© dpa / dpa/Patrick Pleul

Vier sind angezählt, davon drei Zulieferer mit „massiv bis vollständig wegbrechendem Geschäftsmodell“, und drei Betriebe wanken: hier erodiert zwar das Geschäftsmodell, doch es gibt ein „realistisches Szenario für den Standorterhalt“. Einige Unternehmen arbeiteten noch unter Volllast, sagt Stefan Franzke, Chef der Wirtschaftsförderung Berlin Partner, dazu. „Dann ist Schluss. Das ist ein Riesenthema.“

Das Personal fehlt in vielen Bereichen

Das IMU hat 15 Betriebsräte sowie elf Geschäftsführer oder Werkleiter befragt. Knapp die Hälfte der Betriebe sind Zulieferer, drei gehören zu den Herstellern (OEM) und jeweils zwei sind als Entwicklungsdienstleister sowie in der Infrastrukturbereitstellung tätig. Ein Unternehmen baut Schienenfahrzeuge; Alstom, Siemens und Stadler sind in der Region präsent.

Auch für diese Branche könnte das Retranetz hilfreich sein, indem es Hilfestellungen gibt bei der größten Herausforderung: Arbeitskräfte finden beziehungsweise menschliche Arbeit durch intelligente Systeme ersetzen. Der IMU-Umfrage zufolge fehlen vor allem Mechatroniker und Elektroniker, sowie Personal für die Bereiche Hochvolttechnik, Engineering und IT. Es gebe „beachtliche Lücken in der systematischen Personalplanung und der Ermittlung von Personalbedarf“, wundert sich das IMU.

„Qualifikationen müssen im Mittelpunkt der Diskussionen stehen“, meint Eckart Uhlmann, der Institutsleiter des Fraunhofer IPK. Mit Assistenzsystemen, zumeist digitale Werkzeuge, könnten auch Nicht-Fachleute komplexere Arbeiten erledigen. In seinem Institut, wo 600 Personen an der Schnittstelle von Forschung zur Industrie arbeiten, werden solche Assistenzsysteme entwickelt und getestet.

Das Retranetz soll dazu beitragen, dass die mittelständischen Firmen damit in Berührung kommen. Uhlmann möchte mit neuen Prozessketten sowie Reallaboren die „Entwicklung und Erprobung der Transformationspotenziale“ voranbringen. „Wir sind nicht Baden-Württemberg und Bayern, aber wir müssen versuchen, dahinzukommen“, formuliert der Institutsleiter einen großen Anspruch.

Im Vergleich zu den Südländern ist Berlin eine industrielle Wüste. Doch die Ausstattung mit Wissenschaft und Start-ups ist vielversprechend. Staatssekretär Kellner sprach von der „großen Stärke in Forschung und Wissenschaft“. Brandenburg beziehungsweise die Region insgesamt werde vom reichlich vorhandenen Windstrom profitieren, der beispielsweise für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft benötigt werde. Schiffs- und Schwerlastverkehr, so der grüne Wirtschaftspolitiker, würden in absehbarer Zeit von Wasserstoffderivaten angetrieben – die womöglich in der Region produziert werden.

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