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Ist da noch etwas zu retten? Wirtschaftssenatorin Pop (v.r.) und BVG-Chefin Nikutta auf einem Besuch in Britz.

© Jörn Hasselmann

Berliner Verkehrsbetriebe: Mit 40 Jahren aufs Abstellgleis

Wirtschaftssenatorin Pop (Grüne) und BVG-Chefin Nikutta ergründen gemeinsam die U-Bahnkrise. In der Britzer Werkstatt wartet auf beide eine neue Hiobsbotschaft.

Es ist Montagmittag: Die riesige Halle steht voll mit Zügen. Was in jedem Industriebetrieb ein Zeichen boomender Konjunktur wäre, ist für die BVG das genaue Gegenteil – ein Zeichen akuter Krise. An einem Werktag dürfen eigentlich keine U-Bahnen in der Werkstatt stehen, sie müssen fahren. Es war also kein schöner Termin für BVG-Chefin Sigrid Nikutta und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Beide sind zu Gast in der Britzer U-Bahnwerkstatt. Deren Leiter erklärte den beiden Gleis für Gleis, wieso hier ein Zug parkt.

Auf dem ersten steht das größte Sorgenkind der BVG, die Reihe F79. Die „79“ steht für das Baujahr 1979. Der Zug ist fast 40 Jahre alt – und Schrott. Pop und Nikutta betrachten eine blanke Stelle am Wagenkasten. Ein Arbeiter hat die gelbe Farbe weggeschliffen, nun ist ein Riss zu erkennen. Pop und Nikutta fühlen mit den Fingern. Irreparabel. Nächster Halt des Wagens Nummer 2662: Schrottplatz. 26 von 70 Wagen dieser Serie fahren noch, die verbleibenden F79 dürften im Lauf des Jahres 2019 ausgemustert werden müssen, sagt Werkstattchef Thomas Burgemeister.

Jeder Zug ist alle zehn Wochen in der Werkstatt

Die Aussage ist für Berlin eine Katastrophe. Dann fehlen noch mehr Züge im täglichen Betrieb, die ersten neuen Züge sollen erst 2020 kommen, sagt Nikutta. Und die Züge auf den anderen Gleisen? Nummer 2520 hat eine defekte Tür, eine Antriebsstörung, und die Sicherung springt raus. 2826 daneben ist zur Routineuntersuchung da, alle 240 000 Kilometer müssen die Radsätze mit Ultraschall untersucht werden, das dauert. Alle 30 000 Kilometer ist eine kleine Untersuchung fällig, jeder Zug ist also alle zehn Wochen planmäßig in der Werkstatt. Auf den anderen Gleisen zwei Züge mit Türstörung und elektrischem Defekt.

Nur ein Gleis ist gerade frei geworden. Vandalen haben einem Wagen eine Scheibe rausgetreten. Zwar ist diese schnell eingesetzt – das Aushärten des Klebers dauert aber zwölf Stunden. Solange fehlt der Zug im Netz, hinzu kommen Stunden für An- und Abfahrt. Auf dem hintersten Gleis, etwas separiert, wird gereinigt, und zwar Graffiti. Mühselig per Hand und Schrubber. Auch das dauert, auch dieser Zug fehlt.

„Wir merken, dass 20 Jahre nichts investiert wurde in neue Züge.“

Am Ende des Rundgangs sagt Ramona Pop ernüchtert: „Wir merken, dass 20 Jahre nichts investiert wurde in neue Züge.“ Neben dem Kauf von Wagen plant die BVG auch eine Erweiterung der Werkstatt in Britz, knapp drei Hektar Fläche wären frei, müssen aber bezahlt werden. „Wer neue Züge kauft, muss sie auch irgendwo warten“, sagt Nikutta. Diese Halle soll ein extra „Graffiti-Gleis“ bekommen, damit Schmierereien schneller entfernt werden können.

Die Arbeit wird den 700 Monteuren in den vier Werkstätten nicht ausgehen. Denn Burgemeister hat noch eine Hiobsbotschaft parat. Die modernste Baureihe für Linien 5 bis 9 (Serienlieferung ab 1997) kommt in die Jahre, es häufen sich an den „H“-Zügen technische Probleme, vor allem am Antrieb und an den Übergängen. „Wir fahren die Züge auf 110 Prozent“, sagt Burgemeister und meint damit: Das wird nicht mehr lange gut gehen.

Durch die ständige Fülle in den Zügen seien diese wesentlich stärker belastet als früher. Ab März wird der Takt auf stark befahrenen Linien vermutlich auf fünf Minuten verlängert. Dadurch gewinnt die BVG wieder ein paar Reservezüge, die erst vor einigen Wochen aus Not eingespart wurden, berichtet Nikutta. Fällt derzeit ein Zug aus, kann er nicht ersetzt werden. Auf der Anzeige am Bahnsteig steht dann: „Nächster Zug in 11 Minuten“ – so auch am Montag nach der Werkstattbesichtigung. Die Wirtschaftssenatorin weiß jetzt, wo der fehlende Zug ist.

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