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Sensibles Material. Der Untersuchungsausschuss „Terroranschlag Breitscheidplatz“ arbeitet seit fast neun Monaten.

© Christian Ditsch/Imago

Berliner Untersuchungsausschuss: Affäre um Amri-Akten betrifft auch "heikle Dokumente"

Leere Ordner, überklebte Aktenrücken, Papiere aus dem Zusammenhang gerissen. Im Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri bahnt sich eine neue Affäre an.

Schlechte Kommunikation zwischen den Polizeibehörden, Lücken in der Observation, Vorwürfe manipulierter Ermittlungsakten – der Berliner Untersuchungsausschuss im Fall Amri hat schon viele skandalöse Vorgänge ans Licht befördert. Nun gerät der Ausschuss selbst in den Fokus der Öffentlichkeit, besonders der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger, Innenexperte der CDU-Fraktion. Die Senatsjustizverwaltung wirft Dregger vor, Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft unzulässig verändert zu haben. Dadurch sei „der Wert der Beweismittel deutlich gesunken“, erklärte Sebastian Brux, Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

Eine Aktenmappe fehlt komplett

Die Original-Akten wurden nach Angaben von Brux dem Amri-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt. Weil sich inzwischen im Bundestag ein weiterer Untersuchungsausschuss konstituiert hat, wurden die Akten am 20. März im Abgeordnetenhaus abgeholt. Dabei seien die Veränderungen aufgefallen.

Es wurden laut Brux „komplette Ordnerinhalte aus Original-Aktenordnern des LKA“ entnommen und in veränderter Reihenfolge in einen neuen Stehordner abgeheftet. Den Inhalt eines weiteren Ordners „fanden wir ausgeheftet auf einem roten und blauen Heftstreifen lose vor, ohne dass der ursprüngliche Aktenzusammenhang noch erkennbar war“. Insgesamt vier leere Originalordner seien den Mitarbeitern der Justizverwaltung ausgehändigt worden. Eine rote Original-Aktenmappe fehle bislang komplett. Außerdem seien Original-Etiketten weiterer Aktenordner so überklebt worden, dass sie nicht ohne Schäden entfernt werden könnten.

Bei dem Anschlag am 19. Dezember 2016 kamen 12 Menschen ums Leben.
Bei dem Anschlag am 19. Dezember 2016 kamen 12 Menschen ums Leben.

© dpa

Bei den Ordnern aus dem Landeskriminalamt (LKA) handele es sich um „heikle Dokumente“, etwa Observationsberichte zu Amri, die erst Wochen nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz sichergestellt wurden, sagte Brux. Wenn die Reihenfolge solcher Akten verändert werde, könnten dienstliche Abläufe innerhalb der Behörde möglicherweise nicht mehr rekonstruiert werden. Denkbar wäre auch, dass nicht mehr feststellbar ist, ob Akten fehlen, also vor der Übermittlung an die Staatsanwaltschaft entnommen wurden.

Dregger vermutet eine Intrige

Burkard Dregger weist die Vorwürfe zurück und spricht von einem Angriff auf die „Integrität des Untersuchungsausschusses und des gesamten Berliner Abgeordnetenhauses“. Den Zustand der Akten habe Justizstaatssekretärin Martina Gerlach in einer vertraulichen Mail am 28. März an ihn moniert, wenige Stunden später habe bereits das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ davon Kenntnis gehabt und bei ihm angefragt. Dregger vermutet eine „konzertierte Aktion, an der die Senatsjustizverwaltung und der Abgeordnete Lux beteiligt sind.“

Benedikt Lux, Innenpolitiker der Grünen und selbst Mitglied im Untersuchungsausschuss, hat Dregger in einem Tweet direkt beschuldigt: „Unsere Kriminalbeamten dürfen die Originalinfos nicht verändern. Unser Ausschussvorsitzender reißt aber eigenmächtig die wichtigen Akten der Staatsanwaltschaft auseinander. Der Aufklärung erweist er einen Bärendienst.“

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Eine Untersuchung der Vorwürfe habe er bereits veranlasst, erklärte Dregger. Nach Ostern würden die Mitarbeiter aus dem Büro des Untersuchungsausschusses unter anderem prüfen, „in welchem Zustand die Akten uns erreicht haben.“ Die Mitarbeiter würden übersandte Akten „überaus sorgfältig entgegennehmen“, davon habe er sich selbst „wiederholt überzeugt“. Er selbst habe „die Originalakten nie in der Hand gehabt.“ Sich darum zu kümmern, sei auch gar nicht seine Aufgabe.

Original-Akten werden nicht rekonstruiert

Das sieht die Justizverwaltung anders. Man habe die Original–Akten eigentlich gar nicht herausgeben wollen, doch der Untersuchungsausschuss habe darauf bestanden. In mehreren Gesprächen sei Dregger hingewiesen worden, dass die Akten nicht verändert werden dürften. Dregger habe am 8. September 2017 dennoch öffentlich erklärt, „die Justiz habe nicht so geordnet geliefert, weshalb man dies nun nachholen müsse.“ Dregger kann sich an eine solche Äußerung „nicht im Detail erinnern.“ Hinweise an ihn über den Umgang mit Originalakten habe es nicht gegeben.

Dregger kündigte „Konsequenzen“ an. „Es ist völlig unverhältnismäßig, wie hier Propaganda betrieben wird.“ Das werde die weitere Arbeit des Untersuchungsausschusses behindern. Laut Brux behindert es vor allem die Arbeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses, der sich am 1. März konstituiert hat. Der werde jetzt nur noch die veränderten Original-Akten erhalten. Die Justizverwaltung werde nicht versuchen, die Akten anhand von Kopien zu rekonstruieren. Damit würde man sich selbst angreifbar machen.

Die Amri-Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses, des Landtags von Nordrhein-Westfalen und des Bundestags werden in den nächsten Monaten parallel an der Aufklärung des Skandals arbeiten. Ein Ende des Berliner Ausschusses sei derzeit nicht absehbar, sagte Dregger und kündigte weitere Zeugenvernehmungen an. Auch die Akten-Affäre werde dort zur Sprache kommen.

Eine kurze Chronik

19.12.2016: Anis Amri lenkt einen Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz. Zwölf Menschen kommen ums Leben.

23.12.2016: Amri wird bei einer Polizeikontrolle nahe Mailand getötet.

3.4.2017: Senat setzt einen Sonderermittler zur Aufklärung der Pannen im Fall Amri ein.

6.7.2017: Das Abgeordnetenhaus beschließt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. In NRW war schon seit Februar ein U-Ausschuss aktiv.

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