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Im bundesweiten Vergleich schwächelt Berlin bei der Vermittlung ökonomischer Kenntnisse in den Schulen.

© Getty Images/iStockphoto

Berliner Unternehmergeist: Mehr Querdenker braucht die Stadt!

Damit es in Berlin wieder mehr Unternehmer gibt, sollten Schüler zum Gründen motiviert werden, fordern Experten. Doch der Berliner Senat sperrt sich.

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, sondern auch die Nation der Gründer. Das zeigt ein Blick ins Geschichtsbuch: Werner von Siemens, Robert Bosch oder Alfred Krupp sind nur drei von unzähligen Industriellen, die unsere Volkswirtschaft geprägt haben. Ein Blick auf die Statistik zeigt allerdings, dass der Gründergeist in der deutschen Gegenwart nicht mehr allzu weit verbreitet scheint: Nur 557000 Personen haben 2017 eine neue selbstständige Tätigkeit aufgenommen, heißt es im Gründungsmonitor der KfW-Bankengruppe aus dem vergangenen Jahr.

Und obwohl sich Berlin in den vergangenen Jahren zum Start-up-Zentrum der Republik entwickelt hat, sieht es auch in der Hauptstadt nicht besser aus: In Berlin Gründeten 2017 laut KfW je 10 000 Erwerbsfähigen lediglich 207 für die Selbstständigkeit – was ein Minus von 31 Menschen zum Vorjahr darstellt.

Gründer oder Zappelphilipp?

Doch woran liegt das? Daniel-Jan Girl glaubt, dass die hauptstädtische Gründungsmüdigkeit, Folge verfehlter Bildungsarbeit ist: „Ich habe oft den Eindruck, dass Berliner Schüler einer Selbstständigkeit sehr skeptisch gegenüberstehen.“ Girl muss es wissen, denn mit der Deutschen Gesellschaft für multimediale Kundenbindungssysteme (DGMK) hat er nicht nur ein Unternehmen gegründet, für die IHK-Initiative „Ich mach' mich selbstständig“ (IMMS) besucht er seit Jahren Schulklassen, um Schüler zum Gründen zu motivieren.

„Ich selbst war in der Schule wohl das, was man früher als ‚Zappelphilipp' bezeichnet hat“, erinnert sich Girl. Aber auch der Gründerwunsch war damals schon vorhanden: „Ich wollte schon immer etwas machen, was von mir kommt – meine eigene Idee umsetzen“, sagt Girl. Weshalb er bereits kurz nach dem Abi, mit 21 Jahren, sein erstes Unternehmen gründete, das die damals in Berlin beliebte „Partycard“ vertrieb: Eine Chipkarte, mit der es Rabatte in den Clubs der Stadt gab.

Vorbildfunktion. Fabian Görres (r.) und Daniel Girl motivieren Schüler zum Gründen.
Vorbildfunktion. Fabian Görres (r.) und Daniel Girl motivieren Schüler zum Gründen.

© DAVIDS/Laessig

Die Gründung verlief damals gänzlich ohne unternehmerische Vorkenntnisse, denn die Wirtschaft fand in der Schule allenfalls am Rande statt. Was sich bis heute nicht geändert hat. Die überwiegende Mehrheit der Bildungsministerien in den Bundesländern hält unternehmerische Bildung in den Schulen zwar für eine politisch relevante Thematik, die Berliner Senatsverwaltung gehört allerdings nicht dazu.

Das besagt eine Kienbaumstudie zu Unternehmergeist in Schulen von August 2018. Darin heißt es: „Alle befragten Akteure sehen bei Schülern und Schülerinnen deutliche positive Effekte durch die Teilnahme an Unternehmergeist-Maßnahmen“. Die Studie spricht sich deshalb für eine stärkere Integration von Wirtschaftsthemen in den Schulunterricht aus. Gerne auch als eigenes Schulfach. Schließlich lasse sich konstatieren, „dass sich ein Schulfach Wirtschaft als Anker für unternehmerische Bildung langfristig positiv auswirkt.“

Berlin fehlt die liberale Grundstimmung

Auch Sven Ripsas, Professor für Entrepreneurship an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) sieht in der Hauptstadt Handlungsbedarf: „Dass in Berlin im Vergleich zum Rest der Republik eine besondere Rückständigkeit bei der Vermittlung eines ökonomischen Verständnisses in den Schulen herrscht, unterschreibe ich sofort.“ Die Identifikation mit den Unternehmensgründern, wie sie in Baden Württemberg oder Bayern noch vorhanden ist, sei in Berlin historisch bedingt verloren gegangen - erst hätten die Nazis gestört, dann die Kommunisten. „Hier sagt niemand so was wie ‚ich arbeite beim Siemens oder bei Daimler'. In Berlin herrscht keine mittelstandsfreundliche, liberale Grundstimmung.“

Besteht Hoffnung, dass sich das ändern wird? Ripsas zeigt sich optimistisch. Seit über 20 Jahren ist er in der Lehrerfortbildung in Berlin tätig und weiß, dass viele Lehrkräfte sich sehr schnell für das Thema Entrepreneurship begeistern und auch gerne bereit sind, auf dem Gebiet mehr Engagement zu zeigen. Bewegen müsse sich allerdings die Politik: „In den meisten anderen Ländern ist Entrepreneurship schon längst Teil der Lehrerausbildung. Der hiesige Senat ist leider alles andere als gewillt, Berlin da aufholen zu lassen. Es gab schon viele Gespräche mit verschiedenen Initiativen, aber Rot-Rot-Grün mauert.“

Dabei gäbe es interessante Vorbilder: Ein Schulfach „Wirtschaft“ etwa, gibt es bereits in Bayern, Baden-Württemberg und bald auch in Nordrhein-Westfalen. In Berlin ist Wirtschaft hingegen nur anteilig in den Rahmenplänen vertreten. In Sekundarschulen gibt es außerdem das Sammelfach „Wirtschaft-Arbeit-Technik“ (WAT) mit einem Umfang von mindestens zwei Stunden in den Klassenstufen sieben bis zehn. Gymnasien können zusätzlich das Wahlpflichtfach Sozialwissenschaften/ Wirtschaftswissenschaften anbieten. Ein eigenes Schulfach Wirtschaft stehe derzeit aber nicht zur Diskussion, heißt es seitens der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

In den Büchern verpönt

Im bundesweiten Vergleich schwächelt Berlin bei der Vermittlung ökonomischer Kenntnisse in den Schulen.
Im bundesweiten Vergleich schwächelt Berlin bei der Vermittlung ökonomischer Kenntnisse in den Schulen.

© Getty Images/iStockphoto

Ob Wirtschaft wirklich zum Thema gemacht wird, hängt in der Praxis also vom Profil der Schule, der Ausbildung und dem individuellen Engagement der Lehrer und nicht zuletzt vom Interesse der Schüler ab, erklärt der Vorsitzende des Geschichtslehrerverbands in Berlin, Peter Stolz. Er hält es für wünschenswert, wirtschaftliche Aspekte stärker in den Schulalltag zu integrieren. Das Bewusstsein dafür, dass ökonomische Überlegungen alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer prägen, müsse schon in der Lehrerausbildung stärker vermittelt werden, so stolz. Die Wirtschaft werde hier bisher nur stiefmütterlich behandelt.

Doch auch die Lehrmaterialien sind wenig hilfreich, wenn es darum geht, Berliner Schüler neugierig auf das Unternehmertum zu machen. Das liege wohl auch am schlechten Image, das der Marktwirtschaft in der Lehre immer noch anhaftet, glaubt Stolz. „Die Lehrbücher stellen Marktwirtschaft und Kapitalismus immer noch mehrheitlich als etwas Negatives dar“.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine 2010 vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut durchgeführte und von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Auftrag gegebene Studie zur Darstellung von Marktwirtschaft und Unternehmertum in Schulbüchern in Deutschland und in der deutschsprachigen Schweiz. „Während Wirtschaftskundebücher oft sehr sachlich und ausgewogen sind, gilt dies insbesondere für Erdkunde- und Geographiebücher nicht. Hier zeigt sich deutlich eine marktkritische beziehungsweise marktfeindliche Grundhaltung, sowie eine tendenziöse und teilweise sachlich falsche Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge. Die Geschichts-, Politik- und Gesellschaftskundebücher schwanken zwischen diesen beiden Polen“, heißt es in dem Papier.

Unternehmer oder Ausbeuter?

„Wenn man so destruktiv an die Materie herangeht, blocken viele Schüler natürlich ab", sagt Pädagoge Peter Stolz. Viel sinnvoller wäre es, Wirtschaftsthemen nicht ständig zu politisieren, sondern stattdessen mit den Schülern die Chancen und Möglichkeiten einer Marktwirtschaft sachlich zu diskutieren. Die Schüler hätten schließlich mehr davon, wenn sie anstatt seitenlangen Erörterungen über Karl Marx, Debatten über einen zeitgemäßen bewussten und kreativen Umgang mit dem Markt lesen könnten.

Ganz ähnlich sieht es auch HWR-Professor Sven Ripsas. „Berlin braucht ein positives Wirtschaftsbild im Unterricht. Die Schüler sollten lernen, dass selbstständige Personen – der türkische Schneider und die deutsche Bäckerin – keine kapitalistischen Ausbeutermonster sind, sondern Leute, die ihre Familien ernähren und diese Gesellschaft voranbringen.“

Unternehmer und Kapitalisten seien eben nicht das Gleiche, das war in der Historie eigentlich immer strikt getrennt. „Es gibt einen Markt für Kapital und einen für Ideen – da sind die Entrepreneure. Diese moderne ökonomische Theorie ist in den Schulen leider noch nicht angekommen“, bemängelt Ripsas.

Es geht ums Mutmachen

Wichtig sind letztlich aber vor allem persönliche Vorbilder - und denen begegnen Schüler nur in Projekten wie der IHK-Initiative „Ich mach mich selbstständig“. Mehr als 50 Berliner Unternehmer haben sich bereits den Fragen der Schüler gestellt, einer von ihnen ist Fabian Görres. „Natürlich wirken Begriffe wie Gewerbeanmeldung, Steuererklärung und Finanzamt auf junge Leute erst mal bedrohlich“, erzählt Fabian Görres. „Deswegen ist es so wichtig, dass man einen Ansprechpartner hat, der einen dabei an die Hand nimmt“.

Angefangen hat Görres als selbstständiger Fotograf. Heute leitet er die Veranstaltungsagentur Breakout Moments. Auch sein Start in die Selbstständigkeit war ein hartes Stück Arbeit: Am meisten habe er dabei aus den Fehlern gelernt, sagt Görres. Um anderen jungen Leuten die Angst vorm Fehlermachen zu nehmen und sie zu motivieren, eigene Pläne zu verfolgen, gehen er und Daniel Girl für IMMS in die Klassenzimmer und erzählen von sich. Das positive Feedback der Schüler bestätigt sie.

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