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Lisa Jani

© Kitty Kleist-Heinrich/Tagesspiegel

Berliner Richterin über Prozess gegen Holocaustleugnerin: „Ich fühlte mich gelegentlich wie in einem schlechten Film“

Die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck stand 2022 vor Gericht. Richterin Lisa Jani erzählt hier erstmals, wie sie die 94-Jährige und deren Unterstützer erlebte.

Lisa Jani ist Richterin und gleichzeitig Sprecherin der Berliner Gerichte. In einer neuen Folge des Tagesspiegel-Podcasts „Tatort Berlin“ berichtet sie von einem Verfahren, das vergangenes Jahr größere mediale Aufmerksamkeit erfuhr. Die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck musste sich erneut wegen Volksverhetzung verantworten, diesmal drohte Gefängnis.

Frau Jani, im März 2022 sollten Sie über die Schuld von Ursula Haverbeck entscheiden. Im Prozess behauptete die Angeklagte etwa, Auschwitz sei gar kein Vernichtungslager gewesen, die Schornsteine seien „zum Brotbacken“ dagewesen. Spielt es eine Rolle, dass die Frau bei Prozessbeginn schon 93 Jahre alt war? 
Als Richterin habe ich natürlich zunächst überlegt, ob sie aufgrund ihres Alters bei den Taten vielleicht gar nicht mehr schuldfähig gewesen ist – oder inzwischen verhandlungsunfähig. Ob sie zum Beispiel an Demenz leiden könnte. Doch als sie zu sprechen begann, wurde schnell deutlich, dass sie geistig noch sehr wach ist und auch weiterhin jede Menge Sendungsbewusstsein hat

Mit welcher Strategie hat sich die Angeklagte verteidigt? 
Sie redete sich um Kopf und Kragen und leugnete dabei erneut den Holocaust. Sie behauptete etwa, mit Zyklon B könne man gar keine Menschen umbringen, dies habe sie in einem Chemiebuch nachgelesen. Dadurch sei erwiesen, dass in Auschwitz keine Vergasungen stattgefunden haben könnten. Sie habe „alles“ gelesen, was es zu dem Thema gebe, aber keine Belege gefunden. 

Es wurde deutlich, dass Frau Haverbeck sich zwar als Forscherin gerierte, aber eben keine ist. Dass sie unwissenschaftlich und unredlich argumentierte, dass sie die Forschungsergebnisse echter Historiker ignorierte. Die Angeklagte sprach auch oft vom Deutschen Reich – von der Bundesrepublik und deren Gesetzen dagegen nicht. Ich dafür umso mehr. 

War Ihnen die Szene der Holocaustleugner vor Ursula Haverbeck ein Begriff? 
Nein, ich wusste nicht, dass es so etwas in diesem Ausmaß überhaupt gibt. Ich fühlte mich gelegentlich wie in einem schlechten Film. 

Die Angeklagte hatte auch Unterstützer im Saal, die den Prozess störten. 
An einem Verhandlungstag erschien eine Gruppe von Claqueuren, das waren Skinheads wie aus dem Bilderbuch. Die haben angefangen zu klatschen, als die Angeklagte etwas gesagt hat. Ich habe dann klargestellt, dass solche Bekundungen im Gerichtssaal nicht toleriert werden und dass sie, sollten sie das noch einmal versuchen, ein Ordnungsgeld aufgebrummt bekommen und aus dem Saal fliegen. Das habe ich sehr bestimmt gesagt, und dann war auch Ruhe. Nach anderthalb Stunden sind die wieder gegangen. 

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Wie sind Sie Richterin geworden? 
Über Umwege. Es war nie mein Kindheitstraum. Eigentlich wollte ich Journalistin werden, habe früh für den „Oranienburger Generalanzeiger“ geschrieben, dann nach dem Abitur in Berlin eine Redakteursausbildung an einer Journalistenschule absolviert und anschließend als freie Journalistin gearbeitet ... 

Unter anderem beim Tagesspiegel, aber auch beim ZDF.
Ich wollte danach aber unbedingt noch studieren und fragte Kollegen, welches Fach sie an meiner Stelle wählen würden. Sehr viele haben „Jura“ geantwortet – um den Staat, seine Strukturen und seine Funktionsweise besser zu verstehen. Das leuchtete mir ein, außerdem ist mein Vater auch Jurist, also habe ich an der Humboldt-Uni Rechtswissenschaften studiert.

Ein Seminar zur Strafbarkeit der sogenannten Mauerschützen hat dann mein Interesse fürs Strafrecht geweckt. Nach dem Referendariat bin ich später zunächst Staatsanwältin geworden, dann Sprecherin der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, und anschließend bin ich zur Richterin gewählt worden.

Natürlich hätte ich auch als Anwältin irgendwo ein Heidengeld machen können, aber ich denke nicht, dass mich das so erfüllt hätte wie mein jetziger Beruf. 

Lisa Jani, Richterin und Sprecherin der Berliner Gerichte

Was ist erfüllender: die Arbeit als Staatsanwältin oder als Richterin? 
Richterin zu sein ist für mich einen Zacken schöner, weil man entscheiden kann. Und ich entscheide sehr gerne. Ich habe ein sehr gefestigtes Wertekostüm, und es ist schön, wenn man das zur Anwendung bringen darf. Für manche hört sich das vielleicht seltsam an, wenn ich sage: Entscheiden macht mir Spaß!

Aber Gesetze zu sehen und sie auch im Lichte unserer Verfassung interpretieren und anwenden zu können, das gibt mir das Gefühl, dass ich gesellschaftlich meinen Beitrag leisten kann. Für mich ist das wirklich wichtig. Natürlich hätte ich auch als Anwältin irgendwo ein Heidengeld machen können, aber ich denke nicht, dass mich das so erfüllt hätte wie mein jetziger Beruf. 

Hat der Richterberuf auch nervige Seiten? 
Manche Aktenlektüre ist nicht so angenehm. Insbesondere bei Betrugsverfahren, wenn es um Geld geht und man jeden Cent nachrechnen muss, sich seiten- oder gar bändeweise durch Kontoauszüge wühlen muss. Das ist für mich persönlich meist etwas mühsam, da ich mich für Geld grundsätzlich nicht so sehr interessiere. Taten, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen geht, liegen mir mehr. Da habe ich auch am ehesten das Gefühl, die Menschen, die da vor mir sitzen, zu erreichen. 

Wie meinen Sie das? 
Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Verhandlung, bei der es um Körperverletzung ging. Zwei Autofahrer hatten sich im Straßenverkehr in die Haare gekriegt und haben auf der Fahrbahn angehalten, sind beide ausgestiegen. Mein Angeklagter ist völlig ausgetickt und hat den anderen zusammengeschlagen.

Ich war auf eine sehr konfliktreiche Verhandlung eingestellt, stattdessen gab der Angeklagte alles unumwunden zu und fragte mich, ob er kurz aufstehen dürfe, ging dann rüber zu dem Geschädigten und nahm ihn in den Arm. Dann haben sich beide gegenseitig auf die Schulter geklopft, der Geschädigte konnte verzeihen, und mir war klar: Der Rechtsfrieden kann hergestellt werden, ohne dass ich jetzt das ganz scharfe Schwert des Strafrechts zücken muss. Das Verfahren habe ich gegen Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung eingestellt.

Als Richterin, aber auch als Sprecherin der Berliner Gerichte werden Sie oft mit üblen Schicksalen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um? 
Gerade Fälle von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungen von Kindern sind für mich manchmal schwer zu ertragen. Doch ich versuche, diese Schicksale nicht zu sehr an mich heranzulassen, stets die professionelle Sichtweise beizubehalten. Zum Glück gelingt mir das.

Wenn ich abends unterwegs bin, schaue ich mich auch nicht dauernd um. Obwohl ich den ganzen Tag über mitbekomme, dass Menschen anderen Menschen Unrecht tun. Es mag kitschig klingen, aber ich habe den Glauben an die Menschlichkeit nicht verloren – und erst recht nicht an unseren Rechtsstaat.

Wie bewerten Sie die mediale Berichterstattung über Prozesse, also die Arbeit Ihrer Ex-Kollegen? 
In den letzten Jahren beobachte ich leider, dass es immer weniger eingefleischte Gerichtsreporter:innen gibt. Viele Verlage können sich das offensichtlich nicht mehr leisten und schicken stattdessen Mitarbeiter, die keine Ahnung haben von Strafverfahren, teilweise auch Praktikanten. Das bedeutet, dass ich in Gesprächen oft bei den Grundlagen anfangen muss.

Neulich habe ich mich zum Beispiel ziemlich gewundert über eine Fernsehreporterin, die mich wegen eines Verfahrens zu den sogenannten „Silvesterkrawallen“ angerufen und gefragt hatte, ob sie für die Vorberichterstattung Videoaufnahmen von dem Vorfall bekommen könnte. Da war ich ziemlich konsterniert. Wir geben doch keine Beweismittel raus, damit die vor der Gerichtsverhandlung im Fernsehen gezeigt werden!

Oder bei dem Geldtransporter-Überfall auf dem Kurfürstendamm, an dem ein Mitglied einer sogenannten polizeibekannten Großfamilie beteiligt war. Da wurde ich von Journalisten tatsächlich gefragt, weshalb der Mann nicht schon vorher weggesperrt worden sei, weil man doch aufgrund seines Nachnamens hätte ahnen können, dass er straffällig werden würde. 

Au weia. 
Häufig muss ich auch daran erinnern, dass es die Unschuldvermutung gibt und dass vorverurteilende Berichterstattung in der Presse oft zu Strafabschlägen führt. Wenn zum Beispiel ein Angeklagter in einem Missbrauchsfall vorab öffentlich an den Pranger gestellt wird, dann muss das Gericht dies gegebenenfalls strafmildernd berücksichtigen.

Dann kann es sein, dass ein Täter nicht zu sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt wird, sondern nur zu sieben Jahren, weil die mediale Vorverurteilung so gravierend war. Deswegen versuche ich Journalisten nahezulegen, erstmal abzuwarten, bis alle Beweise in der Hauptverhandlung erörtert wurden und ein Schuldspruch erfolgt ist. Das Urteil kann man hinterher ja immer noch kritisieren. 

Okay, um es kurz zu machen: Wir Journalisten sind ein Haufen Vollversager? 
Nein, nein, es gibt auch viele tolle Gerichtsberichterstatter. Bei denen merkt man, dass sie die Verfahren fachkundig begleiten, dokumentieren und kritisch einordnen – aber eben nicht selbst entscheiden wollen. Das ist der Unterschied. 

Frau Jani, in Fernsehberichten sieht man Sie manchmal, wie Sie auf den Gerichtsgängen von aufgebrachten Menschen in bizarre Diskussionen verwickelt werden und dabei erstaunlich gelassen bleiben … 
In der Pandemie musste ich immer wieder Coronaleugnern erklären, weshalb sie Maske tragen und Abstand halten mussten. Bei anderer Gelegenheit wollten die Anhänger eines bestimmten Youtubers unbedingt mit ihren an langen Stäben befestigten Deutschlandfahnen ins Gerichtsgebäude – als sie erfuhren, dass das schon aus Sicherheitsgründen nicht geht, stimmten sie aus Trotz im Foyer des Kriminalgerichts die Nationalhymne an.

Da hilft es nicht loszupoltern, da bleibe ich besser ruhig. Das gelingt mir nicht immer, aber immer häufiger. Im Falle der singenden Menge haben meine Kolleg:innen und ich einfach abgewartet, bis sie fertig waren, und haben sie dann freundlich nach draußen verwiesen. Das hat funktioniert.

In der Szene der Querdenker und Verschwörungsgläubigen gibt es auch Aktivisten, die sich gern als Journalisten ausgeben. Wie gehen Sie mit denen um? 
Ich lasse mir den Presseausweis zeigen, wobei es natürlich nicht reicht, wenn man sich den irgendwo im Internet gekauft oder gleich selbst gebastelt hat. Mir ist schon alles Mögliche unter die Nase gehalten worden. Einer hatte auf einen Zettel „Presseausweis! Artikel 5 Grundgesetz!“ geschrieben und zu Hause laminiert, das war ganz niedlich. Oder neulich der Ausweis von einer „druidisch-elbischen Pressevereinigung“. Den habe ich natürlich auch nicht akzeptiert.

Wegen Ihres Prozesses gegen die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck wurden Sie online mit Hass überzogen, Haverbecks Anhänger veröffentlichten regelrechte Hasspamphlete gegen Sie. Wie verkraften Sie das? 
Ich schaue nicht nach, was im Internet über mich verbreitet wird. Es interessiert mich einfach nicht, was solche Kreise über mich behaupten. Sollen die sich aufregen. Das ist mir egal. Vielmehr zeigt es mir, dass ich auf der richtigen Seite stehe.

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