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Berlin will die Spiele. Der von CDU und SPD geführte Senat hat sein Interesse an einer Austragung der Olympischen Spiele bekundet – im Jahr 2036 oder 2040.

© dpa/Mike Egerton

Berliner Olympia-Bewerbung: Wie fit ist die Hauptstadt für die Spiele?

Der Berliner Senat hat sein Interesse für die Olympischen Spiele in Berlin bekundet. Aber wie olympiatauglich ist die Hauptstadt? Ein Faktencheck.

Der Senat läuft sich warm. Die von CDU und SPD geführte Landesregierung hat ihr Interesse an einer Olympia-Bewerbung der Hauptstadt 2036 oder 2040 bekundet – wenn sich der Deutsche Olympische Sportbund am 2. Dezember für eines der beiden Austragungsjahre bewirbt. In dieser Woche wurde ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet, mit dem eine „deutsche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele“ unterstützt werden soll.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) spricht von einer „Riesen-Chance“ für Berlin. Favorisiert wird das Jahr 2036; hundert Jahre nach den Nazi-Spielen von 1936 soll sich die Stadt als „bunte, vielfältige, diverse, offene Metropole“ präsentieren, so der Wunsch des Regierenden.

Doch wie fit ist die Hauptstadt für die Spiele? Wie weit reicht der Sportsgeist und wie gut ist Berlin aufgestellt? In welchen Bereichen ist hartes Training erforderlich, um das große Ziel zu erreichen? Hier folgt ein Faktencheck.

Manchen Sportler sind die olympischen Ringe ein Tattoo wert.
Manchen Sportler sind die olympischen Ringe ein Tattoo wert.

© imago/GEPA pictures/Daniel Schoenherr

Sportstätten

Bei den olympiatauglichen Sportstätten steht die Stadt, die es in diesem Jahr nicht einmal schafft, ihre großen Eisbahnen (Wedding, Neukölln schon im zweiten Jahr) für den Breiten- und Vereinssport zu öffnen, eher schlecht da.

Das Olympiastadion wird bis 2036 ein Jahrhundert hinter sich haben, für die Leichtathletik aber wohl mit Anpassungen noch nutzbar sein. Vielleicht gäbe es temporäre Notlösungen auf dem Messegelände oder auf dem Tempelhofer Feld für Sportarten wie Boxen, Fechten, Judo oder Gewichtheben. Das Velodrom und die Schwimmhalle an der Landsberger Allee sind zwar von den Zuschauerplätzen auch eher zu klein, genügen aber noch internationalen Standards. 

Für andere Sportarten sieht es durchweg schlecht aus. Im Profisport funktioniert es mit den nötigen großen Sportstätten nur dort, wo ein Investor am Werk ist (Mercedes-Benz-Arena) oder sich die Fans selbst ein Stadion bauen (beim 1. FC Union waren die Anhänger an den neuen Tribünen im Stadion an der Alten Försterei im Einsatz). Ein reines Fußballstadion für Berlin ist seit Jahren nur im Gespräch (Hertha BSC spielt wohl noch ewig im Olympiastadion).

Das Velodrom liegt verkehrsgünstig, ist aber recht klein.
Das Velodrom liegt verkehrsgünstig, ist aber recht klein.

© dpa/Gregor Fischer

Der Fußball ließe sich bei Olympia zwar ausgliedern, etwa nach Leipzig oder Wolfsburg, aber zum Beispiel für Feldhockey gibt es kein geeignetes Stadion. Bei den großen Hallensportarten wie Basketball, Handball und Volleyball könnten wichtige Spiele in der Mercedes-Benz-Arena absolviert werden, wenn diese Halle denn bei Olympia zum Einsatz kommt – für den Veranstalter wäre es auch lukrativ, andere Veranstaltungen hier auszurichten.

Doch wohin mit den vielen Vorrundenpartien? Die Max-Schmeling-Halle ist wegen der zu geringen Zuschauerkapazität und den entsprechenden logistischen Möglichkeiten nicht olympiatauglich, es müssten also Neubauten her. Und die sind teuer. Zudem müsste geklärt sein, dass sie auch anschließend genutzt werden können.

Chancen für den Breitensport

Für den Breitensport haben Olympische Spiele nach Ansicht des Landesportbunds (LSB) eine enorme Bedeutung. „Die Aufmerksamkeit für den Sport durch die Weltereignisse Olympia und Paralympics kann gerade auch Menschen motivieren, sich im Sport beruflich oder ehrenamtlich zu engagieren“, sagt LSB-Direktor Friedhard Teuffel. „Das gilt sowohl für den Nachwuchsbereich, den Breiten-, Gesundheits- und Leistungssport als auch für Sportlehrkräfte. Sie leisten damit einen Beitrag gegen den wachsenden Bewegungsmangel.“

Der Direktor verweist auf das „signifikanteste Beispiel in Deutschland“, nämlich „die Olympischen Spiele 1972 in München“. Damals hätten viele Menschen in Deutschland Volleyball erstmals live und in Farbe erlebt und sich für diese Sportart begeistert. Die 1970er-Jahre seien gerade in der Bundesrepublik ein Boomjahrzehnt für den Sport mit der Trimm dich-Bewegung und einem enormen Wachstum der Vereinsmitgliedschaften gewesen.

Die Fanmeile war bei der Fußball-WM 2006 immer voll.
Die Fanmeile war bei der Fußball-WM 2006 immer voll.

© picture-alliance/ dpa/Gero Breloer

Nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 verzeichnete der Berliner Fußball-Verband einen Zuwachs von 3,6 Prozent – ein Drittel mehr als im vergleichbaren Zeitraum vor der Weltmeisterschaft. Vor allem bei Jugendlichen und Mädchen gab es einen auffälligen Zuwachs.

Allerdings stoßen Kinder, Jugendliche und Erwachsene schon heute immer wieder an Grenzen, weil diverse Sportvereine oder Vereins-Abteilungen an Kapazitätsgrenzen stoßen. Entweder fehlt es an Trainingsplätzen oder an Trainern. Gerade bei Schwimmvereinen hat sich die Situation enorm verschärft, weil es an Wasserfläche fehlt. Aber auch bei Hallensportarten wie Basket- oder Volleyball können diverse Vereine mangels Platzkapazitäten keine neuen Spieler mehr aufnehmen.

Dem LSB ist das Problem bekannt. LSB-Präsident Thomas Härtel sagt: „Eine Bewerbung für 2036 oder 2040 ergibt nur Sinn mit einem klaren, auch politischen Bekenntnis dazu, den Wert des Sports zu festigen, großflächig Sportstätten für den Breitensport und den Sport für alle zu sanieren oder zu errichten und mehr Angebote für unterschiedlichste Zielgruppen zu schaffen.“ 

Sicherheit

Die Fußball-Europameisterschaft 2024 ist ein kleiner Test: Berlin ist nicht alleiniger Austragungsort, in zehn deutschen Städten wird gespielt. Auch bei möglichen Olympischen Spielen 2036 oder 2040 ginge es um eine nationale Bewerbung. Auch München, Hamburg, Leipzig und wahrscheinlich Düsseldorf haben Interesse, wenn auch nicht alle Städte dabei sein würden.

Für die Berliner Polizei wird schon die Euro 2024 zur Herausforderung. Intern ist bereits von einer Urlaubssperre für diese Zeit die Rede. Immerhin soll bis dahin ein Anti-Drohnen-Projekt aufgesetzt werden, um Flugobjekte unschädlich machen zu können.

2,5 Millionen
Überstunden sind bis Ende Oktober bei der Polizei aufgelaufen.

Die Beamten dürfte das kaum entlasten. Ende Oktober meldete die Gewerkschaft der Polizei (GdP), es seien bereits 2,5 Millionen Überstunden aufgelaufen – eine Folge der Einsatzbelastung in der Corona-Pandemie, durch Russlands Angriff auf die Ukraine und nun durch Eruptionen des Nahost-Konflikts in Berlin.

Das Problem: Die Beamten kommen nicht mal mehr dazu, die Überstunden abzubauen. Erst jüngst sind die hohen Schutzvorgaben für jüdische Einrichtungen bis in Frühjahr verlängert werden, die Polizei hat ihr Belastungslimit bereits überschritten.

Intern wird daher die Euro 2024 als zusätzliche Last gesehen. Und bis 2036 muss die Polizei einen tiefgreifenden Generationenwechsel durchmachen. Viele Mitarbeiter gehen in Pension, doch beim Nachwuchs hapert es. Wie die Polizei ihre Personalstärke überhaupt halten kann, ist völlig ungewiss. (Alexander Fröhlich)

Infrastruktur und Verkehr

Wenn es einen Bereich gibt, in dem Berlin im internationalen Vergleich schon heute medaillenwürdig ist, dürfte es definitiv der Nahverkehr sein. Wie keine andere große Sportstätte in Deutschland ist das Olympiastadion mit S- und U-Bahn hervorragend angebunden.

Das jährliche DFB-Pokalfinale oder aktuell die Champions-League-Heimspiele von Union Berlin zeigen, wie reibungslos es funktioniert, wenn mehr als 70.000 Menschen größtenteils mit dem ÖPNV raus nach Westend fahren, auch wenn es hier und da in der Bahn mal enger wird.

Auch andere Sportstätten in Berlin sind bereits heute gut mit der Bahn angebunden. Das Velodrom mit der Bahnradstrecke und den Wettkampfschwimmbecken liegt gleich am S-Bahnhof Landsberger Allee, die Mercedes-Benz-Arena für das Eishockey- und Basketballturnier nahe dem S-Bahnhof Warschauer Straße oder der Jahn-Sportpark mit Stadion und Max-Schmeling-Halle zentral in der Stadt und ebenfalls unweit von S- und U-Bahn.

Bliebe nur zu hoffen, dass dann auch der BER funktionieren würde, wie er soll – ganz ohne Kofferchaos und ewig lange Schlangen an den Sicherheitskontrollen. Bis 2036 wären noch einige Jahre Zeit zum Training. Und vielleicht brächte ein Mega-Ereignis wie Olympia mit Besuchern aus aller Welt ja auch die eine oder andere neue Langstreckenverbindung nach Berlin mit sich. (Christian Latz)

Wirtschaft und Handel

Die Aussicht auf Olympia lässt Unternehmen und Geschäftswelt von eigenen Rekorden träumen: volle Auftragsbücher und hohe Umsätze. „Berlin als Austragungsort bei den Olympischen Spielen wird in vielerlei Hinsicht profitieren“, sagt Claudia Engfeld, Sprecherin der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK). Studien zufolge bringe jeder Euro, den Besucherinnen und Besucher von Großveranstaltungen wie Messen ausgeben, rein rechnerisch weitere sechs Euro zusätzliche Kaufkraft in die Hauptstadt. „Bei einem Großereignis von derartiger internationaler Strahlkraft wie den Olympischen Spielen wird dieser Effekt sicher noch einmal größer sein“, meint die Sprecherin.

Ich scheue die 100 Jahre nicht.

 Niels Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg

Gastronomie, Hotellerie, die touristischen Attraktionen und der Handel könnten durch die zahlreichen Besucher aus aller Welt zusätzliche Umsätze generieren. „Die positiven Effekte dürften aber erheblich weiter reichen.“ Die Olympia-Stadt Paris habe berechnet, dass durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 etwa 150.000 neue Arbeitsplätze entstünden und von zusätzlichen Aufträgen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen profitierten.

„Auch wenn sich diese Effekte bei einer nationalen Bewerbung Deutschlands auf mehrere Austragungsorte verteilen, kann Berlin unterm Strich mit einem relevanten Beschäftigungs- und Auftragszuwachs rechnen“, so Claudia Engfeld. Hinzu kämen langfristige positive Auswirkungen wie die Investitionen in die Infrastruktur und die Ertüchtigung von Sportstätten. „Auch der Imagegewinn und die Positionierung Berlins als internationale Sportmetropole dürfen bei der Gesamtrechnung nicht unterschätzt werden.“

Auch der Handel würde Olympische Spiele in der Hauptstadt „begeistert unterstützen“, sagt Niels Busch-Petersen, der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. Die Hauptstadt könne von Investitionen in die Infrastruktur und vielen zusätzlichen Besuchern profitieren.

Die Erinnerung an die vom Nazi-Regime veranstalteten Spiele 1936 sei aus seiner Sicht kein Hindernis: „Ich scheue die 100 Jahre nicht.“ Im Gegenteil, Deutschland habe dadurch die Chance, sich als weltoffenes Land zu zeigen. „Es wäre toll, wenn die Olympischen Spiele mal wieder in einem demokratischen Staat abgehalten würden, in dem die Menschenrechte geachtet werden.“ Das könne man über frühere Gastgeberländer wie Russland 2014 oder China 2022 nicht sagen.

„Noch klüger“, meint Busch-Petersen, wäre allerdings eine gemeinsame Bewerbung mit Polen. Denkbar seien zum Beispiel Wassersport-Wettkämpfe an der polnischen Ostsee. Eine solche Zusammenarbeit mit dem östlichen Nachbarland könne ein Zeichen sein für ein modernes, demokratisches Europa: „Wir machen als Nachbarn viel zu wenig gemeinsam.“ (Christoph M. Kluge)

Tourismuswirtschaft

Die Welt zu Gast in Berlin: Der Sprecher der Tourismusmarketingagentur VisitBerlin, Christian Tänzler, ist optimistisch, dass die Stadt den immensen Besucherandrang während der Olympischen Spiele bewältigen könnte. „Wir sind grundsätzlich für die Olympiabewerbung und werden gemeinsam mit der Stadt dafür sorgen, dass die Infrastruktur darauf ausgerichtet wird“, sagt er auf Anfrage.

Thomas Lengfelder, Geschäftsführer des Hotel- und Gastronomieverbands Berlin, ist überzeugt, dass die Hauptstadt mit rund 140.000 Hotelbetten und einer hochmodernen Hotellandschaft ganz bestimmt in der Lage dazu sei, diese Spiele auszurichten. Auf die Frage, ob mit einem eklatanten Anstieg der Hotelpreise zu rechnen ist, antwortet Langfelder, dass das bei Großveranstaltungen immer der Fall sei, Berlin aber im Vergleich zu London und Paris noch sehr günstig wäre.

Medienberichten zufolge ziehen die Pariser Hotelpreise für den Zeitraum der Spiele im kommenden Jahr schon jetzt kräftig an. Mittlerweile koste eine bestimmte Unterkunft, die 2023 für ein langes Wochenende 900 Euro kostete, im August 2024 bereits mehr als 3000 Euro. (Joana Nietfeld)

Oppositioneller Sportsgeist

Eine aktuelle Umfrage zur Unterstützung einer Berliner Olympia-Bewerbung gibt es noch nicht, aber bisher war die Begeisterung unter Berlinerinnen und Berlinern eher verhalten. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke äußerten sich ablehnend, auch Jusos und Grüne Jugend sind gegen das schwarz-rote Vorhaben: „Olympia in Berlin bedeutet für die Bürger:innen vor Ort konkret eine nachhaltige Verteuerung der Mieten sowie die Verschwendung von Steuergeldern für eine Infrastruktur, die nach Olympia im schlimmsten Fall kein Mensch mehr nutzt“, erklären die Jungen der Parteien.

Bevor die Jugend der Welt nach Berlin kommen kann, gibt es also reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten, um bei der Jugend in Berlin das olympische Feuer zu entzünden.

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