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Shoppen, schauen, staunen. Wachturm und Minimauer in den Potsdamer Platz Arkaden.

© Marie Rövekamp

25 Jahre Mauerfall: Berliner Mauer verläuft jetzt durch ein Shopping-Center

Gruseliger Blickfang im Shopping-Center: Die Potsdamer Platz Arkaden haben jetzt eigene Grenzanlagen – als Teil einer informativen Ausstellung zu "25 Jahre Fall der Berliner Mauer".

Der 13. August 1961 war ein Sonntag. Am Freitag war der 19-jährige Harri Voigt, Student aus Magdeburg, als Reservist nach Brandenburg an der Havel eingezogen worden. Hatte zwei Monate NVA-Routine erwartet und nun das: Gerüchte vom Mauerbau in Berlin, von Schüssen sogar – offiziell erfuhren die jungen Soldaten nichts: „Wir waren anfangs völlig abgeschottet.“ Erst nach einigen Tagen hieß es „Antreten zum gemeinsamen Radiohören“, für die offiziellen Erklärungen zum „antifaschistischen Schutzwall“. Natürlich war Alarmbereitschaft angeordnet worden, die Maschinenpistolen lagen griffbereit in den Stuben, ohne Munition. Aber man hatte den Soldaten gesagt, wo die im Ernstfall zu finden sei.

Nein, in Berlin sei er nie eingesetzt worden, sagt Voigt und lässt den Blick über Berlins neue Mauer streifen, die man für Touristen wie ihn in die Potsdamer Platz Arkaden gestellt hat. Grob aus einfachen Betonsteinen gemauert, oben drauf Stacheldraht, davor Schubkarren, Schaufeln – so wie die Mauer anfangs aussah, ein schnell hingemörteltes Provisorium. Für zehn Wochen gruseliger Blickfang im Shopping-Center, Teil der Ausstellung „25 Jahre Fall der Berliner Mauer“, die dort an diesem Donnerstag eröffnet wird. Erstellt hat sie, in Kooperation mit dem Management der Arkaden, der Charlottenburger Jörg Moser-Metius mit seiner Gesellschaft Berlin Wall Exhibition, die den Wachturm in der nahen Erna-Berger-Straße, knapp südlich des Leipziger Platzes von der Stadt übernommen und restauriert hat und seitdem als authentisches Mauermuseum betreibt.

Der Turm des Bautyps BT 6, einst mit rund 200 Exemplaren stadtbildprägend, liegt etwas außerhalb der touristischen Trampelpfade und wird leicht übersehen – schon dies ein Grund, ihn als wohl spektakulärstes Objekt in die Arkaden zu holen – ein Nachbau fast in Originalgröße. Wirklich original ist dagegen die Mauer, die vor dem Arkadeneingang an der Alten Potsdamer Straße aufgebaut wurde, einige frischgeweißte Segmente zu einem Tor zusammengefügt, noch ohne Kaugummianhaftungen, die das Mauerstück am nahem Potsdamer Platz vieltausendfach zur eklig-würdelosen Touristenattraktion verkommen ließen. Aber das kann ja noch kommen, zehn Wochen sind für weiße Wände in Berlin eine lange Zeit.

Aber ob nun mit Kaugummi oder ohne – die Mauerschau findet offenkundig Interesse. Schon am Vortag der Eröffnung, da war die Ausstellung noch nicht mal komplett, verharrten Besucher vor den Ausstellungsobjekten und Fotowänden mit ihren knapp-informativen, in Deutsch und Englisch gehaltenen Texten. Und ein City-Guide wie Klaus Brenneisen erhielt so unverhofft die Möglichkeit, nur in der Theorie vermitteltes Wissen, den Wandel der Mauer vom Provisorium zur ausgeklügelten Grenzanlage, am Schauobjekt zu erläutern.

In diesem Fall einer Reisegruppe aus dem Veneto, die er seit drei Tagen durch Berlin geführt hat, zu den Pflichtattraktionen, darunter natürlich Checkpoint Charlie und nun eben die nachgebaute Ur-Mauer. Die Grenze quer durch die Stadt, das sei für Touristen, woher sie auch kommen, noch immer eines der interessantesten Dinge in Berlin, weiß Brenneisen. Wo sie stand, wie sie aussah – das wolle seine Kundschaft jedes Mal wissen. Die sich diesmal allerdings nicht auf den Rest der Ausstellung gestürzt hat, sondern sich dem eigentlichen Zweck des Arkaden-Besuchs widmet: der Nahrungsaufnahme. Berlin macht hungrig.

Es hat hoffentlich noch zu einem Verdauungsspaziergang durch die Mauergeschichte gereicht, die Herrschaften aus Veneto hätten sonst wirklich was verpasst. Die künstliche Mauer, der Wachturm, die Kleiderpuppen mit den Uniformen der Grenztruppen, der West-Berliner Polizei und der alliierten Militärpolizei, der NVA-Trabi, an dessen Rückfenster die Aufschrift „Trabi-Safari“ von einer sehr aktuellen Zweitverwendung zeugt – klar, all das wird mancher vielleicht als DDR-Disneyland schmähen. Aber es ist doch eine gelungene Ergänzung der organisierten Erinnerung an den Mauerfall, dessen Fotowände viel Vertrautes, aber auch Überraschendes bieten. Jeder kennt den Sprung des Grenzsoldaten Conrad Schumann über den Stacheldraht, hier nun werden sechs weitere Fotos des Vorfalls gezeigt – der erstarrte Moment wird zur Aktion.

Das für Ortsfremde überraschendste Moment? Der rote Punkt, der auf einer Aufnahme vom Potsdamer Platz vor dem Mauerfall den jetzigen Standort markiert: Weinhaus Huth, Hotelruine Esplanade, ansonsten Brache, wo heute geshoppt und gespeist wird.

Und das Komischste in der Mauerschau? Honeckers Dankesbrief vom 19. Juni 1987 an Udo Lindenberg für das unerwartete Lederjacken-Präsent: „Natürlich ist das Äußere Geschmackssache, aber was die Jacke betrifft: sie passt.“

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