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Organisatorin Ania Pilipenko und der Auktionator Fares Al-Hassan beim Aufbau der Ausstellung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Künstler vom Coronavirus inspiriert: Ausstellung „Widerkunst 3“ auf dem Holzmarkt 25

Einen Monat lang zeigen Künstler, dass ein heruntergefahrenes Kulturprogramm nicht das Ende von künstlerischem Schaffen bedeutet.

Wer das „urbane Dorf“ betritt, das im Mai 2017 auf dem Geländes des Holzmarktes eröffnet wurde, befindet sich nach nur wenigen Metern in einem Mikrokosmos, der mit dem Treiben der Großstadt kaum noch etwas zu tun hat. Zwischen rustikalen Holzhütten geht man durch gewundene Gassen auf den zentralen Dorfplatz zu – mit Cafés, Restaurants und einem Eisverkauf. Zwischendurch erblickt man aus Bauhelmen recycelte Blumenampeln oder wundert sich – ja, hier gibt es sogar eine Kita. Die meisten Besucher machen dieser Tage aber sicher dies: auf der Suche nach Erfrischung unter einem Baum an der Spree sitzen.

Bis 2010 hatte hier der legendäre Techno-Club „Bar 25“ seine Türen für tanzfreudige Träumer aus aller Welt geöffnet, der einen guten Teil zum Party-Image Berlins beitrug. Auch heute ist mit dem „Kater Blau“ ein Club Teil vom Holzmarkt 25, aber das Konzept des Geländes konzentriert sich stärker auf Kunst und Kreativität. Neben dem Veranstaltungsgebäude, dem „Säälchen“, gehören auch ein Tonstudio und Ateliers zum Interieur.

Im Säälchen ist ab heute die Ausstellung „Widerkunst 3“ mit dem Motto „Mehr Zeit, mehr Mut, mehr Kunst“ zu sehen. Mehr als 80 Künstlerinnen und Künstler zeigen bis zum 12. September ihr Schaffen auf dem Holzmarkt in Bildern, Theater, Performances und Musik.

Die Stimmung beim Aufbau am Dienstag ist gut, es läuft Musik, von Stress ist zwei Tage vor der Eröffnung und trotz der Hitze nichts zu spüren. Auch die Kuratorin und Organisatorin Ania Pilipenko ist glücklich: „Es läuft alles nach Plan. Zwar ändert sich der Plan immer wieder, aber auch das funktioniert“, sagt sie lachend. Für die gute Laune hat sie eine simple Erklärung: „Nach dem Lockdown freuen wir uns, dass wir uns und unsere Kunst endlich wieder zeigen können.“

Blick über den Tellerrand durch ein großes Netzwerk

Erstmals 2016 ausgerichtet, ist „Widerkunst“ vor allem eine Werkschau aus dem Umfeld des Holzmarktes. Als einen begrenzten, nur auf die eigene Community gerichteten Blick würde Pilipenko die Ausstellung aber nicht bezeichnen. Dieser Ort habe alle Beteiligten sehr geprägt, deshalb spiele er natürlich eine zentrale Rolle bei der Ausstellung. „Teilweise kennen wir uns schon seit Jahren und haben viel gemeinsam erlebt.“ Aber das Netzwerk der Gemeinschaft um den Holzmarkt erweitere sich ständig.

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Einen neuen Blick biete zum Beispiel die Filmemacherin Iris Stark, die über eine andere Künstlerin mit in die Ausstellung aufgenommen wurde. Iris Stark brachte von ihren beruflichen Reisen immer wieder Stoffe mit nach Hause. Als aufgrund der Corona-Maßnahmen die Aufträge wegfielen, begann sie, aus den Stoffen aufwendige Collagen mit bunten Motiven zu erstellen. Die Arbeit an den Collagen habe sie in der unsicheren Zeit ungemein beruhigt. Mittlerweile existieren schon etwa 15 „Lensis“, wie sie ihre Werke nennt.

Frieder Weiss, international tätiger Visual Artist, zeigt eine Installation aus Licht und Bewegung, im Zentrum steht – oder tanzt – eine Tänzerin vom Staatsballett Berlin. Auch für ihn war die Ruhe im Kulturbetrieb produktiv: „Ich konnte die Zeit nutzen, um Ideen nachzugehen, die ich schon länger im Kopf hatte.“

Infinite 1,5 - eine Installation von Frieder Weiss - noch im Aufbau. Dies ist erst der Anfang.
Infinite 1,5 - eine Installation von Frieder Weiss - noch im Aufbau. Dies ist erst der Anfang.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kooperation mit der Initiative "Pandemic Healing Arts"

Im oberen Stockwerk stellen dieses Jahr die Stipendiaten des Projekts „Pandemic Healing Arts“ ihre Werke aus. Die im März 2020 gegründete Initiative hat 44 Berliner Kreative im Corona-Lockdown mit einem Sofortstipendium von 500 Euro unterstützt.

Zu den Begünstigten gehört Isabel Ott alias „Trash Royal", die in ihrem Laden auf dem Holzmarkt-Gelände Lampen, Möbel und Kunst aus Weggeworfenem verkauft. Normalerweise ist die Filmausstatterin oft unterwegs, aber während der Corona-Zeit hat sie wieder viel künstlerisch gearbeitet, erzählt sie. „Die Welt stand für eine Weile still – das hat mich beflügelt.“ In ihrem Werk „Bin ich systemrelevant?!“ schaut sie kritisch auf die Entwicklungen während der Pandemie.

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Durch den Begriff der Systemrelevanz habe sich gesellschaftlich eine Schere aufgetan: Wer ist systemrelevant – wer nicht? Eine Frage, mit der sich gerade viele Künstler beschäftigen, auch im Hinblick auf die umstrittenen Corona-Hilfen für Solo-Selbstständige. „Ich finde, das Wort ,systemrelevant‘ wäre ein guter Kandidat als Unwort des Jahres.“

25 Leben hat die Katze

Ania Pilipenko freut sich, dass so viele Künstler bei der Ausstellung dabei sind. Das „Widerkunst“-Motto in diesem Jahr ist für sie vor allem Mut. „Wir wollen Hoffnung und Zuversicht vermitteln, das soll man auch in der Ausstellung sehen.“ Die Holzmarkt-Gemeinschaft ist für sie wie eine Katze: Mit sieben Leben gesegnet – oder waren es neun? Oder sogar 25?

Der Geist von scheinbar unverwüstlichem Optimismus schwebt tatsächlich über dem Gelände und der nahenden Eröffnung. Pilipenko ist auch Gründungsmitglied der Holzmarkt-25-Genossenschaft für urbane Kreativität. Darüber werden finanzielle Mittel für kulturelle Projekte wie „Widerkunst“ akquiriert und zum Beispiel das Dorf weiter aufgebaut. Inzwischen, sagt Pilipenko, gebe es etwa 170 Mitglieder. Viele spendeten ihre Dividenden an die Stiftung, um Kunst und Kultur auf dem Holzmarkt zu unterstützen. „Man sieht: Der Maximierungsgedanke muss nicht an erster Stelle stehen. Mit Geld kann man auch schöne Sachen machen.“

Bei der Finissage am 12. September sollen die ausgestellten Werke versteigert werden. Die Erlöse gehen an die teilnehmenden Künstler*innen und anteilig zurück an die Stiftung.

Öffnungszeiten: 14. August bis 12. September 2020, donnerstags bis sonntags von 14 bis 18 Uhr

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