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Kältebusfahrer Matthias Spreemann belädt den Kältebus mit Schlafsäcken und bereitet den Einsatz des Fahrzeuges vor. Die Berliner Stadtmission hat im vergangenen Winter mehr Obdachlose mit ihren Kältebussen versorgt als im Jahr zuvor. (Archivbild)

© Britta Pedersen/dpa

Update

Berliner Kältehilfe zieht Bilanz: Im Schnitt fast 900 Menschen pro Nacht in Notunterkünften – Höchstwert im März

Mehr als 3300 Obdachlose wurden in Kältebussen versorgt, mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der psychischen Erkrankungen hat laut Ärzten zugenommen.

Die Situation der wohnungs- und obdachlosen Menschen in Berlin ist unverändert besorgniserregend. "Auch in diesem Jahr konnten wir die Zahl der Plätze in der Kältehilfe nicht reduzieren, im Gegenteil, die Hilfe, die Menschen vor dem Erfrieren rettet, ist weiter dringend nötig", sagte Ursula Schoen, die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin Brandenburg, am Donnerstag bei einer Bilanz-Pressekonferenz zur Kältehilfe-Saison 2021/22. Die ist zum größten Teil am 1. April abgeschlossen.

Insgesamt haben in der Kältehilfe-Saison 21/22 pro Tag im Schnitt rund 858 Menschen in Notübernachtungen die Nacht verbracht. Das entspricht einer Auslastung von 84 Prozent. Die größte Durchschnittszahl in einem Monat gab es im März. Da lag der Schnitt bei 1021 Personen. Insgesamt gab es 1139 Plätze in Berlin.

40 Einrichtungen unterschiedlicher Größe standen in Berlin zwischen November 2021 und März 2022 zur Verfügung. Grundsätzlich gab es zwar ausreichend Plätze, trotzdem konnte in einigen Nächten, in denen es besonders kalt war, in einzelnen Einrichtungen eine Überbelegung nicht vermieden werden.

Die Diakonie und weitere evangelische Träger stellen rund 70 Prozent aller Plätze bei der Kältehilfe. Bei der Berliner Stadtmission, die zur Diakonie gehört, haben 2699 Menschen übernachtet, darunter 353 Frauen. Deren Anteil ist damit gegenüber den Jahren zuvor gleich geblieben.

Mehr Menschen mit dem Kältebus versorgt

Die Stadtmission hat mehr Obdachlose mit ihren Kältebussen versorgt als im Jahr zuvor. Rund 15 Prozent mehr Menschen hätten die Hilfe benötigt. Die knapp 50 ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen hätten insgesamt 3326 Menschen auf der Straße zum Beispiel mit Tee oder Schlafsäcken versorgt. Zudem hatte das Team über 2100 Anrufe erhalten.

Seit Anfang November waren die Teams abends und nachts im Einsatz, um bedürftigen Menschen zu helfen oder sie in Notunterkünfte zu bringen. Wenn eine Einrichtung voll ist, fuhr der Kältebus Unterkünfte an, die noch freie Plätze gemeldet hatten.

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Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) war mit einem Wärmebus im Stadtgebiet unterwegs. Laut DRK war die Kältesaison etwas ruhiger als in den Vorjahren. „Wir führen das unter anderem darauf zurück, dass der bisherige Winter eher keine strengen Frostperioden hatte“, erklärte ein Sprecher der Organisation. Das DRK hatte in den ersten drei Monaten der Saison – November, Dezember, Januar – Kontakt zu rund 960 Obdachlosen, im Vorjahreszeitraum waren es 1100.

Mindestens 2000 Menschen ohne feste Unterkunft leben in Berlin

Insgesamt leben in Berlin mindestens 2000 Menschen ohne feste Unterkunft. "Doch die Dunkelziffer ist sehr viel höher", sagte Ursula Schoen. Rund 50.000 Menschen, die ohne eigene Wohnung sind, seien von den Bezirken in Wohnheimen oder anderen Unterkünften untergebracht worden. Weitere 10.300 Menschen leben in Unterkünften für Geflüchtete, die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine, die ebenfalls untergebracht werden müssen, sind da noch gar nicht mitgezählt.

Es gibt allerdings keine Zahlen darüber, wie viele Menschen trotz des Übernachtungsangebots die Nächte im Freien verbracht hatten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Angst vor Diebstahl in Unterkünften, das Alkoholverbot in Unterkünften oder Hemmungen, mit so vielen Menschen auf engem Raum zusammen zu treffen.

Die Pandemie erschwert die Lage erheblich

Die Pandemie erschwerte die Situation für obdach- und wohnungslose Menschen erheblich. Viele Notübernachtungen und Tagesstätten mussten wegen Corona ihre Plätze reduzieren.

Da Notübernachtungen morgens schließen und erst wieder abends öffnen, sind die Betroffenen gezwungen, sich tagsüber einen warmen Platz zu suchen. Eine Erleichterung für wenigstens einen kleinen Kreis von Betroffenen stellten die beiden Einrichtungen dar, die rund um die Uhr geöffnet haben. Eine ist ausschließlich für Frauen reserviert, in die andere können Frauen und Männer kommen.

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Ellen Eidt, die Leiterin des Dienstbereichs Diakonie der Berliner Stadtmission, betonte den Erfolg dieser Einrichtungen: "Viele Betroffene haben den Konsum von Suchtmitteln erheblich reduziert. Sie sind weniger aggressiv, sie kommen zur Ruhe und haben bereits freiwillig bei kleineren Arbeiten geholfen, zum Beispiel in einer Kleiderkammer. 90 Prozent der Menschen in den Einrichtungen nehmen freiwillig Hilfe an." Es bestehe eine gute Chance, dass sie wieder ins Arbeitsleben eingegliedert werden könnten.

Gesundheitliche Situation der Betroffenen "besorgniserregend"

Auf die sehr besorgniserregende gesundheitliche Situation der wohnungs- und obdachlosen Menschen in der Stadt wies Christian von Wissmann hin, der Regionalarzt der Berliner Johanniter. "Besonders hart ist die Lage für Menschen ohne Krankenversicherung."

Die Johanniter und andere diakonische Einrichtungen bieten medizinische Angebote auch für Menschen ohne Ausweis oder Krankenversicherung an. "Für viele obdachlose Menschen ohne Papier waren diese Sprechstunden oft die einzige Möglichkeit, den Impfschutz gegen Corona und eine fundierte Beratung zu erhalten", sagte von Wissmann.

Zahl der psychischen Erkrankungen hat zugenommen

Die behandelnden Ärzte hätten festgestellt, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen zugenommen habe, darunter Angstzustände und Verfolgungswahn. Der Anstieg von psychotischen Erkrankungen unter jungen Menschen sei erheblich gewesen.

Die Frage, wie die Gesamtsituation zu verbessern sei, beantwortete Ursula Schoen auf einfache Art und Weise: "Eins muss uns klar sein, Kältehilfe beendet keine Wohnungslosigkeit. Der Berliner Senat muss daher schnellstmöglich Konzepte entwickeln, wie die Menschen aus der Kältehilfe und ihnen die Hilfe zu gewähren, die sie benötigen, um am Ende in einer Wohnung leben zu können." (mit dpa)

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