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Geplante Improvisation. Das Holzmarkt-Gelände in Mitte gilt als Musterbeispiel für die alternative Nutzung von Innenstadtflächen.

© Soeren Stache/dpa

Baustellentour durch die Hauptstadt: Berliner Holzmarkt könnte Insolvenz drohen

Abgeordnete touren über die Baustellen der Stadt. Eine Visite am Flughafen Tempelhof, am Holzmarkt und am Haus der Statistik.

Reisen bildet die Jugend – und gestandene Abgeordnete ebenfalls. Fast schon eine Institution sind die Rundfahrten des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses über die großen Baustellen der Stadt. Erste Station in diesem Jahr: Das Flughafen Tempelhof. In der Haupthalle empfängt die neue Chefin Jutta Heim-Wenzler die Politiker und es wird kleidsam. Weil auf dem Flugfeld noch Zuschauertribüne und Büdchen vom Rennzirkus der „Formula E“ abgebaut werden, ziehen alle Textmarker-Grüne Warnwesten an – nur der gelbe Bauhelm bleibt den Abgeordneten in diesem Jahr erspart.

Tempelhof stehe vor einem „Neustart“ sagt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, die den Part der Reiseleiterin übernimmt. Durch die Unterbringung von Geflüchteten in den Hangars war die Veranstaltungsmaschinerie – ausgelastet durch Modemessen, Partys und Konzerte – ins Stocken geraten. Und genau genommen ist das „Reset“ immer noch schwierig, denn das „Ankunftszentrum“  besetzt immer noch Hangar 1 und der versprochene Auszug im Jahr 2019 ist mehr als fraglich. Jedenfalls ist das der schmallippigen Antwort der Staatssekretärin für Finanzen Margaretha Sudhof zu entnehmen, wonach die Suche laufe. Was die umtriebige Tempelhof-Chefin Jutta Heim-Wenzler beunruhigt, denn es sind Verträge mit Veranstaltern unterschrieben, die zu platzen drohen. Und überhaupt ist der Veranstaltungsbetrieb auf mindestens drei Hallen ausgelegt. Falls nun tatsächlich das Alliierten-Museum, mit dem verhandelt wird, in Hangar 7 einzieht, fehlt schon mal einer – und das werde sich auch auf die Einnahmen auswirken.

Improvisation ist alles

Immerhin gibt es nun rund 132 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt, um das größte Baudenkmal Europas so zusammenzuflicken, dass es überhaupt eine Genehmigung als Spielstätte bekommt. Dass schon heute im Airport gefeiert, getagt und debattiert werden darf, liegt wohl auch daran, dass das Land Berlin diese Location betreibt. Aber wenn jemand Hangars oder Gebäude nutzt, kommt es deshalb auch richtig teuer: Die Volksbühne zahlte zwar keine Miete, musste aber trotzdem 160.000 Euro für seine „Dependance“ berappen: Betriebskosten. Dabei bekommt das Tempelhof Projekt außerdem Haushaltmittel für den Betrieb: 12 bis 18 Millionen Euro im Jahr. Das verhinderte nicht den Stromausfall bei der öffentlichen Podiumsdiskussion am Tag der Offenen Tür. 5000 Vorfälle dieser Art jedes Jahr gibt es der Herrin von Tempelhof Heim-Wenzler zufolge. Improvisieren ist alles unter dem 1,4 Kilometer langen Vordach. Um wirklich voranzukommen, bräuchte es eher 20 Millionen Euro jährlich. Und für die Sanierung 300 bis 500 Millionen Euro sagt die Betreiberin den Politikern.

Die coolste Sonnenbrille trägt Christian Goiny

Die coolste Sonnenbrille mit Azzurro-blau getönten Gläsern trägt auf dieser Reise Christian Goiny von der CDU. Nicht zur Tarnung, sondern um zu werben: „Abgeordnetenhaus Berlin“ steht auf dem schwarzen Bügel. „Von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit“ sagt Goiny und lacht. Unter dem strahlend blauen Himmel am Holzmarkt in Friedrichshain kommt die Brille richtig zur Geltung, wobei der Politiker außerdem zur Hochform im Wortgefecht mit dem Staatssekretär für Stadtentwicklung Sebastian Scheel (Linke) aufläuft. Gestritten wird über die Verantwortung für die Beinah-Katastrophe an Berlins Vorzeige-Improvisations-Siedlung. Die Lage ist vertrackt: Die Schweizer Stiftung Abendrot will den unbebauten Teil des Holzmarkt-Areals, wo Arbeitsplätze und Wohnungen in spektakulären Holzhochhäusern geplant sind, aufkündigen, weil das Projekt nicht vorankommt. Käme es so, würde die Holzmarkt-Genossenschaft mit ihren Künstlern, Handwerkern, ihren Cafés, Restaurants, Brauerei und Bäckerei wohl Insolvenz anmelden. „Es geht um die Existenz“, sagt Genosse Juval Diezinger. Schade drum wäre es: mitten in der hitzigen Diskussion reicht der Bäcker frisches Schwarzbrot von einem großen Holzbrett. Eine Horde von Kindern schwärmt vorbei mit selbst gemalten Plakaten fröhlich rufend -„Die Demonstranten von morgen“, sagt einer. Mitten im Gedränge Berlins früherer Staatssekretär für Kultur Tim Renner - er hat mit einer Kapitaleinlage den Holzmarkt unterstützt.

Der Druck am Holzmarkt ist groß

Schuld an der Krise des Holzmarkt will auch nicht der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg sein, Florian Schmidt (Grüne). Auch er gerät unter Beschuss. Er stellt eine Baugenehmigung auf Grundlage vorhandenen Baurechts in Aussicht. Mit der Stiftung sei man sich einig, dass die Genossen zum Zuge kommen sollen und das Projekt am Gemeinwohl orientiert sein müsse. Bau-Staatssekretär Scheel will sich den Plänen auch nicht in den Weg stellen. Er erklärt die Probleme einerseits mit der Nutzung – Senat und Bezirke möchten vor allem Wohnungen, die Genossen hatten überwiegend Arbeitsplätze der Zukunft geplant. Scheel mahnt aber auch vernünftigen Schallschutz an – und da schneidet ihn auch schon eine laut vorbeiratternde S-Bahn das Wort ab. Wie groß der Druck ist, macht Holzmarkt-Genosse Mario Husten deutlich: Er bietet den Rückzug aus der Planung an, damit sich wenigstens Senat und Stiftung Abendrot einigen. In die Chefs der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag jedenfalls, die ebenfalls an dem Neubau-Projekt beteiligt ist, haben die Genossen jedes Vertrauen verloren. Diese habe sowohl die Stiftung als auch die Genossenschaft mit Prozessen überzogen.

Haus der Statistik - Eine Ruine der Kultur

Nächste Station Alexanderplatz, Haus der Statistik, eine Ruine der Kultur, die Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) und einer „Kooperation von fünf Initiatoren die zusammenstehen wie die drei Musketiere“ entwickeln will: Senat und Bezirk machen mit, die landeseigene Bim als Verwalterin und Bauherrin, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte sowie die Initiative selbst. Ein Wettbewerb zur Neugestaltung der Fassade läuft schon. Das Gebäude soll stehen bleiben und bis zum Jahr 2022 im sanierten Zustand 65.000 Quadratmeter Platz bieten. Die Zeit drängt, denn das Rathaus soll hier einziehen und dessen Mietverträge an anderer Stelle laufen Ende 2022 aus.

Auch für kulturelle und soziale Initiativen soll es Platz auf 15000 Quadratmeter geben. Noch einmal weitere 65.000 Quadratmeter sollen in Neubauten auf dem Parkplatz auf der abgewandten Seite des Alexanderplatzes entstehen: dringend benötigte Wohnungen. „Warum soll der Altbau stehen bleiben“, dämpft Kristin Brinker von der AfD die Begeisterung. Sie ist Architektin und legt den Finger auf die Wunde: Die Decken sind sehr niedrig und die Vernetzung des Hauses kostet zusätzliche Höhe. Verlegen sich die Populisten auf Sacharbeit? Jedenfalls wollen Sozialdemokraten wie Franziska Becker den Stab nicht über sie brechen. Aber Bim-Chef Sven Lemiss wiegelt trotzdem ab, aber Zweifel bleiben: Die Techniker haben das bisher nicht durchgerechnet, was die Kabelage an Raumhöhe kostet. Und für Gothe kommt Abriss ohnehin nicht infrage wegen des „Weltweiten Brandings“ des Gebäudes und weil es den Eintritt ins Weltkulturerbe in spe Karl-Marx-Allee markiert. Berlin hat das Träumen eben nicht verloren.

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