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Patrick Larscheid, Amtsarzt im Berliner Bezirk Reinickendorf. 

© Paul Zinken/dpa

Berliner Amtsarzt sieht Schulöffnungen mit Sorge: „Ich bin skeptisch, ob das Experiment Schulöffnung so gut geht“

Kaum jemand ist so nah dran am Pandemie-Geschehen wie Berlins Amtsärzte. Patrick Larscheid aus Reinickendorf sieht die ersten Lockerungen mit gemischten Gefühlen - besonders an Schulen.

Die geplante schrittweise Öffnung der Schulen in der Corona-Pandemie bleibt für den Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid ein Experiment mit Risiken. „Bei 13- bis 14-jährigen Schülern auf einer Skireise reichte ein einziger Mensch, um rund 30 von ihnen anzustecken“, sagte er. „Das macht uns unruhig.“ Auch die Rolle von Kindern als Träger und Überträger des Virus sei bisher unklar. „Wir spielen Vabanque. Wir haben keine Zahlen dazu. Ich bin skeptisch, ob das Experiment Schulöffnung so gut geht“, ergänzte er.

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Die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wertete Larscheid als großen Erfolg. „Was wir bisher in Deutschland geschafft haben, darauf können wir stolz sein“, sagte er. Mit den ersten Lockerungen würden die Fallzahlen aber wieder zunehmen. Um welchen Faktor, sei unklar. Alternativen zu Lockerungen sieht der Mediziner aber nicht. „Die Gefahr liegt in der Wirtschaft. Und Menschen lange Zeit in geschlossenen Räumen zu lassen, tut niemandem gut.“ Der Blick des Amtsarztes im Einzelnen:

ANSTECKUNG

In der Corona-Pandemie wird es für die Gesundheitsämter schwieriger, die Quellen von Infektionen zu orten. „Bei drei Vierteln der Fälle können wir nicht mehr nachvollziehen, wo sie herkommen“, sagte Larscheid. Das sei am Anfang bei Reiserückkehrern, unter Arbeitskollegen und bei Partygängern einfacher gewesen. Die Ermittlung von Kontaktpersonen bleibe dennoch das wichtigste Instrument zur Eindämmung der Pandemie. Bei jedem vierten Fall lasse sich die Quelle auch jetzt noch finden. „Ausbruchsorte sind nun überwiegend medizinische Einrichtungen.“

SCHULEN

Für Larscheid sind es die Orte, an denen es brenzlig werden könnte. „Hier kommen mit Lehrern und Schülern Gruppen zusammen, die nach wie vor auch die größten Patientengruppen stellen“, sagt er. „Also vor allem das dritte und vierte Lebensjahrzehnt bei den Lehrern und die älteren Schüler.“ Da werde es mit einiger Verzögerung sicher zu einem Fallzahlanstieg kommen. 

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Einige Vorsorgemaßnahmen für das Abstandhalten an Schulen hält Larscheid darüber hinaus für unrealistisch. „Diese Ideen kommen wohl von Theoretikern, die noch nie ein lebendiges Kind gesehen haben“, kommentierte er. Auch das häufigere Putzen von Gebäuden habe überhaupt keine Bedeutung bei der Übertragung von Atemwegsinfektionen. In Berlin sollen ab 27. April schrittweise die Schulen wieder öffnen, bereits ab Montag sollen die Abiturprüfungen starten.

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KINDER

Ihre Überträgerolle sei ungeklärt, sagt Larscheid. „Das ist ein methodisches Problem. Kinder haben wahrscheinlich so wenig Symptome, dass eine Infektion nicht auffällt.“ Deshalb gebe es dann bei ihnen auch keine Diagnostik. Die Quoten ließen sich mit funktionierenden Antikörpertests wohl erst im Nachhinein ermitteln. Deshalb ist auch unklar, ob Eltern von Kita- und jungen Grundschulkindern, die das Virus austauschen und mitbringen könnten, in Zukunft verstärkt von Ansteckungen betroffen sein werden.

Dass sich Jugendliche augenscheinlich leicht anstecken, gibt dem Amtsarzt zu denken. „Sie haben ja schon einen erwachsenen Organismus, aber infektiologisch gesehen sind das eher kindliche Organismen. Auch deshalb sind wir zurückhaltend, was die scheinbare Ungefährlichkeit von Kindern angeht.“ Belegt sei auch, dass chronisch kranke Kinder durch das Virus sterben können. Das seien bisher nicht viele. „Aber das liegt auch daran, dass es nicht viele chronisch kranke Kinder gibt - im Vergleich zu Senioren.“

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MASKEN

Das Robert Koch-Institut rät nicht länger von selbstgebastelten oder selbstgenähten Mund- und Nasen-Bedeckungen ab. Larscheid bleibt ein strikter Gegner. „Das ist nirgendwo sinnvoll“, betont er. Es gebe für den öffentlichen Raum keine Belege für die Nützlichkeit von textilen Gesichtsbedeckungen, die keinerlei Standards erfüllten. 

Ein schlechter Mund-Nasen-Schutz sei nicht nur wirkungslos. Er sei auch für den Träger ein Problem, weil er leicht verkeime, sagte Larscheid. „Und es setzt Menschen unter unnötigen Druck, weil der, der das nicht trägt, dann als Seuchenverbreiter gilt.“ Das A und O bei akuten Atemwegserkrankungen sei Abstand. „Alles andere ist eine trügerische Scheinsicherheit.“ Ansteckungen seien trotzdem weiter möglich.

APPS

Tracing-Apps via Handy hielte Larscheid für sinnvoll. „Das wäre eine tolle technische Unterstützung, wenn wir sie mit den Datensätzen der Gesundheitsämter kombinieren.“ Datenschutz hält der Amtsarzt für kein tragfähiges Argument gegen solche Apps. „Google und Co. wissen ohnehin immer, wo wir sind“, sagt er.

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Die Ermittlungsarbeit der Gesundheitsämter würde aber auch mit Apps nicht entfallen. Denn für ein Tracing müssten Menschen ihr Handy immer dabei haben. „Man hat hier nur den jungen, gesunden, internetaffinen Mensch im Auge.“ Für ältere Gruppen würden diese Voraussetzungen aber nicht unbedingt gelten.

GESCHÄFTE

„Dass die Lockerung nur für kleine Läden gelten soll, hat viele von uns verblüfft“, sagt der Amtsarzt. Denn gerade die größeren Läden böten Möglichkeiten, dass Kunden Abstand hielten. Sie hätten auch großzügigere Kassenbereiche. „Das haben wir in den Lebensmittelbereichen doch auch alles schon.“ (dpa)

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