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Blutiges Kreuzberg. Thomas Engström hat selbst mal dort gelebt, wo sich seine Romanfigur Ludwig Licht herumtreibt.

© Stefan Weger

Berlin-Krimi: Der Agent aus der Adalbertstraße

Thomas Engström lässt einen seiner Schwedenkrimis in Berlin spielen – die Geschichte wurde nun auch verfilmt. Ein Treffen.

Die Idee für seinen Helden hatte Thomas Engström im Tiergarten. Der schwedische Autor, Jahrgang 1975, ist ein paar Tage in Berlin unterwegs und stellt den zweiten Band seiner Ludwig-Licht- Krimi-Reihe vor: „South of Hell“. Für den ersten Krimi der Reihe hat er in Schweden Preise gewonnen.

Im Gespräch erinnert er sich genau an den Moment, in dem Ludwig Licht erfunden wurde. 2010 war das. Er habe ein Bier getrunken und die Leute betrachtet, sagt Engström. Dann sei dieser Mann vorbeigegangen, schon älter und trotz der großen Hitze stilvoll gekleidet mit Leinenhemd und Panama-Hut. Der Mann habe sich eine Zigarre angezündet, seinen Weg fortgesetzt und er, Thomas Engström, habe über den Mann nachzudenken begonnen und nicht mehr damit aufhören können. Seine Fantasie hatte gezündet. Die fiktive Lebensgeschichte von Ludwig Licht entwickelte sich.

Was fängt ein arbeitsloser Doppelagent in Berlin an?

Es wurde, passend zu Berlin und zum Vorstellungsvermögen von Thomas Engström, eine Agentengeschichte. Der Mann mit der Zigarre, so grübelte Engström damals, könnte für die Stasi gearbeitet und zugleich für die Amerikaner spioniert haben. Dann hätte er mit dem Fall der Mauer nicht bloß einen Arbeitgeber verloren, sondern zwei. Was hätte er wohl gemacht in dieser Stadt und in seinem Alter? Er hätte, meint Thomas Engström, ein Restaurant aufgemacht.

Jetzt sitzt der Autor auf der Holzbank eines Sushi-Ladens in der Kreuzberger Adalbertstraße und zeigt auf ein grünlichgraues Gründerzeithaus ein paar Meter weiter. Dort habe er vor Jahren mal für einen Monat gewohnt, erzählt er. Er sei viel herumgelaufen. Das gebe einem ein gutes Gefühl für die Gegend und bringe einen auf Ideen, sagt er. Dem Roman ist das anzumerken, gerade beim Blick auf die Kreuzberger Existenzen und die Stadtszenen.

Im ersten Doppelagenten-Roman mit dem Titel „West of Liberty“ haust Ludwig Licht ebenfalls dort. Nicht weit weg liegt die Kneipe, in der er sich regelmäßig so die Kante gibt, dass er am nächsten Tag Langstreckengedächtnislücken hat. In „West of Liberty“ liegt Lichts Restaurant Venus Europa an der Oranienstraße. Atmosphärisch ist der Krimi so dicht, der Stadt so nah, dass die TV-Verfilmung geradezu kommen musste. Ohnehin wirkt die Verbindung einer spannenden Geschichte mit einer attraktiven Hauptfigur und dem Berliner Hintergrund wie eine Fernsehfilm-Garantie.

Im Roman spiegelt sich die Geschichte von Julian Assange

Engström – schlank, nicht sehr groß – ist ein eher untypischer schwedischer Krimi-Autor. Die meisten seiner Kollegen, das sagte er ohne jede Arroganz, hätten eher forensische Interessen am Verbrechen: Was macht einen zum Täter? Wie reagiert der Strafverfolgungsapparat? Die Polizei, sagt Engström, müsse immer nach den Regeln spielen. Agenten und Spione dagegen wollten einen Krieg gewinnen. Man erwarte von ihnen, dass sie Gesetze brechen. Sie trainierten die ganze Zeit, wie Kriminelle zu handeln.

Das reizt Engström schriftstellerisch. Ludwig Licht bricht in „West of Liberty“ einem Verfolger in einem rabiaten Verhör den Schädel. Für ihn gehört das zum Job, da ist er kalt wie Beton im Winter. Engström antwortet auf die Frage nach seinem Lieblings-Autor wie aus der Pistole geschossen: „John Banville“. Der Ire hat in seinem Buch „Der Unberührbare“ die fiktive Biografie des realen Agenten Anthony Blunt geschrieben. Blunt hatte kurz dem englischen Geheimdienst gedient und länger dem russischen KGB – und dann noch eine Karriere als Kunsthistoriker gemacht. „Der Unberührbare“, schwärmt Engström, sei für ihn das beste Buch überhaupt.

Ludwig Licht ist weniger kultiviert als der Brite. Doch wie Banville hat auch Engström großes Interesse an Politik und daran, wie sie auf den einzelnen wirkt. Im ersten Ludwig-Licht-Krimi geht es um Datendiebstahl. Der Roman nimmt die Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten mit und um Wikileaks-Vormann Julian Assange auf. Der heißt in diesem Krimi Lucien Gell und ist – womöglich in Berlin – untergetaucht.

In der Geschichte, die für das ZDF verfilmt worden ist und im November an zwei Abenden gesendet werden soll, gibt es zunächst zwei Erzählstränge. Ein hochstehender Sicherheitsmann in der amerikanischen Botschaft in Berlin will den Hydraleaks-Chef finden, um seine Karriere zu retten. Dabei soll ihm eine junge Amerikanerin helfen, die sich telefonisch an die Botschaft gewandt hat, um Schutz zu finden. Die ehemalige Anwältin von Hydraleaks hat Informationen über undichte Stellen im amerikanischen Sicherheitsapparat. Und sie ist Zeugin eines Dreifach-Mordes an Hydraleaks-Mitarbeitern geworden. Nun fürchtet sie um ihr Leben und hält sich versteckt.

Verfilmung mit hochkarätigen Schauspielern

Ludwig Licht soll sie im Auftrag der Amerikaner in Sicherheit bringen. In der Film-Version von „West of Liberty“ spielt Wotan Wilke Möhring den etwas zerrütteten Ex-Agenten Licht. Der Amerikaner bietet ihm viel Geld für seine Hilfe. Licht hat für sein Restaurant tausende Euro Schulden machen müssen. Sein osteuropäischer Geldgeber ist gnadenlos im Umgang mit säumigen Schuldnern. So übernimmt Licht den Auftrag der amerikanischen Botschaft. Hier verbinden sich die beiden Erzählstränge. Der Sicherheitsmann aus der amerikanischen Botschaft hofft, über die junge Frau an den Hydraleaks-Frontmann Lucien Gell heranzukommen. In der Verfilmung spielt Lars Eidinger die bizarr-exzentrische Version von Julian Assange.

Wie auch Thomas Engström kommt Ludwig Licht viel herum. Der dieser Tage veröffentlichte zweite Roman spielt in Pennsylvania. Es gehe um Rechtsextremisten, sagt Engström. Das Leben wird für Ludwig Licht wohl in Zukunft nicht leichter. Denn auch das fasziniert den schwedischen Autor an den Agenten: Dass sie gelegentlich ihr Leben riskierten, nicht allein in Romanen, sondern auch in der Realität. Siehe den Fall des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko, der 2010 in England wohl von russischen Geheimdienstleuten mit dem Strahlengift Polonium umgebracht wurde. Oder der ehemalige russische Oberst Sergej Skripal, der sich in England dem dortigen Nachrichtendienst zugewandt hatte: Er und seine Tochter wären 2018 beinahe einem Giftanschlag zum Opfer gefallen. Der russische Geheimdienst soll das organisiert haben. Oder siehe der Georgier, der vor kurzem in Moabit mit großer Wahrscheinlichkeit von einem russischen Killer erschossen worden ist. Im Tschetschenien-Krieg soll er gegen die Russen gekämpft haben.

Der letzte Band der auf vier Romane angelegten Ludwig-Licht-Reihe spielt Thomas Engström zufolge in Georgien. Er habe dort anderthalb Jahre gelebt, erzählt er, es sei ein wundervolles Land. Und Ludwig Licht bleibt nah an der Wirklichkeit.

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