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In der TV-Serie „Babylon Berlin“ – hier eine Szene mit Volker Bruch als Gereon Rath und Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter – ist die Weimarer Republik noch nicht erledigt, anders als in Volker Kutschers „Olympia“.

© Frédéric Batier/ARD Degeto/dpa

Berlin als Babylon: Morde und Medaillen

Mit „Olympia“ hat Volker Kutscher einen der spannendsten Gereon-Rath-Romane geliefert.

Es ist nicht mehr viel übrig von der Lässigkeit und der Nonchalance des Oberkommissars Gereon Rath. Der Mann, der seiner Freundin vor ein paar Jahren noch das baldige Ende der Hitler-Diktatur voraussagte, bekommt 1936 deren Härte zu spüren. Mit der Freiheit des Berliner Kripo-Beamten ist es vorbei. Rath untersteht als Ermittler dem Nazi-Sicherheitsdienst. Polizei-Karrieristen in der schwarzen Uniform der SS schurigeln ihn und schreiben ihm vor, was er wo zu ermitteln hat.

Im achten Gereon-Rath Krimi lässt der Kölner Romanautor Volker Kutscher seinen Helden büßen – vor allem dafür, dass Rath mal glaubte, ihm als Mordermittler könne keiner. Gereon Rath und seine Charlotte sind die Hauptfiguren in „Babylon Berlin“. Die dritte Staffel der aufwendig produzierten, bildmächtigen Serie, „Der stumme Tod“, war vor ein paar Wochen in der ARD zu sehen. Sie spielte noch 1930. In den Rath-Romanen dagegen ist der Untergang der Weimarer Republik längst geschehen. Es wird eng für alle, die den Nazis nicht dienen und nicht parieren.

Die Polizei ist jetzt in die Struktur der SS eingeordnet

Jetzt läuft die Einordnung der preußischen Polizei in die Struktur der SS. Einer wie Rath hat zu schweigen und und gehorchen – und sei es, dass er ins Olympische Dorf geschickt wird, westlich der Berliner Stadtgrenze, um dort einen Todesfall zu untersuchen.

Berlin im Sommer 1936: Die Stadt ist zur Kulisse für die Selbst- und Außendarstellung der Nazis geworden. Randvoll mit Touristen und Sportfans aus aller Welt, präsentiert sich Hitlers Reichshauptstadt scheinbar weltoffen, freundlich und perfekt organisiert. Die Nazis haben alle Hinweise darauf entfernt, dass in ihrem Deutschland Juden diskriminiert und die Untertanen per Hass- und Hetzpresse gegen eine früher mal integrierte Minderheit aufgebracht werden. Rath erlebt, dass es in dieser Metropole der Lügen für politisch naive Liberale wie ihn nur dann noch einen Platz gibt, wenn sie sich fügen. Auf Anordnung seines Erzfeindes, des SS-Manns Sebastian Tornow, bezieht er einen Schreibtisch im Polizeirevier des Olympischen Dorfs. Dort ist ein amerikanischer Sportfunktionär unter obskuren Umständen gestorben. Im Speisesaal der US-Nationalmannschaft kippte der schwere Mann einfach um. Was aussah wie ein Herzinfarkt, könnte ein Mordanschlag mit Gift gewesen sein.

Berlin 1936 ist die Stadt der stolzen Volksgenossen

Volker Kutscher hat auch die Kulissen und Ereignisfolgen dieses Romans gründlichst recherchiert. Berlin im olympischen Sommer ist die Stadt der stolzen Volksgenossen, der überzeugten Nazis, Promenier- und Posierfläche zackiger Uniformierter, vereint in der Überzeugung, das überlegene deutsche Volk habe nun den ihm angemessen Rang in der Geschichte eingenommen, dem Führer sei Dank. Es ist beklemmend und bedrückend.

Dem Kölner Autor Kutscher geht es ja in den Rath-Romanen darum, den Untergang einer Demokratie zu beschreiben, fassbar zu machen und damit nachvollziehbar und verständlich. Sein drei Hauptfiguren – neben Rath dessen Frau Charlotte und der Ziehsohn Fritz – sind zu Getriebenen geworden. Charlotte, Charly genannt, die mit den Nazis weder wollte noch konnte, arbeitet als Privatdetektivin (und Fluchthelferin). Fritz wurde den Raths wegen politischer Unzuverlässigkeit weggenommen und lebt einen Traum in Uniform als Mitglied des „Jugendferiendienstes“ im Olympischen Dorf. Das waren in der Hitlerjugend sozialisierte Jugendliche, die den Sportlern zu Diensten sein durften. Fritze, wie er heißt, zunächst überzeugter Jungdeutscher in Uniform, hadert still vor sich hin: Nichts will er so sehr wie ein Autogramm seines Idols Jesse Owens. Doch der wird als „Neger“ heruntergemacht.

Volker Kutscher: Olympia. Der achte Rath-Roman. Piper Verlag, München. 544 Seiten, 24 Euro.
Volker Kutscher: Olympia. Der achte Rath-Roman. Piper Verlag, München. 544 Seiten, 24 Euro.

© Promo

Die drei erleben in diesem Sommer der NS-Propaganda, wie das Regime hinter den Kulissen wirklich funktioniert. Fritze wird zufällig Zeuge des Vorfalls mit dem amerikanischen Sportfunktionär. Und weil er ein bisschen mehr bemerkt, als er soll, gerät er unter Druck. Immerhin trifft er seinen Ziehvater Gereon Rath wieder, der ihm hilft.

Ein US-Sportfunktionär muss dran glauben

Rath und Charly haben keine leichte Zeit, weil er die gemeinsame Wohnung amerikanischen Touristen zur Verfügung gestellt hat, ohne seine Frau in die Entscheidung einzubeziehen. Als Kriminalbeamter im Olympischen Dorf ohne ein richtiges Zuhause soll Rath im Auftrag seines Vorgesetzten von der SS garantieren, dass der Tod des Funktionärs nicht auf das Regime zurückfällt, nach dem Motto: Die Nazis können die Sicherheit ihrer Gäste nicht garantieren.

Der dicke Amerikaner bleibt nicht der einzige Tote. Während die Spiele laufen, sterben einige Männer gewaltsame, brutale Tode, ohne dass ein Zusammenhang, ein übergeordnetes Motiv erkennbar würde. Rath, der früher souveräne, coole Ermittler-Individualist, spürt plötzlich, wie es ist, wenn Leute das Kommando übernehmen, die ihrer Propaganda alles glauben: Verschworene Kommunisten sollen für die Taten büßen.

So überzeugend wie beklemmend nehmen Ereignisse ihren Lauf. Charly und Gereon Rath begreifen – sie schneller als er –, dass sie in diesem Deutschland, in diesem Berlin, das nicht mehr ihres ist, ohne eine Zukunft sind. Jede Regung, jeden Zweifel, jede Anflug von Angst kann man lesend miterleben. Das macht „Olympia“ zu einem der packendsten Gereon-Rath-Romane, zum Glück nicht zum letzten.

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