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Berliner Kitas sollen wieder für alle öffnen. Kann das gut gehen?

© Sina Schuldt/dpa

Bei Rot gibt's nur noch Notbetreuung: Wie praxistauglich ist die „Kita-Ampel“ für Berlin?

Familienministerin Franziska Giffey schlägt vor, den Betrieb von Kindertagesstätten mit einer Ampel zu regeln. Kann das funktionieren?

Genervte Eltern, überforderte Sprösslinge, Stress mit Homeoffice und Homeschooling – die Frage, wie es mit der Betreuung der Kinder in Schule und Kita weitergeht, gehört zu den wichtigsten in diesen Lockdown-Zeiten. Am Montag haben die Jugend- und Familienminister von Bund und Ländern darüber beraten.

Sie haben sich unter anderem mit einem Vorschlag von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) für eine „Kita-Ampel“ befasst, der sich am Kita-Stufenplan Bremens orientiert. Doch konkrete Ergebnisse gab es bei ihrer Konferenz nicht, auch keinen Beschluss. Man sei sich aber einig, konkrete Öffnungsschritte für Kitas gemeinsam zu erarbeiten, hieß es im Anschluss.

Der Kitabetrieb wird abhängig von der jeweiligen Corona-Situation organisiert. Gibt es in einer Kita keine aktuellen Corona-Fälle und sind weniger als zehn Prozent der Kinder und Beschäftigten in Quarantäne, dann leuchtet die Ampel dieser Kita grün.

Dann findet ein ganz normaler Kitabetrieb statt. Die Ampel schaltet aber auf Gelb, wenn eine Person infiziert und eine Kindergartengruppe oder maximal ein Viertel des Personals in Quarantäne ist. Dann soll nur noch ein eingeschränkter Regelbetrieb stattfinden, die Kita ist nur wenige Stunden am Tag geöffnet.

Nicht einmal mehr eingeschränkt soll die Betreuung stattfinden, wenn die Ampel auf Rot steht. Das ist der Fall, wenn zwei oder mehr Personen an Corona erkrankt und mehr als 25 Prozent des Personals oder mehr als eine Kindergruppe in Quarantäne sind. Dann würde die Einrichtung geschlossen, es gäbe nur noch einen Notbetrieb.

Allerdings berücksichtigt der Vorschlag von Giffey auch das generelle lokale Infektionsgeschehen. Liegen in einer Stadt die Inzidenzen höher als 200 und breitet sich in einem Gebiet die Mutation des Coronavirus aggressiv aus, dann findet dort nur noch eine Notbetreuung statt, unabhängig davon, wie in einzelnen Kitas die Situation ist.

Ist die Ampel praxistauglich?

Nein, sagt Sabine Radtke, Referentin für Kinderstätten und Kindertagesstätten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, der Dachorganisation von 520 Kitas in der Hauptstadt. „Die Situation lässt sich nicht prozentual regeln“, sagt Ratke. Ein starres, pauschales System scheitere an der Größe der einzelnen Kitas.

„Wir haben Einrichtungen mit 20 Plätzen, bei denen ist die Lage ganz anders als bei Kitas mit 200 Plätzen.“ Aus Sicht der Referentin ist es viel sinnvoller, die Verantwortung über eine optimale Betreuung der jeweiligen Kita sowie den Erziehern und den Eltern zu überlassen. „Die können viel besser in Eigenregie entscheiden, was sinnvoll ist, als wenn sie sich an starre Regeln halten müssen.“

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Eine allgemeingültige Linie gebe es bei Kitas ohnehin nicht. „Wir haben Kinder in der Kita von Eltern, die systemrelevante Berufe haben, oder sie kommen, weil zu Hause die Verhältnisse viel zu beengt sind.“ In der Umgebung von Krankenhäusern gebe es eine hohe Auslastung, weil dort viele Kinder von medizinischem Personal, das dringend gebraucht werde, betreut würden. In anderen Gebieten sei die Auslastung viel geringer. „Teilweise sind in diesen Kitas nur 20 Prozent der Plätze belegt, während an anderen Orten die Zahl viel höher liegt“, sagt Ratke.

„Eine echte Notbetreuung haben wir ja schon lange nicht mehr.“ Viele weitere Faktoren seien zu berücksichtigen. „Wir haben viele Rückfragen von Kitas, die sagen, wir haben Kinder, die im Sommer in die Schule kommen, was machen wir mit denen?“ Auch eine Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie äußerte am Montag Bedenken. Es sei fraglich, ob das für die Kitas überhaupt machbar sei.

Im Kreis der Familienminister aus den Ländern stieß der Vorschlag von Giffey auch nicht auf Begeisterung. Die zuständige bayrische Staatsministerin Carolina Trautner (CSU) sagte, bereits bei den letzten gemeinsamen Beratungen der Familienministerkonferenz, an der auch Bundesministerin Giffey teilgenommen habe, sei man sich einig gewesen, „dass ein bundesweiter Stufenplan weder notwendig noch sinnvoll ist.

Denn eine solche Vorgabe wird dem unterschiedlichen Infektionsgeschehen und der vielfältigen Kitalandschaft in Deutschland nicht gerecht“. Die Länder hätten bei der Kinderbetreuung „unterschiedliche Ansätze“, sagte Trautner.

Was sagen Elternvertreter?

Katharina Mahrt von der Initiative Kitakrise Berlin ist ebenfalls skeptisch. „Das Ampelsystem klingt erst mal nett, in der Realität wird es aber nur Probleme bringen“, sagt sie dem Tagesspiegel. „ Wer soll die Einordnung jeden Tag neu vornehmen?“ Mahrt befürchtet eine zusätzliche Belastung für die Kitaleitungen, die schon in der Vergangenheit immer wieder die Arbeit der Gesundheitsämter übernommen hätten.

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Mahrt plädiert dafür, den Regelbetrieb erst ab einer Inzidenz von unter 50 pro 100.000 Einwohnern und Einwohnerinnen aufzunehmen, dann könnten die Gesundheitsämter „wieder ihrer Arbeit nachgehen“. Bis dahin fordert die Initiative Kitakrise Berlin einen Notbetrieb in Kleingruppen und reduzierte Betreuungszeiten für jene, die aufgrund ihrer beruflichen Situation darauf angewiesen sind.

Zum Beispiel sollte Freiberuflern so ein Angebot für die Kinderbetreuung gemacht werden. Eltern aus systemrelevanten Berufsgruppen sollen ihre Kinder weiterhin regulär betreuen lassen können. Mit diesem Modell, sagt Mahrt, „würden wir auch noch eine Aussetzung des Regelbetriebs bis Ostern durchhalten“.

Welche Maßnahmen könnten sinnvoller sein als eine Ampel?

Andrea Buttler* leitet eine Kindertagesstätte in Berlin-Tempelhof mit 190 Plätzen. Auch sie hält wenig von der Ampel. Aus ihrer Sicht wäre es viel sinnvoller, Schnelltests einzuführen, die Erzieher und Erzieherinnen ein- oder zweimal pro Woche an sich selber durchführen können. Bisher bestehe diese Möglichkeit nur in medizinischen Zentren mit mehrtägiger Wartezeit. Vor allem aber wäre es wichtig, dass Mitarbeiter von Kitas bei den Impfungen vorgezogen würden. „Wir bewegen uns permanent in einem Gefahrenbereich“, sagt sie. Eine der Berufsgruppen, die am stärksten von Corona betroffen seien, das seien Mitarbeiter im Bildungsbereich. „Das alles ist wichtiger als eine Ampel.“ Bei kleinen Kindern könne das Personal nicht mit Maske arbeiten.

Schwierig sei ohnehin, dass das Personal in Eigenregie beurteilen müsse, ob ein Kind ernsthaft erkrankt sei. Bis jetzt ist es in Berlin klar geregelt, dass Kinder, die nur eine leichte Erkältungskrankheit wie Husten oder Schnupfen haben, betreut werden müssen, solange sie kein Fieber haben. Buttler sagt, sie kenne aber einen Fall, bei dem ein Kind mit starkem Husten von seinen Eltern abgeholt worden sei und die Mutter drei Tage später mitgeteilt habe, dass sie positiv getestet worden sei. „Doch das Kind war ja in der Kita, wer weiß denn, ob es jemanden angesteckt hat.“

Wie geht es mit dem Unterricht an Berlins Schulen weiter?

Gerade sind Winterferien. Der Unterricht beginnt wieder am 8. Februar, allerdings ohne Präsenzpflicht. Der Senat will voraussichtlich in der zweiten Februarwoche beraten, wann Unterricht wieder im Schulgebäude möglich ist – und in welchem Umfang. Für die Abschlussklassen wurde teilweise vor den Ferien Wechselunterricht angeboten, also ein Mix aus Unterricht in Kleingruppen in der Schule und digitaler Lehre. Für den Großteil der Berliner Schüler und Schülerinnen ist der Präsenzunterricht aber seit 16. Dezember 2020 ausgefallen.

Davor hatte es im Schulbetrieb einen Stufenplan gegeben. Jeden Donnerstag sollten die jeweiligen Schulaufsichten und Gesundheitsämter der Bezirke beraten, welche Corona-Regeln für jede Schule gelten. Grün bedeutete Regelunterricht, weil im Bezirk ein niedriges Infektionsgeschehen herrscht.

Danach folgten Gelb und Orange, die Maskenpflicht und eine einheitliche Betreuung von Lerngruppen vorsahen, damit die sich nicht mehr vermischen. Rot, die maximale Stufe, sollte bei hohem Infektionsgeschehen ausgerufen werden. Das bedeutete generell einen Mix aus Präsenzunterricht und Homeschooling.

Martin Wagner, Leiter des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums, ist zufrieden mit dem Ampelsystem an seiner Schule. „Auch die Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht war effizient“, sagte er dem Tagesspiegel. „Die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt musste infolge der Überlastung auf eine neue Grundlage gestellt werden, die durch die Allgemeinverfügung nun gegeben ist.

Das ist zwar viel zusätzliche Arbeit, aber wir können schnell und flexibel reagieren. Der tägliche Eintrag der Infektionszahlen im Onlineportal – und an unserer Schule auch auf einer für Lehrkräfte, GEV und GSV einsehbaren Plattform – sorgt für Transparenz und Vertrauen.“

Wie sieht es bundesweit an Schulen aus?

Einen Stufenplan für Schulen fordern Lehrer- und Elternvertretungen seit Langem, auch die Friedrich-Ebert-Stiftung hatte einen solchen vorgelegt. Dieser sollte sich aber nicht an der Situation jeder Schule orientieren, sondern Distanz-, Wechsel- und Regelbetrieb flächendeckend an bestimmte Inzidenzwerte knüpfen, lauten die Forderungen – auch um den Schulbetrieb in der Pandemie planbarer zu machen und Chaos wie vor Kurzem in Berlin oder Baden-Württemberg zu verhindern.

Das RKI hatte etwa schon vor Monaten vorgeschlagen, ab einer Inzidenz von 50 pro 100000 Einwohnern Wechselunterricht zu prüfen.

Mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat vor Kurzem erstmals ein Spitzenpolitiker einen ähnlichen Stufenplan vorgestellt. Liegen die landesweiten Inzidenzen über sieben Tage stabil unter 100, könnten Kitas in einen eingeschränkten Regelbetrieb und Schulen in den Wechselunterricht gehen, schlägt Günther vor. Bei einer Inzidenz eine Woche lang unter 50 sollen Kitas in den Regelbetrieb gehen, die ersten sechs Schulklassen wieder Präsenzunterricht erhalten.

Bleibt der Wert weitere 14 Tage unter 50, fände auch in den Schulklassen 7 bis 13 wieder Präsenzunterricht statt. Ähnlich äußerte sich am Sonntag Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Ein solcher Stufenplan – der auch andere Lebensbereiche umfasst – soll nach den Vorstellungen Günthers und Weils auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz diskutiert werden.

Die Kultusministerkonferenz indes hat ein solches Vorgehen bisher strikt abgelehnt, das Öffnen von Schulen solle nicht starr mit dem Infektionsgeschehen verknüpft werden. Und so stellt sich die Situation aktuell von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich dar.

Niedersachsen lässt bereits die Grundschüler im Wechselunterricht vor Ort zu (wobei die Präsenzpflicht ausgesetzt ist), ähnlich sieht es in Bremen aus, während in anderen Ländern auch die jüngeren Kinder komplett im Distanzlernen sind. Abschlussklassen sind teilweise vor Ort, etwa in Brandenburg und Bayern. *Name von der Redaktion geändert

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