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In Berlin gibt es rund 17 000 Betriebe, die vom Erdaushub bis zur Klimatechnik auf Baustellen tätig sind.

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Baugewerbe: Zu wenige Handwerker für zu viel Arbeit

Das Baugewerbe kann sich vor Aufträgen kaum retten. Einige Betriebe sind derart gut gebucht, dass für manche Kunden nur noch die Warteliste bleibt.

Wenn Rüdiger Thaler, der Chef des Berliner Dachdeckerverbandes, über die wirtschaftliche Situation seines Gewerbes redet, wird er euphorisch. „Es ist ganz außerordentlich, was seit 2011 bei uns positiv abgeht“, sagt er. So etwas habe die Branche seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr erlebt. Thaler freut sich über volle Auftragsbücher, über „bestens ausgelastete Mitgliedsbetriebe.“ Aber diese enorme Nachfrage, die auch Maurer, Installateure, Elektriker und andere Bauhandwerker seit etwa zwei Jahren in Berlin erleben, hat für ihre Kunden eine nervige Kehrseite: Sie müssen länger warten, bis ein Handwerker kommt. Manche Betriebe sind schon derart gut gebucht, dass sie Interessenten nur noch vormerken – oder ihnen gleich absagen.

Der Geschäftsführer der Sanitär- und Klima-Innung, Klaus Rinkenburger, sagt: „Noch vor einigen Jahren dachten viele Leute, dass ein Handwerker froh ist, wenn sie ihn anrufen. Jetzt sind die Kunden froh, wenn die beauftragte Firma bald kommen kann.“ Besonders gilt dies für private Auftraggeber, die sich ein Eigenheim bauen oder ihre Eigentumswohnung modernisieren. Großinvestoren und Wohnungsbaugesellschaften werden dagegen vorrangig bedient. Sie vergeben oft Millionenaufträge, sind die lukrativeren Geschäftspartner.

Wie berichtet, klagte aber auch das Bundesbauamt über die „ ausgeschöpften Kapazitäten“ der Baubranche. Anlass waren die erneuten Verzögerungen beim Neubau des Lesesaales der Staatsbibliothek Unter den Linden. Einige Gewerke könnten Termine nicht einhalten, hieß es. Das liege auch an der Großbaustelle für den Flughafen in Schönefeld, die zahlreiche Handwerksbetriebe vollständig auslaste. Entspannter beurteilt der Bau- und Immobilienkonzern NCC die Situation. Er baut in Berlin neben etlichen anderen Projekten den „Residence Garden“ mit Luxusvillen an der Invalidenstraße in Mitte. Es gebe „punktuell Verzögerungen“, teilt NCC mit, von einem Engpass könne aber keine Rede sein. Die meisten Firmen habe man ohnehin mit Rahmenverträgen für längere Zeit verlässlich verpflichtet.

Insgesamt gibt es in Berlin rund 17 000 Betriebe, die vom Erdaushub bis zur Klimatechnik auf Baustellen tätig sind. In den ersten zehn Jahren nach der Jahrtausendwende ging es ihnen überwiegend schlecht. Die Baueuphorie der Nachwendejahre war verebbt, private und öffentliche Investoren mussten sparen, Modernisierungsvorhaben wurden aufgeschoben. „Das waren dürre Jahre“, blickt Klaus Rinkenburger von der Sanitär-Innung zurück. Mitarbeiter wurden entlassen. 1995 arbeiteten in der Berliner Baubranche 55 000 Menschen, 2009 waren es noch 22 000.

Dann aber kam der Aufschwung. In der Stadt stehen wieder auffällig viele Gerüste – und die gesamte Baubranche ist optimistisch. Die Handwerkskammer, die Fachgemeinschaft Bau und der Verband der Bauindustrie Berlin-Brandenburg sprechen übereinstimmend von einem regelrechten Boom. Zum einen ist dieser steuerlichen Erleichterungen und Förderprogrammen wie dem Konjunkturpaket II für energiesparende Sanierungen sowie für altersgerechte und barrierefreie Umbauten zu verdanken. Zum anderen werden wieder mehr Wohnungen neu gebaut, seit die Mieten und dadurch die erhofften Renditen steigen. Bisher konzentrierten sich diese Aktivitäten vor allem auf Loftausbauten und luxuriöse sogenannte Townhouses in der City, nun aber will die rot-schwarze Koalition bis 2016 rund 30 000 zusätzliche Wohnungen für Mieter mit geringen und mittleren Einkommen errichten.

Dass es der Branche wieder besser geht, zeigt auch die Resonanz auf öffentliche Ausschreibungen. „Haben sich bislang beispielsweise zehn Metallbauer für ein Projekt beworben, sind es heute noch zwei“, heißt es bei der Senatsverwaltung für Stadtplanung. Und sogar die Finanzkrise füllt derzeit offenbar noch die Auftragsbücher. „Wer Geld hat, gibt es heute lieber für wertbeständige Sanierungen oder Neubauten aus anstatt für Bankanlagen“, sagt Wolfgang Rink von der Handwerkskammer. Damit Berlin die Fachkräfte am Bau nicht ausgehen, stellen viele Firmen wieder Personal ein, schaffen mehr Ausbildungsplätze – und begrüßen inzwischen auch die offenen Grenzen nach Osteuropa. Vor wenigen Jahren fürchteten Berlins Bauhandwerker noch die damalige „Billigkonkurrenz“ beispielsweise aus Polen. Doch inzwischen nehmen auch diese Firmen höhere Preise, bekommen polnische Arbeiter Mindestlöhne. Die auswärtigen Firmen entspannen eher den Markt. Der Kuchen, so heißt es, reiche jetzt für alle.

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