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Helga Schubert gewann 2020 den Bachmannpreis.

© dpa/Frank Hormann

Autorin erzählt, wie sie ihren Ehemann pflegt: Helga Schubert sieht eine „gravierende Lücke“ bei der Versorgung alter Menschen

In ihrem „Stundenbuch der Liebe“ berichtet die Bachmann-Preisträgerin über das Alter und die Pflege. Den gesellschaftlichen Umgang damit kritisiert sie deutlich.

Die Schriftstellerin und Psychologin Helga Schubert sieht eine „gravierende Lücke“ bei der Versorgung alter Menschen. Darüber werde zu wenig gesprochen, sagte sie in einem Interview mit dem „Spiegel“. Viele Menschen könnten sich bestimmte Dienste nicht leisten, etwa eine Vertretung zu engagieren, wenn sie selbst einmal nicht bei einem pflegebedürftigen Verwandten sein könnten.

Auch habe sie den Eindruck, dass die Gesellschaft Menschen ignoriere, sobald diese nicht mehr produktiv seien, sagte die Berlinerin, die in ihrem neuesten „Stundenbuch der Liebe“ davon erzählt, wie sie ihren Ehemann pflegt. Das Paar lebt inzwischen in der Künstlerkolonie Drispeth bei Schwerin.

So werde ihr mitunter gesagt, das Leben ihres Mannes sei „eigentlich kein Leben“, und für sie selbst sei dies auch kein Leben. „Was ich jetzt sage, ist etwas radikal, aber mich erinnert das manchmal an die Unterscheidung von unwertem und wertem Leben in der NS-Zeit. Da wurde nur nach dem Prinzip Nützlichkeit gemessen. Und so ist es heute auch. Wer nicht arbeitet, hat ein Leben, das weniger wiegt.“

Es mag sich auf den ersten Blick widersprüchlich anhören, aber man muss sich abgrenzen, obwohl man sich voll einlässt.

Helga Schubert über gelingende Liebe

Auch seien Alter, Krankheit und Tod in der Gesellschaft „so negativ besetzt, dass die meisten Menschen das weit von sich wegschieben. Sie wollen nicht daran erinnert werden, dass sie selbst auch in eine solche Lage kommen könnten“, sagte die 83-Jährige.

Sie empfinde es als anstrengender, diese „Probleme der anderen zu neutralisieren“, als die Pflege selbst. „Am schlimmsten waren jene, die ihre eigenen Verwandten bei der kleinsten Verhaltensänderung ins Heim gaben. Die fühlen ein schlechtes Gewissen, das sie auf mich projizieren.“

Schubert resümierte in dem Gespräch auch, was sie durch das Älterwerden über Liebe gelernt hat. Auch in einer Beziehung gilt es ihrer Ansicht nach, eigenständig zu bleiben. „Es mag sich auf den ersten Blick widersprüchlich anhören, aber man muss sich abgrenzen, obwohl man sich voll einlässt“, sagte Schubert, die vor drei Jahren mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

Aus ihrer heutigen Sicht gehörten zur Liebe „Verantwortung, Loyalität, Integrität. Liebe ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe“. Als junge Frau habe sie das Sprichwort „Liebende trinken nicht aus einem Glas“ nicht verstanden, fügte Schubert hinzu: „Das kann ja nicht sein, dachte ich damals, Liebende wollen doch alles teilen und miteinander verschmelzen. Jetzt verstehe ich es.“ Zugleich habe sie stets ein „halsbrecherisches Vertrauen in die Liebe“ gehabt. (Tsp, KNA)

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