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Ein Kampf der US-Wrestling-Veranstalters WWE.

© REUTERS

Wrestling in Deutschland: Aus Neukölln bis in den Ring

Der deutsche Wrestling-Markt ist der drittgrößte weltweit. Federführend im Geschäft: zwei Brüder aus Neukölln. Sie bilden Talente in Berlin aus. Ein Besuch.

Wrestler riskieren buchstäblich Kopf und Kragen, um ihr Publikum zu unterhalten. Die Zuschauer halten den Atem an, wenn die muskulösen Athleten durch die Luft fliegen. Die Frage, ob die Kämpfe echt sind, stellt sich heute niemand mehr. Dem Publikum ist bewusst, dass es eine Show sieht – es will gut unterhalten werden. Das wissen die Brüder Ahmed und Hussen Chaer, die in Neukölln eine der erfolgreichsten Wrestling-Promotions Deutschlands aufgebaut haben. Am Wochenende feiert ihre German Wrestling Federation (GWF) ihr 24-jähriges Bestehen – mit einem Turnier im Festsaal Kreuzberg.

Die Kämpfer aus dem Kiez

„Der deutsche Wrestling-Markt ist der drittgrößte weltweit, nach den USA und Großbritannien“, sagt Hussen Chaer, der im Ring als „Crazy Sexy Mike“ auftritt. Die Shows der Berliner seien zwar ebenso aberwitzig wie bei der größeren US-Konkurrenz. Im Gegensatz zu den internationalen Stars würden jedoch bei der GWF Figuren auftreten, wie sie das Publikum aus dem eigenen Leben kennt. In den Festsaal Kreuzberg passen zwar maximal 500 Zuschauer, doch viele Fans verfolgen die Matches im Internet.

Wrestling ist Hochleistungssport. Die Chaer-Brüder bilden ihre Athleten in ihrer Wrestlingschule in der Neuköllner Kopfstraße im Rollbergkiez aus. Darunter sind viele Jugendliche. Doch bevor die Anfänger – „Rookies“ genannt – ihren ersten Auftritt haben, müssen sie viele andere Aufgaben übernehmen: etwa den Ring aufbauen oder die Kamera bedienen. So sollen alle lernen, worauf es ankommt. „Du musst dein Geschäft kennen“, sagt Ahmed Chaer.

Als die Chaer-Brüder Mitte der 1990er Jahre mit dem Wrestling begannen, galten sie als Außenseiter. Damals dominierte die „Catch Wrestling Association“ (CWA) das deutsche Geschäft. Hussen erzählt von fragwürdigen Methoden: Wer in Deutschland eine unabhängige Show veranstalten wollte, habe die CWA um Erlaubnis bitten und einen Teil der Erlöse abgeben müssen. Ohne diese „Lizenz“ sei Ärger programmiert gewesen. Dann sei es vorgekommen, dass sich Wrestler der Konkurrenz am Veranstaltungsabend vor dem Eingang aufgestellt hätten, um das Publikum zu hindern, hineinzugehen.

Neue Ringer seien damals selten zugelassen worden, der Platz stattdessen vom Vater auf den Sohn übergegangen. Doch die Chaer-Brüder ließen sich nicht entmutigen. Sie reisten von Show zu Show, saßen bereit zum Auftritt im Publikum. Wenn ein Kämpfer wegen einer Verletzung ausfiel, boten sie an einzuspringen. „Wir hatten unseren Koffer mit der Ausrüstung immer dabei“, sagt Ahmed.

„Weil wir für sie die Kanaken waren“

Dass die Jungs aus Neukölln, deren Vater aus dem Libanon gekommen war, es anfangs so schwer hatten, habe auch damit zu tun gehabt, dass „die ein bisschen Angst vor uns hatten“. Und Ahmed ergänzt: „Weil wir für sie die Kanaken waren.“ Rassismus sei damals in der Szene sehr verbreitet gewesen. Immer wieder mussten sie Durststrecken überwinden, zum Beispiel indem sie als Kirmes-Wrestler gegen das Publikum antraten. Darauf sind heutige GWF-Wrestler nicht mehr angewiesen. Das ganze Jahr über gibt es Events, die Athleten treten auch bei anderen deutschen Ligen auf, etwa in Nordrhein-Westfalen. In der Regel gehen sie aber noch anderen Tätigkeiten nach.

Was ein Wrestler verdient? „Internationale Stars nehmen bis zu 15 000 Euro pro Auftritt“, sagt Hussen Chaer. Sein Bruder ergänzt: „Das gibt es in Deutschland aber nicht.“ Je bekannter der Wrestler sei, desto mehr Geld könne er verlangen. Die Rookies bekämen zunächst nur eine „Aufwandsentschädigung“ von 50 Euro pro Auftritt. Wer bereits eigene Fans anziehe, könne 500 Euro verlangen. Seltener seien Gagen von bis 1000 Euro. Der Wrestler „Pascal Spalter“ habe eine bessere Verhandlungsbasis, weil er durch Auftritte in TV-Serien wie „Berlin – Tag und Nacht“ oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ überregional populär sei, sagt Ahmed Chaer.

Die Brüder Ahmed (l.) und Hussen Chaer. Die Chaer-Brüder bilden ihre Athleten in ihrer Wrestlingschule in der Kopfstraße im Neuköllner Rollbergkiez aus.
Die Brüder Ahmed (l.) und Hussen Chaer. Die Chaer-Brüder bilden ihre Athleten in ihrer Wrestlingschule in der Kopfstraße im Neuköllner Rollbergkiez aus.

© promo

Das Verletzungsrisiko trägt jeder Sportler selbst. „Es gibt keine Versicherung dafür“. Eine Verletzungspause bedeute Gagenausfall. Auch deshalb bauen sich die Chaers gerade ein zweites Standbein auf – in der Filmbranche. Wer im Ring Schläge einstecken und halsbrecherische Sprünge vollführen kann, der schafft das auch vor der Kamera. Das dachten sich die Chaers vor einigen Jahren und begannen, Wrestler als Stuntmen zu vermitteln.

GWF-Athleten waren seither unter anderem im „Tatort“ zu sehen oder in den Serien „4 Blocks“ und „Dogs of Berlin“. Die Show-Ringer hätten keine Starallüren und brächten Schauspielkenntnisse mit. Das ist ein lukrativer Nebenjob, Stuntleute verdienen laut Branchenverband German Stunt Association Tagesgagen von etwa 1000 Euro.

Schafft es Deutsches Wrestling ins Fernsehen?

Ahmed Chaer hat derweil ein Fernstudium zum Drehbuchautor abgeschlossen. Außerdem arbeitet er als Stunt-Koordinator für Produktionsfirmen. Das Ziel der Chaer-Brüder ist es, mittelfristig eine eigene Serie ins deutsche Fernsehen zu bringen. Den Anfang haben sie bereits gemacht. Bei Amazon gibt es Videos vergangener Turniere als Pay-per-View zu sehen. Und in einer professionell produzierten Reality-Serie namens „Three Count“ werden Geschichten erzählt, die sich um die GWF-Turniere drehen. Bei den Fans sei das Produkt gut angekommen. Jetzt verhandeln die Chaers nach eigenen Angaben mit mehreren TV-Produktionsfirmen und Streaminganbietern über einen wöchentlichen Sendeplatz für ein ähnliches Format.

Wrestling ist ein Nischenmarkt mit nur wenigen deutschen Konkurrenten. Bislang zeigen Spartensender wie ProSieben Maxx oder Sky Sport1 ausschließlich die Matches des übermächtigen US-Konkurrenten WWE. Eine regelmäßige TV-Show könnte dem Wrestling auch in Deutschland wieder ein breiteres Publikum verschaffen.

Doch die Neuköllner Promoter wollen nichts überstürzen. Müssen sie auch nicht: das Konzept des mittelständischen Unternehmens ist erfolgreich: Große Nähe zu den Fans, persönliche Netzwerke in der Branche und ein stetiges Wachstum durch Reinvestition eines Großteils des Gewinns.

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