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Teamwork. Die Hälfte der Darsteller des Stücks „Schauspieler“ saßen schon mal im Gefängnis.

© Thomas Aurin / promo

Aufführung des Stücks „Die Schauspieler“ von Einar Schleef: Wenn Häftlinge ihre Schauspieltalente zeigen

Aus dem Knast, auf die Bühne: Das Theater „Aufbruch“ gastiert im einstigen Flughafen Tempelhof. Mehr als die Hälfte des Ensembles hat Gefängnishintergrund.

Die Bühne im ersten Bild ist gewaltig. Der Hangar mit seinen geziegelten Wänden, Stahlkonstruktionen, der hohen Decke. Wo früher Flugzeuge parkten, stehen noch immer einige Hundert Metall-Etagenbetten aus den vergangenen Jahren, als die Hallen Berlins größte Notunterkunft für Flüchtlinge waren. In kleinen Gruppen betreten die Zuschauer den monumentalen Raum.

Sie verteilen sich an den Betten, auf denen die Schauspieler sitzen und ihre Charaktere erzählen lassen: Da ist etwa die junge Französin, die an der Aufnahmeprüfung an einer angesehenen Hochschule gescheitert und anschließend in Berlin gelandet ist. Der Libanese, der mit seiner Großfamilie dem Bürgerkrieg entfloh, in Ost-Berlin ankam und sich dort über die kleinen stinkenden Autos wunderte. So hatte er sich Deutschland nicht vorgestellt.

Oder die Schauspielerin, die sich als Jugendliche nicht vorstellen konnte, überhaupt erwachsen zu werden, nach dem Abitur noch weiterzuleben. Ihre Stimmen hallen durch die Weite und Tiefe des Raums. Nach diesem Prolog wechseln Publikum und Schauspieler vom Hangar in einen Nebenraum.

Der Autor des Stücks wäre dieses Jahr 75 Jahre geworden

Dort geht es weiter mit dem Stück „Die Schauspieler“ von Einar Schleef. Die Gefängnistheatertruppe „Aufbruch“ bringt das Werk des Dramatikers, der 2001 nur 57-jährig in Berlin starb, im ehemaligen Flughafen Tempelhof auf die Bühne. Schleef wäre in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden.

Seit 22 Jahren besteht das Theater und eröffnet den Insassen verschiedener Berliner Gefängnisse die Möglichkeit, Theater zu spielen. Zwischen drei und vier Produktionen werden pro Jahr erarbeitet. Die Probenzeit beträgt meist sechs bis acht Wochen. „Es geht hier um das Theater, das Spielen ist nicht als therapeutisches Programm gedacht“, sagt Hans-Dieter Schütt, der bei einzelnen Produktionen und auch nun bei den „Schauspielern“ Dramaturg ist. Es gehe stets darum, das Geprobte auch vor richtigem Publikum in den Gefängnissen aufzuführen. Deswegen wird das Projekt von der Senatskulturverwaltung gefördert.

Einmal im Jahr verlässt „Aufbruch“ die verschlossenen Räume der Justizvollzugsanstalten, um an interessanten Orten Aufführungen zu literarischen und dramatischen Vorlagen zu erarbeiten. Das Ensemble ist dann anders zusammengesetzt: Es besteht wie für die Tempelhofer Aufführung aus Ex-Häftlingen, Freigängern, gelernten Schauspielern und Laiendarstellern. Mehr als die Hälfte der 22 Darsteller hat einen Gefängnishintergrund.

Den Akteuren wird einiges abverlangt

Bei Schleefs Stücken wird den Akteuren in der Regel einiges abverlangt, auch hier. Es ist alles andere als Wohlfühltheater. Die Schauspieler müssen Körpereinsatz zeigen. Die Geschichte: Eine Theatergruppe begibt sich in eine Notunterkunft. Sie will dort Studien für ein sozialkritisches Stück betreiben, um es authentischer umsetzen zu können. Drum herum toben gewalttätige Auseinandersetzungen, die Todesopfer fordern. Theater trifft auf Realität.

Die Schauspieler bringen Essen und Getränke; sie skandieren wie in einem Chor – häufiges Stilmittel bei Schleef –, was sie zu den Elenden der Gesellschaft führt. Währenddessen klatscht ein Mann laut einen Scheuerlappen auf den Boden, um den Linoleumboden zu wischen. Zwei Bewohner fegen den Raum, begleitet von lautem Stampfen. An einem langen Tisch sitzend wird gemeinsam gegessen. Der Regisseur in der Mitte bricht das Brot und reicht es zu beiden Seiten. Eine Szene wie beim letzten Abendmahl.

Das Theater bleibt Schein

Irgendwann fragt einer der Männer aus der Notunterkunft: „Kann man einen richtigen Penner von einem richtigen Schauspieler unterscheiden?“ „Wenn die Maske stimmt“, so ist eine der Theaterfrauen überzeugt, wohl eher nicht. Ein Trugschluss. Die Schauspieler und die im Obdachlosenasyl Gestrandeten bleiben sich fremd. Vielmehr kommen Aggressionen auf, die in Vergewaltigungsakten ihren Höhepunkt finden. Das Theater bleibt Schein, kann die raue Wirklichkeit nicht erreichen.

Zum letzten Bild des Stücks geht es zurück in den Hangar. Es endet mit dem Choral für die Passionszeit „O Haupt voll Blut und Wunden“. Für Schleef war dies ein wichtiges Werk. Viele Zuschauer werden die Melodie eher aus einem freudigeren Zusammenhang kennen: von dem Choral „Wie soll ich dich empfangen“ aus dem Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs, der sie dort wiederverwendet hat.

Hinter dem Schauspielerchor schiebt sich die Wand auseinander und gibt den Blick frei auf das Flughafenvorfeld. Auf das verlassene Containerdorf für die Flüchtlinge, in das Dunkel des Abends. In die Realität.

[Vorstellungen: 23., 24., 25., 28., 29., 30. und 31. August sowie im September, Flughafen Tempelhof. Weitere Informationen: www.gefaengnistheater.de]

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