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Die Kronprinzenbrücke unweit des Bundestags von Santiago Calatrava.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Schwebende Dächer und unpathetische Statements: Auf hispoamerikanischen Spuren – wo einem Berlin spanisch vorkommt

Architekten und Künstler der Iberischen Halbinsel und aus Lateinamerika haben die Stadt mitgeprägt. Spezielle Stadttouren führen zu ihren Spuren. Ein Rundgang.

Sind es Rockfalten? Ein Vorhang aus Lamellen? Die Fassade der mexikanischen Botschaft weckt viele Assoziationen. Bestehend aus 40 Betonstelen, die sich zu verschiedenen Seiten neigen, als ob sie jeden Moment kippen könnten, ist das Gebäude unverkennbar eine Hommage an den mexikanischen Monumentalismus, aber gleichzeitig erstaunlich filigran und elegant.

Und wenn die Fassade nach außen hin die beschwingte Bewegung der Nordischen Botschaften aufnimmt, entfaltet sie nach innen, im kreisförmigen Atrium, ein reizvolles Lichtspiel. „Daran kann man ablesen, dass Teodoro González de León, einer der beiden Architekten neben Francisco Serrano, von Le Corbusier beeinflusst wurde!, erklärt Jorge Brunetto. Charakteristisch sei nicht nur die helle Farbe, sondern auch der Umgang mit Licht.

Für Brunetto, selbst chilenischer Architekt und seit 2003 in Berlin als Stadtführer tätig, ist die mexikanische Botschaft eins der gelungensten Gebäude in der Stadt. Deshalb startet er auch am liebsten hier zu seiner „hispanoamerikanischen Route“, einer Stadtführung auf den Spuren spanischer und lateinamerikanischer Architekten und Künstler. Mal geht es zu stattlichen Bauten, mal zu Skulpturen wie den „Alas de México“, die gleich neben der Botschaft stehen.

Die Flügel Mexikos des Bildhauers Jorge Marín sind ein Geschenk von Mexiko City zum 20-jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft mit Berlin. Nicht nur Touristen lieben es, sich zwischen den Bronzeflügeln ablichten zu lassen. Auch Berliner fühlen sich gern mal als Engel. Das Werk steht für Freiheit, Verbindung und Austausch. „Wobei es sicherlich auch eine Referenz an den Film „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders ist“, sagt der Guide.

Starke Symbolkraft entfaltet auch Eduardo Chillidas Skulptur vor dem Bundeskanzleramt, der nächsten Station auf der Tour: zwei stilisierte, ineinander verschränkte Hände aus rostigem Stahl als Sinnbild der deutschen Wiedervereinigung. „Wobei sie kurz vor dem Händedruck innehalten“, gibt Brunetto zu bedenken. Ein denkwürdiges und völlig unpathetisches Statement des baskischen Bildhauers.

Frei schwebendes Dach statt Kuppel auf dem Bundestag?

Schräg gegenüber, vor dem Deutschen Bundestag, zieht der Stadtführer Fotos von Entwürfen aus seiner Mappe, die 1994 für den Wettbewerb zur Rekonstruktion des Reichstagsgebäudes eingereicht wurden. Damals gab es drei Preisträger: den holländischen Architekten Pi de Bruijn, Norman Foster und Santiago Calatrava.

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Während bei dem Entwurf des Spaniers Calatrava eine gläserne Kuppel organisch aus dem Plenarsaal herauswächst, sah Foster ein frei schwebendes Dach über dem Gebäude vor. „Letzter erhielt wahrscheinlich den Zuschlag, weil man seinem Büro eher ein Werk von solchen Dimensionen zutraute“, mutmaßt Brunetto. Allerdings bestanden die Auftraggeber auf einer Kuppel. Als Foster diese tatsächlich wie einen Hut auf das emblematische Bauwerk setzte, warf ihm Calatrava Plagiat vor. Doch er hätte keine Chance mit einer Klage gehabt, weil die Idee einer Kuppel nicht rechtlich geschützt ist.

Die „Alas de México“ von Jorge Marín neben der mexikanischen Botschaft.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Immerhin kam der gebürtige Valencianer, der wie kein anderer für Leichtigkeit und Eleganz steht, bei der Kronprinzenbrücke zum Zug, die sich unweit vom Bundestag über die Spree spannt. Dass sie 800 Tonnen wiegt, ist der filigranen Konstruktion aus hellem Stahl nicht anzusehen. Wie geschickt der Architekt das Problem gelöst hat, zeigt sich vor allem, wenn man sie von unten betrachtet. „Das ganze Gewicht wird ohne vertikale Elemente von vier Pfeilern aufgefangen, die sich wie Ellenbogen zur Seite spreizen. Einfach genial“, schwärmt Brunetto.

Er erzählt, dass Calatrava vorher bereits an der Oberbaumbrücke die Lücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg geschlossen hat, die 1945 zerstört worden war. Behutsam und subtil fügte er zwei schlichte Bögen in die neugotischen Brückenteile mit ihren Türmen ein.

Ein temporäres Kunstprojekt durfte bleiben

Doch bevor die Tour hier ankommt, geht es erstmal zur Mauerstraße, wo sich ein seltsames Skelett aus dünnen Stahlrohren erhebt. Man muss schon sehr genau hinschauen, um zu sehen, dass es die Umrisse der böhmischen Bethlehemkirche nachzeichnet, die hier einst stand, aber 1943 bei Bombenangriffen zerstört und später gesprengt wurde. Mit seiner „Memoria Urbana“ wollte der spanische Künstler Juan Garaizabal die „städtische Erinnerung“ auffrischen, wie das Werk wörtlich übersetzt heißt.

„Eigentlich war es 2012 nur als temporäres Kunstwerk geplant, durfte aber später bleiben. Nur schade, dass die LED-Beleuchtung abgeschaltet wurde“, bedauert Brunetto. Immerhin passe es gut zur benachbarten „Houseball“-Skulptur von Claes Oldenburg, die mit dem zusammengerollten Hausstand an die früheren Einwanderer der Friedrichstadt erinnert.

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Überhaupt scheint sich der unbeschwerte Umgang mit gewichtigen Themen wie ein roter Faden durch die Tour zu ziehen. Auch die Architekten des katalanischen Büros MBM standen vor keiner leichten Aufgabe, als es galt, im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1987 Lebensqualität in ein vernachlässigtes Gebiet beim Checkpoint Charlie zu bringen. Dabei sollte nicht nur die historische Blockrandbebauung beachtet, sondern auch Wohnen und Gewerbe unter begrünten Dächern vereint werden.

An der Kochstraße springt die postmoderne Gebäudezeile von Martorell, Bohigas und Mackay ins Auge, die gekonnt mit dem Kontrast von vertikalen und horizontalen Elementen spielt. Hier schmückt ein roter Treppenaufgang, dort eine grüne Brücke die helle Fassade. Und dahinter versteckt sich ein parkähnlicher Wohnhof mit mediterranem Flair.

ein Revier. Stadtführer Jorge Brunetto zeigt Interessierten die Werke spanischer und lateinamerikanischer Architekten und Künstler.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Allerdings können spanische Architekten auch ganz anders. Zumindest José Rafael Moneo, der am Potsdamer Platz gleich zwei Gebäude, das Hotel Hyatt und das Bürogebäude A5 an der Ecke von Potsdamer und Eichhornstraße entworfen hat. Schnörkellos-minimalistisch fügen sie sich in die Gesamtkonzeption von Renzo Piano ein. „Der hatte klare Vorgaben gemacht, auch was Materialien und Farben betrifft“, sagt Brunetto. So habe Moneo Keramik-Panels verwendet und sich an die warmen Ocker- und Terrakotta-Töne der Umgebung gehalten.

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Eine wahre Farbexplosion ist dagegen das Gustavo-Haus in Lichtenberg. Hier, weitab vom Zentrum, durfte sich der spanische Künstler Gustavo Peñalver Vico 1999 mit poppigen Gelb-, Rot- und Grüntönen an einem riesigen Plattenbau austoben.

Ähnliches wurde Künstlern an der East Side Gallery zugestanden. Unter den 118 Teilnehmern aus 21 Ländern, die 1990 die Freiluftgalerie mitgestalteten, war auch der chilenische Graffiti-Maler César Olhagaray. In seinem riesigen skurrilen Wandgemälde „Urmenschen der Computer“ nimmt der ehemalige Ostberliner Exilant mit aufgespießten Bananen die Konsumeuphorie im Zeichen der Wiedervereinigung aufs Korn.

Die überdimensionalen Gesichter im Comic-Stil des Katalanen Ignasi Blanch Gisbert verkünden dagegen eine eher traurige Liebesbotschaft. Aber vielleicht ist „Parlo d’Amor“ kein schlechter Schlusssatz für eine Stadttour, die so viele Liebesbekenntnisse von Spaniern und Lateinamerikanern an Berlin aneinanderreiht. Informationen zu den Stadttouren sind hier zu finden.

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