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Birgit Malsack-Winkemann (AfD) war von 2017 bis 2021 Bundestagsabgeordnete.

© IMAGO IMAGES/PHOTOTHEK/FLORIAN GAERTNER

Update

Anti-Terror-Razzia in Reichsbürgerszene: Berliner Richterin und frühere AfD-Abgeordnete nach Festnahme aus Zivilkammer ausgeschieden

Die Richterin Birgit Malsack-Winkemann wurde festgenommen. Sie soll Teil einer terroristischen Reichsbürger-Vereinigung sein. Per Eilverfügung ist sie aus der Zivilkammer ausgeschieden.

| Update:

Zu den Verdächtigen, die bei der bundesweiten Razzia gegen die sogenannte Reichsbürgerszene festgenommen wurden, gehört auch die Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Laut Senatsinnenverwaltung war es die einzige Aktion im Rahmen der deutschlandweiten Razzia in der Hauptstadt. 

Nach ihrer Festnahme ist Malsack-Winkemann zunächst nicht mehr an aktuellen Entscheidungen des Landgerichts Berlin beteiligt. Die Juristin ist am Mittwoch aus der Zivilkammer 19a ausgeschieden, die für Bausachen zuständig ist, wie eine Sprecherin des Gerichts auf Anfrage mitteilte.

Es habe Durchsuchungen in der Wohnung und in einem Lagerraum der beschuldigten Richterin gegeben, teilte die Senatsinnenverwaltung mit. Nach Angaben von Staatssekretär Torsten Akmann wurde die 58-Jährige am Mittag per Hubschrauber nach Karlsruhe geflogen, wo Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof ihren Sitz haben.

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Malsack-Winkemann soll Teil einer terroristischen Vereinigung sein

In der Reichsbürgerszene soll sich eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet hat. Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und amtierende Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann gehört nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft zu den Mitgliedern der Terrorgruppe.

Insgesamt ließ die Bundesanwaltschaft 25 Menschen in mehreren Bundesländern sowie in Italien und Österreich festnehmen. Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. „Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen aus. Die Präsidenten von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) sowie der Generalbundesanwalt zeigten sich am Mittwochabend in Interviews überzeugt von der Ernsthaftigkeit der Umsturzpläne.

BKA-Präsident Holger Münch nannte am Mittwochabend im ZDF-„heute journal“ die Zahl von mittlerweile 54 Beschuldigten und sprach von mehr als 150 Durchsuchungen. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus.

Rund 3000 Beamte waren am Mittwoch bei den Razzien im Einsatz. Weitere Durchsuchungen könnten am Donnerstag erfolgen. Nach den Worten von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatten die Sicherheitsbehörden die „Reichsbürger“-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Entwicklung und Pläne.

Die Planungen seien dann immer konkreter geworden und es seien Waffen beschafft worden, sagte Haldenwang in einem ZDF-„Spezial“. Er betonte: „Die deutschen Sicherheitsbehörden insgesamt hatten die Lage jederzeit unter Kontrolle. Doch wenn es nach dieser Gruppe gegangen wäre, dann war diese Gefahr schon recht real.“

Amadeu-Antonio-Stiftung: Die Reichsbürgerszene wurde zu lange unterschätzt

Die Reichsbürgerszene in Deutschland ist nach Einschätzung der Amadeu-Antonio-Stiftung zu lange unterschätzt worden. Es habe in den vergangenen Jahren immer wieder deutliche Zeichen dafür gegeben, dass die Anhänger gewaltbereit seien und offenbar auch organisiert, sagte Extremismusforscher Lorenz Blumenthaler.

In Sicherheitskreisen wurden die Gruppierungen oft verlacht und ihr enormes Gefahrenpotenzial auf die leichte Schulter genommen.

Lorenz Blumenthaler, Extremismusforscher der Amadeu-Antonio-Stiftung

„Aber gerade in Sicherheitskreisen wurden die Gruppierungen oft verlacht und ihr enormes Gefahrenpotenzial trotz intensiver Warnungen der Zivilgesellschaft auf die leichte Schulter genommen“, kritisierte der Berliner, der sich für die Stiftung, die Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus entgegentritt, unter anderem mit Verschwörungsideologien und dem Milieu der sogenannten Reichsbürger auseinandersetzt. 

Die Reichsbürgerszene und ihr enormes Radikalisierungspotenzial zu unterschätzen sei ein Fehler, der sich rächen könne, warnte er zudem. Diesen Fehler hätten die deutschen Behörden nach den Schüssen eines sogenannten Reichsbürgers aus dem mittelfränkischen Georgensgmünd auf Polizisten vor sechs Jahren eingesehen und versucht, die Szene zu erfassen. Das sei zuletzt vor allem unter Führung der Ampel-Koalition besser gelungen.

„Spätestens seit den vereitelten Entführungsplänen von Bundesgesundheitsminister Lauterbach im April steht das Thema auch in der Politik weit oben auf der Agenda“, sagte Blumenthaler. „Da lacht heute eigentlich keiner mehr.“ Aus seiner Sicht lässt sich die Reichsbürgerszene aber nicht von heute auf morgen erfolgreich bekämpfen.

„Es wurde in den vielen Jahren viel verpasst“, sagte der Experte. „Da stellt sich die Frage, ob sich innerhalb kurzer Zeit das Rad der Zeit allein durch Razzien zurückdrehen lässt. Da braucht es vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz aus Bildung, Präventionsarbeit und eben auch konsequenter strafrechtlicher Verfolgung.“

Senatorin Kreck will Malsack-Winkemann aus dem Richteramt entfernen

„Die heutigen Durchsuchungen zeigen einmal mehr, welche Bedrohung von den Anhängerinnen und Anhängern der ‚Reichsbürger‘-Szene ausgeht. Wir werden die weiteren Ermittlungen des Generalbundesanwalts vollumfänglich unterstützen“, sagte Iris Spranger, Berlins Senatorin für Inneres, Digitalisierung und Sport, am Mittwoch nach den Festnahmen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im vergangenen Oktober als Dienstgericht den Antrag der Senatsjustizverwaltung zurückgewiesen, die gebürtige Darmstädterin Birgit Malsack-Winkemann wegen ihrer politischen Reden im Bundestag und weiterer Äußerungen in den Ruhestand zu versetzen. Das Grundgesetz garantiere die Redefreiheit im Bundestag, die dortigen Reden dürften zu keinen dienstlichen Verfolgungen oder anderen Sanktionen durch den Staat führen, hieß es vom Gericht.

Malsack-Winkemann sagte damals, sie habe die Aufgaben getrennt und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag „sofort reagiert und davon Abstand genommen“. Die Mutter zweier Kinder, die ihr zweites Staatsexamen 1993 in Stuttgart ablegte, war zuletzt am Landgericht in der Zivilkammer 19a für Bausachen zuständig.

Am Mittwoch sei die Juristin aus dieser Kammer ausgeschieden, teilte eine Gerichtssprecherin auf Anfrage mit. Der Geschäftsverteilungsplan sei am selben Tag per Eilverfügung entsprechend geändert worden. Malsack-Winkemann ist damit vorerst nicht in aktuelle Verfahren eingebunden.

Sie steht den Angaben zufolge aber weiterhin als Richterin zur Verfügung auf einer sogenannten Bereitschaftsliste. Weitere Angaben zum Dienstverhältnis der Richterin könne sie nicht machen, erklärte die Sprecherin und verwies auf die Zuständigkeit der Senatsjustizverwaltung.

„Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen“, sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Mittwoch auf Anfrage. „Die Ermittlungen sind abzuwarten, aber offenbar lag die Senatsverwaltung in ihrer Einschätzung richtig“, sagte sie nach der Festnahme. „Wir wären so oder so in Berufung gegangen. Jetzt haben wir natürlich allen Grund, das zu tun. Und da bin ich ganz optimistisch, dass wir dann damit obsiegen werden.“

Zuständig für den Fall ist nun der Dienstgerichtshof beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg. Inwiefern dort bereits die aktuellen Ermittlungen bei einer Entscheidung berücksichtigt werden, hängt vom Gericht ab. 

Malsack-Winkemann saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag, im März 2022 kehrte sie in den Richterdienst zurück und ist am Landgericht Berlin tätig. Nach eigenen Angaben ist sie seit April 2013 Mitglied der AfD. Von 2015 bis 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende der AfD im Berliner Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf. 

AfD-Vorsitzende Brinker: „Wir sind alle überrascht“

Die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker hat mit Bestürzung auf die Festnahme der Richterin und früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann reagiert. „Wir sind alle überrascht“, sagte Brinker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Der Verdacht wiegt sehr schwer.“ Allerdings gelte auch für Malsack-Winkemann zunächst die Unschuldsvermutung. „Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre sicher ein Parteiausschlussverfahren die Folge.“ 

Nach Angaben von Landesparteichefin Brinker nahm Malsack-Winkemann bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag rege am Parteileben teil. „Dann hatte man den Eindruck, dass sie sich zurückgezogen hat.“ Sie sei seither in der Partei quasi nicht mehr in Erscheinung getreten. Dies habe sie offenbar getan, weil sie wieder als Richterin arbeitete.

Der Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks Marzahn-Hellersdorf, Gordon Lemm (SPD), twitterte am Mittwoch, Malsack-Winkemann sei dort von der AfD vor rund einem Jahr für den Posten einer Stadträtin vorgeschlagen worden, zuständig für das Ordnungsamt.

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Brinker sagte dazu, dass dies ein Vorschlag der AfD-Fraktion im Bezirksparlament gewesen sei, der aber „nicht weiter verfolgt“ worden sei. Kandidiert habe am Ende ein anderer Bewerber. Bis heute wurde in dem Bezirk indes kein AfD-Politiker für das Bezirksamt gewählt, das aus dem Bezirksbürgermeister und fünf Bezirksstadträten besteht und ein wichtiges Entscheidungsgremium ist. Die anderen Fraktionen im Bezirksparlament lehnten das ab.

Die Parteispitze der AfD wusste nach eigenen Angaben nichts von möglichen Aktivitäten der früheren Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann im sogenannten Reichsbürgermilieu. „Von dem Fall haben wir heute, wie die meisten Bürger auch, erst aus den Medien erfahren“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel vom Mittwoch.

Sie fügten hinzu: „Wir verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab.“ Nun müssten die Ergebnisse der Ermittlungen abgewartet werden. Die AfD-Vorsitzenden, die in der Vergangenheit mehrfach Kritik am Verfassungsschutz geübt hatten, sagten: „Wir haben vollstes Vertrauen in die beteiligten Behörden.“

Senatorin Kreck will Malsack-Winkemann in den Ruhestand versetzen

Die Berliner Senatsjustizverwaltung und Senatorin Kreck wollten Malsack-Winkemann in den Ruhestand versetzen. Sie sei als Richterin nicht mehr unvoreingenommen, argumentierten sie vor Gericht. Sie habe im Bundestag wiederholt und öffentlich Flüchtlinge „ausgegrenzt und wegen ihrer Herkunft herabgesetzt“ und sich in Debatten und im Internet „mit konstruierten, offensichtlich falschen Behauptungen zu Flüchtlingen geäußert“.

Für mich war klar: Diese Frau ist brandgefährlich. Der heutige Tag hat gezeigt: Ich lag mit meiner Einschätzung richtig.

Lena Kreck (Linke), Berlins Justizsenatorin

„Für mich war klar: Diese Frau ist brandgefährlich und deshalb werden wir in die nächste Instanz gehen und der heutige Tag hat gezeigt: Ich lag mit meiner Einschätzung richtig.“, sagte Kreck am Mittwoch nach der Festnahme und betonte: „Das ist eine Person, die als Richterin auf keinen Fall mehr tätig sein darf“. Sie werde dafür kämpfen, dass die Richterin nicht nur ihr Amt verliere, sondern auch kein Ruhegehalt bekomme.

Berlins Linke-Vorsitzende Katina Schubert hat es als „unfassbar“ bezeichnet, dass eine amtierende Berliner Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete unter den Festgenommenen bei der Razzia in der sogenannten Reichsbürgerszene ist. „Rechtsextreme können und dürfen in einer Demokratie kein Recht sprechen“, erklärte Schubert am Mittwoch. „Mutmaßliche Rechtsterroristinnen gehören im Gerichtssaal auf die Anklagebank und nicht an den Richtertisch.“ 

„Seit heute muss auch dem Letzten klar sein, dass Reichsbürger keine harmlosen Spinner sind, sondern gefährliche, organisierte und zum Teil bewaffnete Rechtsextreme“, erklärte Schubert. „Wir dürfen im Kampf gegen rechts nicht nachlassen.“

CDU-Landeschef Kai Wegner sprach sich für eine konsequente Beobachtung des sogenannten Reichsbürger-Milieus durch den Verfassungsschutz aus. Die Szene radikalisiere sich immer stärker und müsse weiter intensiv durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. „Das Netzwerk, zu dem offenkundig auch einflussreiche Kreise der AfD zählen, muss vollständig ausgeleuchtet werden“, forderte Wegner. „Deshalb muss die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz neu auf die Agenda.“ (Tsp, dpa)

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