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Ein Arzt in Großbritannien zieht eine Spritze mit dem Astrazeneca-Impfstoff auf.

© Danny Lawson/PA Wire/dpa

Update

An „Pop-up-Impfstellen“ und im Einkaufszentrum: Wie Berlin jetzt die Impfkampagne vorantreiben will

Viele Bezirke entwickeln Ideen, um Ungeimpfte zu erreichen. Doch sie sind abhängig vom Senat. Und das Rote Kreuz schlägt eine „Lange Nacht des Impfens“ vor.

Von Sonja Wurtscheid

Impfungen auf dem Tempelhofer Feld, in Shishabars, Kneipen oder vor Supermärkten? Davon hält Falko Liecke (CDU), Gesundheitsstadtrat aus Neukölln, nicht viel. "Sich mit einer aufgezogenen Spritze vor einen Supermarkt zu stellen, löst das Problem nicht", sagte einer seiner Sprecher dem Tagesspiegel am Donnerstag.

Zur vergangenen mobilen Impfung seien nicht die Menschen gekommen, für die die Aktion gedacht gewesen sei. Es seien "gut informierte, junge Leute" gekommen, die "genauso gut zum Hausarzt hätten gehen können". Menschen, die einer Impfung skeptisch gegenüberstünden oder sozial Benachteiligte würden so nicht erreicht.

"Wir sind an einem Punkt, an dem diejenigen, die gerne geimpft werden möchten, bereits ihre Termine hatten oder demnächst haben. Das war der einfache Teil der Impfkampagne", betonte der Sprecher. "Diejenigen, die skeptisch sind und/oder hohen Beratungsbedarf haben, machen ungleich mehr Aufwand. Ihnen fehlt es nicht an Gelegenheiten, sondern an Überzeugung."

In einer Mitteilung erklärte Liecke am Freitag, Vorschläge wie Impfungen im Supermarkt, in Shishabars oder Fußgängerzonen seien "am Thema vorbei." Und weiter: "Sicherlich ist jede Impfung eine gute Impfung. Bei solchen Aktionen bekommen aber eher die einen Piks, die ohnehin bald einen Termin haben oder ihn sowieso noch vereinbart hätten."

Einen Teil der Bevölkerung könne man mit solchen Angeboten einfach nicht erreichen. "Wer ein geringes Einkommen, geringe Bildung und vielleicht auch noch wenig Sprachkenntnisse hat, lässt sich nicht an der Supermarktkasse impfen. Diese Menschen wollen keine Impflotterie, wie es teilweise vorgeschlagen wird. Sie müssen überzeugt werden, dass die Impfung gut für sie und ihre Liebsten ist."

Bezirke bräuchten eigenen Impfstoff

Im Alleingang impfen könnten die Bezirke nicht, sagte der Sprecher von Liecke dem Tagesspiegel. Der Impfstoff sei im Besitz der Senatsverwaltung. "Die Bezirke haben bis heute keine einzige Dosis eigenen Impfstoff erhalten."

Der rot-rot-grüne Senat habe Gelegenheiten verschlafen, Menschen mit wenig Zugang zum Gesundheitssystem aufzuklären und zu impfen, das ist die Kritik aus Neukölln. Eine solche Gelegenheit sei zum Beispiel die Einschulungsuntersuchung von Kindern im Gesundheitsamt. Dabei hätte man Eltern fragen können: "Sind Sie schon geimpft?" Falls nicht, hätten die Ärztinnen und Ärzte vor Ort informieren, überzeugen und impfen können. Doch dazu bräuchten die Bezirke eigenen Impfstoff, sagte der Sprecher.

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Dass sozial benachteiligte Menschen mit mobilen Impfteams nicht erreicht würden, sieht der Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst nicht so. Er wolle sogar mehr mobile Impfteams in ärmere Viertel schicken, sagte der Linken-Politiker dem Tagesspiegel. „Wir haben positive Erfahrungen damit gemacht und würden gern weitermachen." Er denke etwa an die Großsiedlung Fennpfuhl, sagte Grunst.

Eine Anwohnerin aus Neukölln lässt sich bei einer Schwerpunktimpfung von Dr. Fatmir Dalladaku impfen.
Eine Anwohnerin aus Neukölln lässt sich bei einer Schwerpunktimpfung von Dr. Fatmir Dalladaku impfen.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Bei der vergangenen mobilen Aktion im Bezirk hätten 1500 Menschen eine Zweitimpfung mit dem Wirkstoff von Moderna erhalten; 500 weitere ließen sich mit dem Einmal-Impfstoff von Johnson & Johnson immunisieren. Für weitere "Pop-up-Impfstellen", wie Grunst die mobilen Teams nennt, habe Lichtenberg bereits Bedarf bei der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung angemeldet. Damit die Anwohner:innen der Viertel auch zur mobilen Impfung kämen, müssten sie mindestens eine Woche vorher informiert werden. "Mit einer proaktiven Öffentlichkeitsarbeit zum Impfen erreicht man die Menschen", sagte Grunst.

Ähnlich der Ansatz in Reinickendorf: Der Bezirk will verstärkt in sozialen Brennpunkten impfen – über eine längere Zeit hinweg und mit intensiver, vorangegangener Werbung, sagte Bezirksstadtrat Uwe Brockhausen (SPD) dem Tagesspiegel. Das habe er bei der Senatsverwaltung angeregt. "Wir wollen möglichst viele Menschen erreichen und insbesondere diejenigen überzeugen, die aktuell noch skeptisch gegenüber einer Impfung sind."

Große Impfpraxis öffnet in Neuköllner Gropius-Passagen

Auch Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick setzen auf mobiles Impfen. In Marzahn-Hellersdorf wird am 17.Juli am Otto-Rosenberg-Platz zweitgeimpft (9.30 bis 16.30 Uhr), wie der Bezirk mitteilte. Das Angebot richte sich an alle, die dafür eine Terminzusage haben. Es sei das letzte Mal, dass der Bezirk selbst ein Angebot mache, hieß es. Die Bilanz falle "sehr gut" aus: Menschen, die wohnungs- oder obdachlos seien, die in Geflüchteten-Unterkünften lebten, in Wohngruppen oder Seniorenheimen, seien mehrheitlich durch mobile Impfteams geimpft worden.

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Im Bezirk Treptow-Köpenick impfen mobile Teams am 23. und 24. Juli in der Turnhalle des Anne-Frank-Gymnasiums (Ortsteil Altglienicke). Hier stehen laut Bezirk 1100 Dosen von Johnson & Johnson bereit. Zudem könnten sich an diesen Tagen Menschen mit Moderna zweitimpfen lassen, die ihre erste Dosis zwischen dem 11. und 13. Juni bekommen hatten.

Menschen warten im Corona-Impfzentrum auf dem Messegelände in Berlin auf ihre Impfung.
Menschen warten im Corona-Impfzentrum auf dem Messegelände in Berlin auf ihre Impfung.

© Michael Kappeler/dpa

Anders als diese bezirklich organisierten Angebote läuft es in Neukölln: Dort übernimmt ein privater Anbieter. Am 12.Juli öffnet in den Gropius-Passagen eine große Impfpraxis. 1500 Dosen Biontech und Moderna sollen dort täglich verimpft werden, wie der Betreiber („MVZ Diagnostikum Berlin 2020 GmbH“) bekannt gab. Termine sollen über Doctolib vereinbart werden können. Die Praxis befindet sich auf der ehemaligen Fläche von Galeria Karstadt Kaufhof.

Ideen aus Brandenburg: Impfen auf Parkplätzen, am Strand, auf Festivals

Während der Bezirk Neukölln das Problem nicht bei den Jüngeren sieht, will das Berliner Rote Kreuz sie gezielt einladen: DRK-Präsident Mario Czaja schlägt eine "Lange Nacht des Impfens" im Impfzentrum Arena in Treptow vor. Flankiert von DJs und Musik, am besten von Künstler:innen, die ohnehin in den Impfzentren als Helfer arbeiten, soll die Arena an einem Abend von 19 bis 1 Uhr geöffnet bleiben. „Damit wollen wir eine jüngere Zielgruppe ansprechen und animieren, sich impfen zu lassen“, sagte Czaja der "Berliner Morgenpost". Das Konzept liege derzeit der Gesundheitsverwaltung zur Genehmigung vor. Alle über 18 sollen sich anmelden können, Termine eine Woche vorher freigeschaltet werden.

Ideen kommen auch aus Brandenburg: Auch dort will man sich nach den Sommerferien den Jüngeren zuwenden. „Wir wollen einen Paradigmenwechsel: Der Impfstoff soll zu den Menschen kommen, nicht wie bislang die Menschen zum Impfstoff“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Potsdam der Deutschen Presse-Agentur. „Impfen auf Parkplätzen, am Strand und auf Festivals, ohne Termin“ gehörten zu den Überlegungen. Dazu sei man mit den Kommunen im Gespräch.

Dass erst der einfache Teil der Impfkampagne geschafft ist, scheint auch der Regierende Bürgermeister, Michael Müller, so zu sehen. „Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir zielgerichteter die Menschen erreichen müssen“, sagte der SPD-Politiker der Nachrichtenagentur Reuters. Er verwies auf Schwerpunktimpfungen in bestimmten Quartieren, mobile Impfteams und Sonderkontingente für Studierende. „Hier ist nun weiter Kreativität gefragt“, sagte Müller.

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