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Natali Sosnizkij und Ingo Radtke, Leiter des Malteser-Impfzentrums: Täglich 3600 Impfungen in der "Hoffnungsmaschine".

© Diana Bade

Am schönen Ende der Pandemie: Helfer berichten vom Alltag in Berliner Impfzentrum

Beim Impfzentrum in der Messe Berlin arbeiten 240 Freiwillige. Der ehemalige Generalsekretär der Malteser leitet die Truppe an.

Anfang Januar wurde in der Messehalle 21 am Funkturm die „Hoffnungsmaschine“ angeworfen, die seit gut hundert Tagen den Menschen mit der Impfung auch wieder Hoffnung auf ein normales Leben nach Corona macht. Rund 450 Menschen pro Stunde und täglich bis zu 3.600 Berliner werden unter dem Funkturm geimpft – eine beeindruckende Zahl.

Das Impfzentrum des Malteser Hilfsdienstes: Wenn man mit Ingo Radtke spricht, geht es hier viel um Effizienz und ineinander greifende Zahnräder.

Der 66-jährige Kölner ist Leiter des Impfzentrums in der Messe Berlin, wo das Team bislang nahezu 300.000 Menschen geimpft hat. Ohne einen enormen Einsatz der insgesamt 500 Menschen - Ärzte, Pharmazeuten, Bundeswehr-Soldaten, Malteser-Mitarbeiter und 240 freiwillige Helfer*innen - wäre das nicht möglich gewesen.

„Für uns alle war das was Neues“, erzählt Radke über die Herausforderung zum Start: „Wir kannten uns alle vorher nicht, mussten in kürzester Zeit zueinander finden, und alles musste sofort funktionieren.“ Das gehe nicht, ohne dass man „bereit sei, sich gegenseitig zu unterstützen, voneinander zu lernen und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“.

Zusammen schon über eine Million Berliner geimpft

Diese Herausforderung galt für jedes der sechs Berliner Impfzentren, die unter Federführung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) vom Malteser Hilfsdienst, Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft und der Johanniter-Unfall-Hilfe aufgebaut wurden. Sie haben zusammen weit über eine Million Berliner geimpft.

Beim Aufbau des Zentrums in der Messehalle habe ihm natürlich seine Erfahrung geholfen, aber eine besondere Herausforderung war es trotzdem, sagt Ingo Radtke. Er war 22 Jahre lang der Generalsekretär von Malteser International und hat weltweit an unzähligen Orten Katastrophen- und Wiederaufbauhilfe geleistet. Ein richtiger Anpacker.

[Das ist ein Text aus dem Newsletter Ehrensache: Der Tagesspiegel würdigt mit Deutschlands erstem Ehrenamts-Newsletter all jene Menschen, die aktiv dabei mithelfen, dass Berlin lebenswert ist und liebenswert bleibt – kostenlos und jederzeit kündbar. Melden Sie sich an unter: ehrensache.tagesspiegel.de ]

Die Aktion „Deutschland hilft“, in der deutsche Hilfsorganisationen ihre Kräfte bündeln, um im Ausland schnelle und wirkungsvolle Nothilfe leisten zu können, hat Radtke übrigens auch mitgegründet. Sechs Wochen vor Rentenbeginn sei er Ende 2020 dann gefragt worden, ob er das Impfzentrum in Berlin aufbauen will. Er wollte.

Nun wohnt er ein Zimmer in der Bundeswehr-Kaserne in Kladow, wo er seine spärliche Freizeit verbringt. Fremd sind ihm Kasernen nicht; er war früher 17 Jahre lang Soldat, zuletzt diente er als Generalstabsoffizier.

Das wichtigste beim Impfen? Gastfreundschaft

Als er anfangs aus dem Team gefragt wurde, wie man die Impf-Kandidat*innen behandeln solle, habe er nur gesagt: „als Gäste“  - „als ob es eure Oma oder Opa sind.“

Dieser entspannt-freundliche Umgang mit den Menschen, denen aus den Taxen geholfen wird, die notfalls auch im Rollstuhl oder untergehakt zur Anmeldung geleitet werden und fürsorglich auf die Spitze vorbereitet werden, bevor sie wieder ins Taxi gesetzt werden, ist wohltuend. Das bekommt auch das Impf-Team zu spüren.

Das „Riesenpaket an Emotionen“, das die Mitarbeitenden dann zurückbekamen, das „war der absolute Kracher für meine Mannschaft“, sagt Radtke. „Die Menschen sind nicht nur über die Spritze glücklich, sondern auch über den sozialen Kontakt.“

Freiwilligen-Koordinator Alexander Konrad: "Wir erfahren unfassbar viel Dankbarkeit."
Freiwilligen-Koordinator Alexander Konrad: "Wir erfahren unfassbar viel Dankbarkeit."

© Diana Bade

Alexander Konrad, 33 Jahre alt, ist hauptamtlicher Ehrenamtskoordinator unterm Funkturm und ebenfalls von Anfang an dabei. Er hat als Teil des Leitungsteams das Zentrum und die personelle Organisation mit aufgebaut. Konrad kann sich immer noch freuen über die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den medizinischen Mitarbeiter*innen und den Ehrenamtlichen. „Total überwältigt“ sei er von der Hilfsbereitschaft der Berliner.

Nach dem Aufruf zur Mitarbeit hätten sich allein für sein Impfzentrum über 600 Menschen gemeldet. Unter denen, die nun schon seit Monaten im Einsatz sind, kämen neben Studierenden mit Wartesemester auch viele Menschen aus dem geschlossenen Hotel- und Gaststättenbereich oder der Flugbranche, die deswegen offiziell in Kurzarbeit sind.

Die Motive der Ehrenamtlichen seien durchaus unterschiedlich. Eine Managerin von Daimler-Benz, die selber zuvor an Corona erkrankt war, hat sich ein Sabbatical genommen, um im Impfzentrum mitzuarbeiten. Auch andere Freiwillige möchten nach ihrer persönlichen Krankheitsgeschichte aktiv werden, um etwas „zurückzugeben“ für die Hilfe, die sie in der Krankheit bekamen.

Engagieren gegen das Ohnmachtsgefühl

Manche wollten der Isolation und den fehlenden Sozialkontakten entgehen und wieder unter Menschen sein. Andere dagegen angesichts der bedrohlichen Krankheits- und Todeszahlen die Hoffnung stärken. „Man kommt nicht so in ein Ohnmachtsgefühl rein, weil man alles gegen Corona tut, was man kann“, beschreibt Alexander Konrad auch seine eigene Stimmungslage.

Die Freiwilligen begrüßen die Menschen mit Impftermin und betreuen sie. Den hochbetagten oder nicht mehr mobilen Menschen helfen sie aus dem Taxi und begleiten sie bis in die Impfkabine, bis das medizinische Fachpersonal übernimmt.

Jetzt, wo auch zunehmend jüngere Menschen geimpft werden, die keine persönliche Assistenz benötigen, übernehmen die Freiwilligen andere Aufgaben. Denn zu tun ist immer etwas in der effizient schnurrenden Maschine. Schließlich werden pro Minute sieben Menschen geimpft. „Ja, das macht definitiv stolz“, sagt Alexander Konrad – obwohl „mir das schwer fällt, es zuzugeben.“

„Da kannste nicht meckern“

Auch Ingo Radtke hat in den vergangenen vier Monaten von den Berlinern etwas gelernt. Dass es an der Spree ein hohes Lob ist, wenn ein Berliner sagt: „Da kannste nicht meckern“. Seine Leute haben es vielfach gehört. Deswegen steht für Radtke auch eines fest: „Am Ende muss die Fete stehen“. Und danach will er das für ihn unbekannte Berlin kennenzulernen.

Natali Sosnizkij ist als Freiwillige seit Anfang März im Impfzentrum dabei und gehört inzwischen dem Koordinationsteam an. „Es macht ganz viel Freude“, sagt die Mutter von zwei Kindern: „und tut gut, etwas zu tun in dieser schwierigen Zeit“.

Im Einsatz: Natali Sosnizkij bringt unter anderem ältere Menschen vom Taxi zur Impfstation.
Im Einsatz: Natali Sosnizkij bringt unter anderem ältere Menschen vom Taxi zur Impfstation.

© Diana Bade

Zwei- bis dreimal in der Woche übernimmt sie jeweils vierstündige Schichten, wobei die Planung wegen der Betreuung der ein- und dreijährigen Kinder zuweilen nicht so einfach sei. Es sei schön, mit den anderen Freiwilligen zusammenzuarbeiten, obwohl das ein ganz heterogene Gruppe sei. Auch deswegen will sie ihr Engagement fortsetzen: „Ich will es bis zum Ende begleiten“.

Zu viel Aufmerksamkeit für Kritik von Corona-Leugnern

Anfangs habe es undifferenzierte Kritik an der Organisation der Impfzentren gegeben, obwohl doch eigentlich der fehlende Impfstoff das Problem war, sagt Alexander Konrad und es ist herauszuhören, dass ihn das geärgert hat. Inzwischen aber fühlten sich die Impfhelfer „sehr wertgeschätzt“, so Konrad.

Wie man sich fühlt, wenn Rechtsradikale wie Björn Höcke davon sprechen, dass die Pandemie nicht existiere und „herbeigetestet“ sein, will er nicht kommentieren. Auch vor den Messehallen habe man es mit Querdenkern zu tun gehabt, die mit einem Autokorso das Impfzentrum lahm legen wollten. Aber sich über die Corona-Leugner aufregen will er nicht: „dann hat man denen eigentlich schon zu viel Aufmerksamkeit gegeben“.

Es gibt in den Messehallen ein ehrenamtliches Führungsteam und an jedem der sieben Wochentage und in jeder Schicht eine Koordinator*in. Ein Freiwilliger habe bereits 44 Schichten absolviert.

Man tue alles, damit eine gute Stimmung und eine gute Atmosphäre herrscht, erzählt Konrad, der in einem ganz anderen Leben Geschichte studiert hat und gerade an seiner Promotion sitzt. „Es ist schön, Menschen zu sehen, die sich über die Impfung freuen“, erzählt Alexander Konrad: „Wir erfahren unfassbar viel Dankbarkeit.

Erleichterung nach dem Piks - und ein Dank für die Helfer*innen.
Erleichterung nach dem Piks - und ein Dank für die Helfer*innen.

© Diana Bade

Alles minutiös geplant - und trotzdem flexibel

Ob das Impfzentrum in der Messehalle über das bislang genannte Datum 30. Juni hinaus offen bleibt? Dazu will Alexander Konrad sich nicht äußern. „Die Pandemie ist unberechenbar“, sagt er nur: „Wenn man uns braucht, sind wir da“.

„Jeder Schritt, jeder Personaleinsatz ist minutiös geplant und zugleich sind wir flexibel – das zahlt sich im Impftempo aus“, sagt Radtke. Deshalb könnten täglich noch mehr Menschen geimpft werden, wenn es mehr Vakzin gäbe. „Wir müssen das Maximum tun, um die Pandemie schnellstens zu beenden“, so Ingo Radtke. Das bedeutet für ihn: „Wir müssen schnell impfen, wir müssen noch mehr impfen.“

Für Radtke ist die Herausforderung längst noch nicht zu Ende, auch wenn jetzt Hausärzte impfen oder bald auch Betriebsärzte, und damit die Impfzentren ihre zentrale Rolle etwas verlieren.

Der Wert der Impfzentren geht für Radtke über das Impfen hinaus. Dazu zählt er die Erfahrungen, die Pharmazeuten und Mediziner in den vergangenen vier Monaten beim Umgang mit dem Impfstoff gemacht hätten, und diese Erfahrungen nun in die Arztpraxen weitertragen.

„Es ist eine herausfordernde, aber auch bereichernde Zeit“, erzählt Natali Sosnizkij, die vor der Pandemie als Flugbegleiterin gearbeitet hat. „Die Arbeit tut mir gut“, sagt Natali Sosnizkij, „und sie zeigt mir, dass es einen Weg aus der Pandemie gibt“.

An den Tagen, wenn sie früh am Morgen zum Impfzentrum fährt, übernimmt ihr Mann die Kinderbetreuung. Vor dem Dienst muss sie jedes Mal noch einen Corona-Test machen, weil sie erst kürzlich das erste Mal geimpft wurde.

Der Einsatz gibt viel zurück

„Ich wollte einfach helfen, aber der Einsatz gibt mir auch selbst viel zurück“, sagt sie. Sie beeindruckt immer wieder, wie „wahnsinnig viel Dankbarkeit“ sie erhalte von älteren Menschen, die froh seien über jedes nette Wort, jedes kurze Gespräch.

Die lange Zeit der Isolation und der fehlenden Zuwendung sei da zu spüren. Es seien schöne, kurze Begegnungen. Wenn nun die jüngeren Menschen zum Impfen kommen, ist das für sie „ein Zeichen der Hoffnung, dass wir vorankommen“.

Die umstrittene Aktion „#allesdichtmachen“ der Schauspieler habe sie wenig berührt, deren Verharmlosungen hätten ihr vor allem leidgetan für das medizinische Personal, die in den Kliniken „akut das Leiden sehen“.

Das sei bei ihr nicht so, sagt Natali Sosnizkij, „ich bin ja am schönen Ende der Pandemie – weil ich an der Lösung mitarbeite“.  

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