zum Hauptinhalt
Von ganz oben kann man den Flughafen sehen: Riesenrad auf dem Zentralen Festplatz im Wedding.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kirmes in Zeiten des Terrors: Alles dreht sich

Vor dem Eingang haben sie Betonblöcke aufgestellt, damit kein Unglück geschieht wie im Dezember. Ihre Buden standen damals auf dem Breitscheidplatz, und einige hier haben den Anschlag knapp überlebt. Was macht die fahrende Zunft in Zeiten des Terrors? Eine Rummelreportage vom Festplatz in Wedding.

Am Anfang ist da erst mal dieses große Nichts. Der weite, menschenleere Rummelplatz. Ein Mittwochabend kurz vor sieben, der dunkelgraue Berliner Märzhimmel hängt tief über dem reglosen Riesenrad. Stumm baumeln die Riesenpandas und die rosa Teddys von der Losbude vorne am Eingang. Der Betreiber der Soccer-Box dreht Pirouetten um seinen Fußball. Am Geländer vor dem Freefall-Tower lehnt ein Platzanweiser, die halb gerauchte Kippe in der Linken, eine Spiegelbrille im Gesicht mit einem Ausdruck irgendwo zwischen stoisch und Leckt-mich-doch-alle.

Stell dir vor, es ist Kirmes, und keiner geht hin.

Vielleicht ist es nur das trübe Wetter, vielleicht nur der Termin, unter der Woche und knapp vor Monatsende, das Geld schon alle bei den meisten. Oder ist es doch schon so weit? Bleiben die Leute etwa zu Hause, weil sie sich nicht mehr hierher trauen, aus Angst? Denn dieses 47. Berliner Frühlingsfest ist das erste größere Volksfest in der Stadt, seitdem der Tunesier Anis Amri am Montag vor Heiligabend einen Dreißigtonner in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert und zwölf Menschen getötet hat.

Wie sieht es also aus hier auf dem Zentralen Festplatz, gleich gegenüber vom Flughafen Tegel, Bezirk Wedding an der Grenze zu Reinickendorf? Wie geht’s der Kirmes, was macht das Geschäft, das fahrende? Welchen Eindruck hat der Anschlag vom Dezember hinterlassen bei der stolzen Schaustellerzunft, die doch als weitgehend furchtlos gilt? Wie ist das, jetzt ein Volksfest zu feiern, in den Zeiten des Terrors in Europas Städten?

Zwei Security-Männer patrouillieren ums Carré

Ein bisschen einsam ist es, das ist die erste, schnelle Antwort an diesem ersten Kirmesmittwoch, dessen halbe Preise kaum jemanden locken wollen. Ein paar Familien verlieren sich zwischen Wurfbuden und Ponyreiten, drei Vorschulkinder fahren Schlauchboot im Beachclub, konzentriert und ernst. Zwei Security-Männer in schwarzen Pullis und Cargohosen patrouillieren ums Carré, sie plaudern, nicken sich zu. Die Wilde Maus steht still unter ihrem trotzig blinkenden Schriftzug, es ist derselbe Typ Achterbahn, der im gleichnamigem Film von Josef Hader im Wiener Prater steht.

Und dann doch noch ein bisschen Leben, hinten am Melodie Star, wie der Musikexpress hier heißt. „Ronald“, kommt da plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern, dann eine kurze, erwartungsvolle Stille. „Uwe“, antwortet Ronald vom Kinder-Scooter gegenüber: „Uwe, was ist los?“ Und Uwe in seinem bunten Kassenhäuschen schmeißt irgendeinen 90er-Jahre-Disco-Kracher in die Rotation, lauscht kurz den Beats, schnurrt dann: „Hier, extra für dich!“ Und Ronald fängt an mitzusummen, alles übers Mikro, alles für den leeren Platz, ein Duett ohne Publikum, und Uwe nickt und sagt: „Jenau!“

Ihren Humor, den haben sie also noch, die Schausteller, auch wenn er gerade am Galgen hängt wie die gelben Minions vorne an der Losbude mit ihren Fischaugenbrillen.

Also, Uwe: Was macht das Geschäft?

„Berlin ist abgefressen“, sagt Uwe, ein drahtiger Mann, Pulli und Bluejeans, mit einem kleinen goldenen Ring im Ohr. Zu viele Volksfeste, zu wenig Interesse. Steglitz, Neukölln, Frühlingsfest, Sommerfest. Hier oben ziehen sie ohnehin nur Wedding und Reinickendorf an und ein bisschen das Umland, die Leute wollen, dass die Kirmes zu ihnen kommt statt sie zur Kirmes. „Der Neuköllner, der wartet ab!“, sagt Uwe, und das Ausrufezeichen spricht er mit, über den Tonfall macht er das, über die Wortwahl. Es ist eine direkte Sprache, die nicht lange herumrührt um die Sachen, von denen doch eh alle wissen sollten, wie sie liegen. Schaustellersprech.

Die goldenen Zeiten: lange vorbei

Uwe heißt Hombach mit Nachnamen, ist 50 Jahre alt und Schaustellergehilfe, in Moabit geboren, in Charlottenburg groß geworden, seit 15 Jahren jetzt im Wedding. Mehr West-Berlin geht schwer. Seit Kindertagen ist er auf dem Rummel unterwegs, immer wieder, immer noch. „Seit 30, 35 Jahren mache ich die Scheiße schon mit.“ Die goldenen Zeiten: lange vorbei. Wann lief es das letzte Mal so richtig gut, Uwe? Prompte Antwort: „Als wir noch die D-Mark hatten. Und als die Alliierten noch hier waren.“ Als es noch Froschschenkel gab auf dem deutsch-französischen Volksfest und das Geld noch lockerer saß.

Der Melodie Star ist auch noch aus der guten, alten Zeit, eins von diesen Old-School-Fahrgeschäften mit einer Blondine oben im Schriftzug, die mehr Ausschnitt hat als Kleidung, mit singendem Elvis an der Front und einem geflügelten Stars-and-Stripes-Logo, das aussieht wie das Heck einer Harley auf der Route 66 – wie man sich hier eben die große Freiheit made in USA vorstellt.

Uwe Hombach, Schaustellergehilfe, oder: Rekommandeur, wie sie sich hier nennen, die Jungs und Mädels am Mikro, die Kunden an die Kasse locken und während der Fahrt mit bester Schlafzimmerstimme diese grandiosen Kirmessprüche ins Mikrofon rufen: „Volle Granate, Renate... Ab durch die Mitte!“ – „Das ist das, was Sie suchen, das ist Spaß PUR!“ – „Noch schneller? Na lo-lo-los, Schluss mit lustig! Ab geht’s, Baby...“

Und ab geht es. Glitzernde Discokugel, blinkende Notenschlüssel, dann kommt der Nebel, und der Melodie Star dreht sich. Uwe guckt hoch zum Bildschirm, „bisschen Lala machen“, und schiebt bei iTunes Hildegard Knef ein: „Eins und eins, das macht zwei, drum küss’ und denk’ nicht dabei, denn Denken schadet der Illusion. Alles dreht sich, dreht sich im Kreis...“ Und für einen kurzen Moment wirkt sie tatsächlich, die zeitlose Entspannungsdroge Rummel. Kurz scheint alles wie immer, wie damals, als eine Fahrt zwei Mark kostete statt vier Euro und die Franzosen und die Amis noch ihre schützende Hand über die Stadt und ihre Bewohner hielten.

Und dann sagt Uwe unvermittelt: „Mein Chef, Max Müller, der ist Geschädigter vom Breitscheidplatz. Dem haben sie zwei Buden zerfahren.“

Neugierig auf den Rest? Der Text erscheint am 15. April 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin. Nachzulesen ist er auch im Online-Kiosk Blendle.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false