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Ein Paradies nicht nur für Kinder. Der Nachbarschaftsgarten "Lichte Weiten" gehört zu einem Wohnprojekt an der Wönnichstraße in Lichtenberg.

© Björn Kietzmann

Berliner Pflanzen - die neue Serie: Alles auf Grün

Sie säen, wo sie wollen, teilen sich Beete, ernten eigenes Gemüse. Die Berliner haben das Gärtnern als neuen Freiraum entdeckt. Wir stellen vor: die jungen Wilden

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Letzte Woche erst hat eine Kiezinitiative bei ihm angefragt, ob er beim Bepflanzen von Baumscheiben in ihrer Straße helfen könne. Klar, hat der Künstler Petrus Akkordeon gesagt und für den Schattenstandort unter anderem Hostia, Gräser und Akelei empfohlen. „Die Akelei wurde vom Amt gleich abgelehnt, weil die Blüte über die erlaubte Maximalhöhe ragt.“ So was kotzt den erklärten Guerillagärtner an, der an seinem Wohnort Lichterfelde regelmäßig die Verkehrsinsel vorm Haus begrünt. „Mittlerweile“, sagt er, „wird ja schon Vieles, was die Leute in Eigeninitiative bepflanzen wollen, von den Bezirken genehmigt. Aber die Art von Bürokratie ist eben vielen zu blöd.“ Es gefällt ihm, wenn die Leute einfach anfangen auszusäen. „Das ist in Berlin eine große Welle. Wildes Pflanzen wirkt manchmal merkwürdig, aber Städter brauchen ein bisschen Erde. Die werden beim Graben wieder jung!“ Gärtnern als neuer Freiraum, in dem Fantasie und Lebenslust gedeihen können: Dazu braucht man in Berlin heute nicht mehr unbedingt ein eigenes Stückchen Land vorm Haus oder einen Schrebergarten. Doch nicht jeder hat Kust, sich auf Baumscheiben zu spezialisieren oder an unbeackerten Straßenrändern Farbtupfer setzen. Die noch junge Bewegung „Urban Gardening“ bietet weitaus mehr Möglichkeiten, mit den Händen mal enthusiastisch in der Krume zu wühlen den grünen Daumen zu erproben und den Wunsch nach selbst erzeugten Lebensmitteln zu erfüllen.

Neue Freundschaften.

Alle Zeichen stehen auf Grün. Man kann mitten in Berlin oder am Stadtrand auf gemeinschaftlichen oder individuellen Beeten das ganze Gemüse-Alphabet anbauen, Beerenobst ernten und den Sommer mit Blumen verschönern: In Nachbarschaftsgärten, Interkulturellen Gärten und vielerlei anderen Projekten. Zur Selbstversorgung reicht die Ernte zwar meist nicht aus, aber das wiegen andere Vorteile auf. Das zeitintensive Hobby wird durch die Zusammenarbeit erleichtert, beim Säen und Hacken entwickeln sich neue Freundschaften. Mittag im Kreuzberger Gleisdreieckpark. Schäfchenwolken am Himmel, über den Zaun hängen üppige rot blühende Rosen. Nach ihnen ist der „Interkulturelle Garten Rosenduft“ am Südostrand des Parks benannt. Begzada Alatovic (52) zupft hier, häufelt dort. Dann weist sie stolz auf die 2000 Quadratmeter Garten-Idyll: ein kunterbunter Gemüse- und Blumenmix. Tomaten und Stangenbohnen klettern um die Wette, Kartoffeln stehen gut im Kraut, der Rucolasalat zeigt zartgrüne Spitzen.

Begzada Alatovic leitet den 2006 eröffneten „Rosenduft“-Garten des Vereins „Südost Europa Kultur“. Rund 70 Familien, Paare, Singles und Jugendliche aus Ex-Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und anderen südosteuropäischen Ländern pflegen hier eigene Beete, vier bis acht Quadratmeter groß. Auch deutsche Freunde und Nachbarn sind dabei. Es gibt extra Kinderbeete, Beerensträucher, eine gemeinschaftliche Kräuterspirale mit Dill, Borretsch und mehr, ummauert mit Pflastersteinen. Obstbäume, Bienenvölker, einen schattiger Sitzplatz, drei Bauwagen für Geräte, als Café gestaltet. Lachen, Geplauder. Drei Bosnierinnen kommen mit ihren Kindern durchs Gartentor. Die Frauen tragen Plastiktüten mit Paprika-, Mangold- und Kürbis-Setzlingen. „Die haben wir auf unseren Balkonen angezogen“, sagt Kadira Ridic. Wie ihre Freundinnen ist sie während der Balkankriege Ende der neunziger Jahre nach Berlin geflüchtet, der Verein Südost Europa hilft dabei, die traumatischen Kriegserlebnisse zu verarbeiten und bietet Unterstützung im Alltag. „Dazu gehört auch unsere Garten-Gemeinschaft“, sagt Begzada Alatovic. Die Jungpflanzen sind inzwischen ausgepackt, werden getauscht. Was übrig bleibt, packt Alatovic in feuchte Tücher. „Paprika können noch viele andere Gärtner brauchen.“

Essbare Landschaften.

Umgraben, Rechen, Ernten direkt vor der Haustür – auch das klappt gut gemeinsam. Zum Beispiel an der Wönnichstraße in Lichtenberg. Dort gibt es seit 2009 das Wohnprojekt des Vereins „Lichte Weiten“ mitsamt einem 1600 Quadratmeter großen Nachbarschaftsgarten. 16 Erwachsene zwischen 30 und 83 Jahren und zehn Kinder leben in dem selbstverwalteten Gründerzeithaus. „Vormittags ist der Garten ruhig, nachmittags tobt hier das Leben“, sagt Ruth Bergmann und nimmt ihre fünfjährigen Zwillinge an die Hand. Jetzt wollen sie mal die Sträucherhecke begutachten. Die Freude über die grünen Früchte am Johannisbeerstock ist groß. Die Kulturwissenschaftlerin gehört zur „Garten-AG“, also zu jenen Aktiven, die sich vorrangig um den Rasen und die Spielflächen, um die Clematis am Gewächshaus, die Nelken oder die Stockrosen kümmern. Gemeinsam werden Gemüse- und Kräuterbeete bestellt. Ihr Motto: Essbare Landschaften für alle. „Wer ganz sicher sein will, dass seine Radieschen oder Möhren tatsächlich auf dem eigenen Teller landen, bekommt aber auch ein individuelles Beet“, sagt Ruth Bergmann. Höchstpersönlich , aber in guter gärtnerischer Nachbarschaft und ganz ohne Zäune kümmern sich Berliner auch auf kreisrunden Feldern in Kladow, Buckow und Blankenfelde ums selbst angepflanzte Gemüse. „Bauerngarten“ heißt das fünf Jahre alte Projekt des Agraringenieurs Max von Grafenstein. Inzwischen jäten und hacken auf den Äckern, die er gepachtet hat, gut 1000 Mitglieder seines grünen Startup-Unternehmens, darunter auch viele junge Familien. Und die Wartelisten sind lang. „Kein Wunder“, sagt der 32-jährige Blonde mit der blauen Baskenmütze, „das ist ja so eine Art ,Gärtnern light’ für Großstädter“. Bei ihm übernimmt man im Frühjahr für – je nach Größe – 230 bis 390 Euro pro Jahr ein fix- und fertig besätes und bepflanztes Stück Land mit bis zu 25 Gemüse- und Blumensorten – natürlich alles bio und maßgeschneidert. Die runden Bauerngärten sind in Tortenstück-Parzellen aufgeteilt. Grafenstein und seine fünf Mitarbeiter beraten als Gartencoachs, sprengen die Pflanzen verlässlich. Im Büro sind sie kaum zu erreichen. Sie sitzen meist selbst auf dem Trecker oder drehen die Bewässerung auf.

Rosen und mehr. Begzada Alatovic leitet den 2006 eröffneten „Rosenduft“-Garten des Vereins „Südost Europa Kultur“ am Rande des Kreuzberger Gleisdreieck-Parks.
Rosen und mehr. Begzada Alatovic leitet den 2006 eröffneten „Rosenduft“-Garten des Vereins „Südost Europa Kultur“ am Rande des Kreuzberger Gleisdreieck-Parks.

© Kitty Kleist-Heinrich

Petrus Akkordeon, 42, der Lichterfelder Guerillagärtner sagt, die Berliner seien mutiger geworden. Jeder könne vor die Tür gehen und seine Stadt auf öffentlicher Fläche grüner machen. Neulich hat ihn eine Steglitzer Initiative gefragt, ob er helfen würde, ins hohe Gras des Ahornplatzes ein Labyrinth reinzumähen. Mit der Sense. Das reizt ihn, sensen kann er gut. „Seine“ Verkehrsinsel in Lichterfelde blüht die ganze Saison über. Im Frühjahr war sie gelb von Narzissen. Für den Sommer plant er „Ginster’s Paradise“, weil der Strauch Hitze gut aushält. Derzeit sprießt es dort gewollt wild. Seine 80-jährige Nachbarin hat gesagt: „Herr Akkordeon, das sieht aber schön gepflegt aus.“ So wandeln sich Geschmäcker. Sein Wunschprojekt? Ein Kürbisfeld für Teltow.

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