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Rückkehr nach Brandenburg. Dorothy David kam auf Einladung einer örtlichen Historikerin.

© Andreas Klaer

Ahnenforschung in Teltow: Auf den Spuren der Vorfahren

Eine jüdische US-Amerikanerin besucht das Teltower Haus, in dem ihre Ahnen zur NS-Zeit wohnten. Was sie findet, erinnert sie an alte Fotos und viele Anekdoten.

Dorothy David steht vor einem großen grauen Wohnhaus in Teltow Seehof, vor ihr zwölf Stolpersteine im Boden verlegt. Die Frau mit den feinen grauen Haaren schaut auf die Namen: „Das hier ist meine ganze Familie“, sagt die 73-Jährige Amerikanerin. Dort Onkel Werner, hier der Großvater. Die Erinnerungen kommen, und mit ihr das Deutsch, das die gebürtige New Yorkerin mit drei Jahren erlernte.

Dorothy David steht vor der Villa ihres Urgroßvaters Wilhelm Bursch. Prächtig war einst das Haus in der heutigen Max-Sabersky-Allee 4. Wilhelm Bursch hatte einen Sohn und vier Töchter, die alle kurzzeitig mit ihren Familien in Teltow lebten. Bursch kaufte die Villa in Seehof zunächst als Sommerhaus. Die meisten seiner Kinder zogen sich hierher zurück, als nach der Machtergreifung Hitlers die Situation in Berlin immer schwieriger wurde.

Bis vor Kurzem wusste die Urenkelin des jüdischen Unternehmers für Polstermöbel nichts von Teltow. „Es hieß bei uns zuhause immer nur Seehof.“ Als junges Mädchen schnappte sie Geschichten ihrer Familie auf. Sie fand sie lustig, begriff den Ernst der Lage nicht. Es waren Geschichten von Flucht, von der Angst entdeckt zu werden. Die Geschichte ihrer Familie wird ihr bei dem Besuch des einstigen Familienanwesens wieder bewusst.

Historikerin Bergner forscht zum Leben der jüdischen Teltower

Dorothy David erinnert sich an alte Fotos, der Garten ging bis zum Kanal. Das Haus war prächtig. Heute wirkt es etwas heruntergekommen. Sie hält sich kurz am Arm der Teltower Historikerin Gabriele Bergner fest. Über sie kam der Besuch zustande. Bergner erfuhr, dass Burschs Urenkelin fünf Tage lang Berlin besuchen wird und schlug einen Stopp in Teltow-Seehof vor.

Bergner forscht seit mehreren Jahren zum Leben der jüdischen Bewohner in Teltow. Im Jahr 2011 haben Bergner und weitere Mitstreiter der Teltower AG Stolpersteine vor der Villa des Kölners Künstlers Gunter Demnig verlegen lassen.

Die Historikerin weckt Erinnerungen, sie zückt ein silbernes Messer. Dorothy David lacht, und ist erleichtert über die Ablenkung. Unmengen an Silbergeschirr mit den Initialen der Familie habe sie auch noch Zuhause. Wie ihre Familie das ganze Silber wohl über den Atlantik bekommen hat?

Das zweite historische Stück, das Bergner hervorholt, ist eine weiße Tischdecke. Mit vergilbtem Fleck. Auch das bringt die amerikanische Jüdin zum Lachen, wurde Kleckern am Tisch in ihrer Familie doch immer mit dem Spruch toleriert, dass Uncle Jacob – offenbar ein imaginärer Onkel – auch immer so essen würde.

Die Geschichte führte David nach Deutschland

Die Geschichte der Urenkelin zeigt die Geschichte von vier Generationen auf. Die Burschs waren mit den Familien Glaser und Dreyfuß verbunden. Der Kontakt von Dorothy David zu ihren Großonkeln und -tanten war auch deshalb so eng, weil sie außer einem Onkel keine Verwandtschaft ersten Grades hatte.

Die Geschichte ihrer Familie hat sie schon oft nach Deutschland geführt – nach München, Bonn und Kiel, aber noch nie nach Berlin. Obwohl hier die Familie verwurzelt war. In der Hauptstraße in Schöneberg hatten die Burschs ihr Polstermöbelgeschäft. Im Bayerischen Viertel lebte auch die Urgroßtante Gertrud Dreyfuß, geborene Bursch. Sie war Künstlerin, studierte unter anderem bei dem Expressionisten Ludwig Meidner. Auch die Villa in Seehof sei eines ihrer Motive gewesen, erzählt Dorothy David.

Zum ersten Mal sieht sie das Motiv von der Leinwand nun wirklich vor sich. Man merkt, dass das Haus, auch wenn sie darin nie lebte, sie bewegt. Es ist auch ihre Geschichte, die jüdischen Wurzeln sind ihr wichtig. Ihre Mutter war Deutsche, Dorothy David konvertierte erst spät zum Judentum, nach der Hochzeit. Überhaupt: Sie sei eine eher ungewöhnliche Vertreterin jüdischer Nachfahren.

„Meine Eltern sind aus Nazi-Deutschland geflohen und ich habe vor zwei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.“ Der Antrag auf einen deutschen Pass stellte sie, als klar wurde, als Donald Trump sich auf das Präsidentenamt bewerben würde. Ein deutscher Pass habe seine Vorteile, auch ihre Kinder könnten nun einfacher nach Europa reisen. Und so mehr über die Familiengeschichte erfahren. Oder die Geschichte der europäischen Juden entdecken.

Über die Stolpersteine ist Dorothy David zum ersten Mal bei einem Pragbesuch im wahrsten Sinne des Wortes gestolpert – ein Kind blieb abrupt vor ihr stehen, um zu lesen, was auf dem Boden geschrieben stand. Das auch im weit entfernten Teltow mit mehreren der goldgelben Betonquader gedacht wird, wusste sie nicht.

Eva Schmid

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