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Der Angeklagte war Teil einer AfD-nahen Besuchergruppe im KZ Sachsenhausen

© Soeren Stache/dpa

Prozess um Shoa-Leugnung im KZ Sachsenhausen: AfD-Sympathisant erscheint nicht vor Gericht

Beim Besuch des KZ Sachsenhausen hat ein Gast von Alice Weidel die Existenz von Gaskammern in Deutschland geleugnet. Zum Prozess ist er nicht erschienen.

Der Prozess gegen einen AfD-Sympathisanten aus dem Wahlkreis von Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel wegen Holocaust-Leugnung ist vorerst geplatzt. Der 69-jährige Ludwig Günter K.-B. ist am Dienstag nicht zu seiner Verhandlung vor dem Amtsgericht im brandenburgischen Oranienburg erschienen. 

Richterin Barbara Speidel-Mierke fand in ihren Prozessakten keinen Nachweis, dass die im August verschickte Ladung zum Prozess zugestellt wurde. Diese sogenannte Zustellungsurkunde gibt es allerdings für den Verteidiger von K.-B., einem bekannten Friedrichshafener Anwalt. K.-B. hätte also durchaus vom Prozesstermin wissen können. Doch relevant ist, ob die Ladung ihm auch zugestellt wurde. 

Prozess soll noch in diesem Jahr stattfinden

Das Interesse an der Verhandlung war groß, zahlreiche Pressevertreter waren im Amtsgericht erschienen - vorerst umsonst. Jetzt soll der Angeklagte erneut geladen werden. Wie Richterin Speidel-Mierke sagte, soll der Prozess noch in diesem Jahr stattfinden. Die Anklage lautet auf Volksverhetzung in Tateinheit mit Störung der Totenruhe. Sollte er bei ordnungsgemäßer Zustellung wieder nicht erscheinen, würde der Strafbefehl in Höhe von 4000 Euro rechtskräftig werden.

K. war Teilnehmer einer Besuchergruppe von AfD-Fraktionschefin Weidel, die aus dem Wahlkreis am Bodensee in Berlin zu Gast war. Bei dem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen soll K.-B. am 10. Juli 2018 die Existenz von Gaskammern geleugnet haben. „Im Rahmen der durchgeführten Führung soll der Angeklagte bei einer Diskussion geäußert haben, dass es im Zweiten Weltkrieg Gaskammern nur in den USA gegeben haben soll“, teilte das Amtsgericht mit. Und er behauptete, dass die Gaskammer damals 100.000 Dollar gekostet hätten.

Nach einer Stunde brachen die Guides die Tour ab

Für die beiden Guides, die die Gruppe durch die Gedenkstätte geführt hatten, war die Situation unerträglich. Immer wieder erlebten sie provokante Nachfragen der Gruppe. Mehrere AfD-Besucher hätten die KZ-Verbrechen verharmlost und relativiert und dem Referenten der Gedenkstätte mangelnde Kompetenz und Manipulation unterstellt. „Eine Stunde haben die Guides das durchgehalten, dann mussten sie abbrechen“, berichtet Horst Seferens, Sprecher der Stiftung Brandenburgischen Gedenkstätten.

Tatsächlich gab es auch im KZ Sachsenhausen - das für die Nazis das Musterlager und wo auch die Inspektion aller Konzentrationslager angesiedelt war - seit 1943 eine Gaskammer. Diese habe sich im Bereich des Krematoriums befunden. 

Dass diese Gaskammer betrieben wurde, sei in mehreren Prozessen in der alten Bundesrepublik gegen SS-Männer nachgewiesen worden, sagte Seferens. Mehrere SS-Täter seien wegen Beteiligung an den Morden in der Gaskammer im KZ Sachsenhausen verurteilt worden.

„Wir vermuten, dass die Gaskammer in Sachsenhausen Versuchszwecken diente“, sagte Seferens. Die Gaskammer sei deutlich kleiner gewesen als die Gaskammern etwa in Auschwitz. Während dort die Menschen mit Zyklon B getötet wurden, sei in Oranienburg flüssige Blausäure benutzt worden. 

 Bis zu drei rechte Propaganda-Delikte pro Jahr

Zwar kommt es in der Gedenkstätte Sachsenhausen und in der direkten Umgebung immer wieder zu rechtsextremistischen Propagandadelikten. Doch einen solch drastischen Fall wie beim Besuch der AfD-Gruppe habe er bislang nicht erlebt, sagte Seferens. Pro Jahr besuchten mehr als 700.000 Menschen die Gedenkstätte Sachsenhausen - und pro Jahr werden bis zu drei rechte Propagandadelikte gezählt, wie es aus der Justiz heißt.

Als K.-B. die Existenz der Gaskammern und damit die Shoa geleugnet hatte, unternahm die Gedenkstätte zunächst nichts. Die Einrichtung habe der AfD keine Resonanz für ihre Versuche, die Erinnerungskultur anzugreifen, geben wollen, sagte Seferens. Diese Entscheidung sei eine Gratwanderung gewesen. 

Der Vorgang war dann doch Ende August 2018 durch Tagesspiegel-Recherchen bekannt geworden – weshalb Ermittlungen eingeleitet wurden. Die Brandenburger Polizei hatte unmittelbar nach Erscheinen des Tagesspiegel-Berichts von Amts wegen Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte zeitnah den Guide, der die AfD-Gruppe durch die KZ-Gedenkstätte geführt und die Tour abgebrochen hatte, vernommen. 

Bereits diese Zeugenvernehmung hatte die Vorwürfe erhärtet. Die Ermittlungen gestalteten sich zunächst schwierig, weil das Bundespresseamt die Teilnehmerliste vernichtet hatte. Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft Neuruppin vor dem Amtsgericht Oranienburg beantragt, einen Strafbefehl zu erlassen - über eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen zu 50 Euro - insgesamt 4000 Euro. 

Das Gericht stimmte dem zu. K.-B. legte jedoch Widerspruch ein. Deshalb muss es jetzt zu einem öffentlichen Prozess kommen. Gegen die anderen Teilnehmer der Besuchergruppe, die Weidel aus ihrem Wahlkreis zu einem Berlin-Ausflug eingeladen hatte, sind die Ermittlungen eingestellt worden. Ihnen habe keine konkrete Äußerung und keine Beteiligung nachgewiesen werden können, erklärte die Staatsanwaltschaft. Weidel selbst war beim Besuch in der Gedenkstätte nicht dabei.

Das Auftreten der Gruppe in der Gedenkstätte in Oranienburg (Oberhavel) hatte internationale Empörung ausgelöst. Die Berlin-Fahrt, in deren Rahmen der Besuch der Gedenkstätte stattfand, war – wie prinzipiell für alle Bundestagsabgeordneten möglich – vom Bundespresseamt finanziert worden. 

Ein Sprecher der AfD im Bundestag hatte eine Mitverantwortung von Weidel für den Eklat in der Gedenkstätte von sich gewiesen. „Dabei handelte es sich um ein Programm des Bundespresseamtes, bei dem Alice Weidel ein Programmpunkt von vielen war. Beim Besuch der Gedenkstätte war Alice Weidel nicht zugegen.“ Ein Funktionär des AfD-Bodenseekreis erklärte nach dem Vorfall, die Besucher am 10. Juli hätten nicht den Holocaust geleugnet, sondern „kritische Nachfragen bezogen auf einzelne Sachverhalte“ gestellt.

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