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27. Mai 2018. Mit diesem Tweet lobte Müller die Großdemo unter dem Motto „Stoppt den Hass! Stoppt die AfD“

© Twitter/

AfD-Klage vor Gericht in Berlin: Müller-Tweet: „Es wird damit unterstellt, die AfD würde Rassismus betreiben“

Dürfen Amtsträger sich politisch äußern? Diese Frage wird momentan vor dem Berliner Landesverfassungsgericht verhandelt.

Senatssprecherin Claudia Sünder und die Kollegin vom Social-Media-Team der Senatskanzlei waren sich einig, dieser Tweet ist ein Fall für Abstimmung mit dem Chef. Schließlich ging es um Demonstrationen in Berlin, an denen die AfD beteiligt war.

Sonst geht über den amtlichen Twitter-Account des Regierenden auch manche Nachricht in die Welt, ohne dass Michael Müller sie in Augenschein nimmt. Diesen Tweet hat er persönlich abgenickt. Hätte Sünder gedacht, dass die Senatskanzlei deshalb vor das Landesverfassungsgericht kommt? „Nein“, sagt sie überzeugt. Das Team habe abgewogen und den Text für gut befunden.

Aber es kam anders. Seit Mittwoch verhandeln die Richter zum ersten Mal über eine Twitter-Nachricht Müllers sie stammt vom 27. Mai vergangenen Jahres: „Zehntausende in Berlin heute auf der Straße, vor dem Brandenburger Tor und auf dem Wasser. Was für ein eindrucksvolles Signal für Demokratie und Freiheit, gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze.“

„Es wird damit unterstellt, die AfD würde Rassismus betreiben“

Anlass waren verschiedene Demonstrationen. Darunter eine, zu der der AfD-Bundesverband aufgerufen hatte. „Zukunft für Deutschland. Für Freiheit und Demokratie“, hieß die Losung. 5000 Anhänger folgten dem Aufruf. Parallel gab es verschiedene Gegendemos, mit fünf Mal so vielen Teilnehmern. Sie richteten sich zum Teil ausdrücklich gegen die Partei: „Liebe und Bass statt AfD und Fremdenhass“, hieß es da. Oder „Rote gegen Rechts“, und man forderte „Protest gegen neonazistische Tendenzen in der AfD“.

Müller und seine Twitter-Berater waren angetan. Um 15:15 Uhr waren die Proteste vorbei. Als um 17:30 Uhr klar wurde, dass alles friedlich und ohne Krawall verlaufen war, rauschte der Tweet in den Äther.

Der AfD-Landesverband will jetzt feststellen lassen, dass der veröffentlichte Text die Partei in ihrer Chancengleichheit verletzt. Prozessvertreter Marc Vallendar, selbst Berliner AfD-Abgeordneter, bezeichnet ihn vor Gericht als bewusste Diffamierung. „Es wird damit unterstellt, die AfD würde Rassismus betreiben.“ Mit dem ersten Tweet-Teil sei er noch einverstanden, zumal auch die AfD bei ihrer Demo ausdrücklich für Freiheit und Demokratie eingetreten sei. Doch dann folge ein „geschickt verschachtelter Halbsatz“, der auf die AfD Bezug nehme und ihr Rassismus unterschiebe.

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Oder täuscht sich die AfD? Der Prozessvertreter des Senats, der Staatsrechtler Christoph Möllers von der Humboldt-Universität, tut wortreich viel dafür, diesen Eindruck zu erwecken. Die Stellungnahme sei keine faktische Einschränkung, schon gar nicht sei eine nachhaltige Beeinträchtigung erkennbar. Es gebe auch keinen Bezug auf die Partei, sondern nur auf den zivilgesellschaftlichen Bereich. Rassismus-Vorwürfe? „Erstaunlich, dass die Antragstellerin sich das zu eigen macht“, konstatiert der Juraprofessor. Offenbar habe sie sich angesprochen gefühlt.

Möllers hält die Klage für unzulässig

Möllers hält die Klage deshalb bereits für unzulässig, mindestens aber für unbegründet. Auch Amtsträger müssten Freiheiten haben, sich politisch zu äußern. Es gehe vor Gericht jetzt „fundamental darum, wie der demokratische Prozess verlaufen soll“. Er sehe die Gefahr, eine Asymmetrie zu schaffen: „Die Opposition darf alles sagen, die Regierung wird auf den Status von Beamten zurückgesetzt.“

Gegen Rassismus und Hetze zu reden und zu schreiben, zeugt für mich vom Eintritt für die Menschenrechte und vom Bekenntnis zum Grundgesetz. Von einem Regierenden Bürgermeister erwarte ich dies ganz grundsätzlich [...].

schreibt NutzerIn fluechter

Vallendar kontert damit, dass gerade die Opposition geschützt werden müsse. „Vielleicht stellt die AfD mal den Bürgermeister, dann würde die SPD dankbar sein, dass es die Pflicht zu Neutralität und Sachlichkeit gibt.“ Der Regierende und sein Team hätten den Tweet und seine Wirkung durch Nutzung des amtlichen Accounts bewusst kalkuliert. Ein klarer Fall, findet Vallendar, und beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das einen AfD-Demo-Boykottaufruf der früheren Bundesbildungsministerin Johann Wanka (CDU) für unzulässig erklärt hatte.

„Wir haben hier einen neuen Punkt, der noch nicht entschieden ist“

Verfassungsrichter Jürgen Kipp, der als Berichterstatter des Verfahrens das Urteil entwerfen wird, macht dazu seine persönliche Meinung deutlich: In Karlsruhe „sitzen keine Halbgötter“. Außerdem habe Wanka mit ihrem Aufruf gewissermaßen mit dem Holzhammer zugeschlagen, hier gehe es um subtilere Beeinträchtigen. „Wenn man das beanstandet, ist die These: wenn das nicht geht, geht gar nichts mehr“, mahnt Kipp.

Die Folge wäre, dass ein Regierungsmitglied wie Müller zu einem solchen Geschehen auf amtlichen Kanälen nichts mehr sagen dürfte - oder den Tweet nur als Landesvorsitzender der SPD abgeben dürfte, folgert Kipp. Das Karlsruher Urteil sage jedoch nicht, dass ein Regierung still sein soll. „Wir haben hier einen neuen Punkt, der noch nicht entschieden ist.“ Das Urteil soll am 20. Februar verkündet werden.

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