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Jörg Steinbach, Franziska Giffey und Stefan Kapferer in Neuenhagen

© dpa/Patrick Pleul

75 Kilometer „Höchstspannungsleitung“ : Berlins Strom-Nordring soll Energiewende voranbringen

Erneuert und aufgestockt: 15 Jahre nach Planungsbeginn geht Berlins Strom-Nordring als Höchstspannungsleitung an den Start. Knapp 200 Millionen Euro hat der Neubau gekostet.

Mit einem lauten Knistern ist am Freitag die neue Höchstspannungsleitung Nordring Berlin in Betrieb genommen worden. Den sogenannten Einschaltbefehl für die 75 Kilometer lange Freileitung zwischen den Brandenburger Umspannwerken Neuenhagen im Osten und Wustermark im Westen der Hauptstadt gaben Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) und Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD).

Die aufgerüstete Trasse soll die Metropolregion fit machen für die Erfordernisse der Energiewende. Große Strommengen müssen über lange Entfernungen transportiert werden, beispielsweise aus den Windparks im Nordosten Deutschlands. Aktuell dürfte die Eröffnung auch aus einem anderen Grund stärker wahrgenommen werden: Seit dem Anschlag auf eine Leitung zum Tesla-Werk in Grünheide steht die Stärkung der Versorgungssicherheit auf der Agenda, nicht nur im Umfeld des Stahlwerks in Hennigsdorf.

204
Strommasten wurden auf der bestehenden Trasse neu gebaut.

„Es ist fast ein kleines Wunder, dass wir es jetzt zu Ende bringen“, sagte Jörg Steinbach auf der Einweihungsfeier. 15 Jahre Planung – ein Negativrekord, der wohl nur von der Uckermarktrasse mit bis zu 19 Jahren übertroffen werden dürfte. Dringend müssten Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. „Man darf nicht aufgeben“, bilanzierte der Minister. Für ihn ist das Projekt dennoch eine Erfolgsgeschichte der länderübergreifenden Zusammenarbeit. „Brandenburg und Berlin wachsen als Energieregion weiter zusammen.“

Ein Grund für die lange Planungszeit war ein Streit mit der Gemeinde Birkenwerder, die einen Teil der Trasse unterirdisch verlegen lassen wollte. Die Klage ging mit Unterstützung eines örtlichen Umweltverbandes bis vor das Bundesverwaltungsgericht und wurde 2021 abgewiesen.

Die 75 Kilometer Stromleitungen des Nordrings Berlin.
Die 75 Kilometer Stromleitungen des Nordrings Berlin.

© Grafik: Tagesspiegel / Klöpfel • Quelle: Quelle: 50Hertz Transmission GmbH

Knapp 200 Millionen Euro habe der Neubau gekostet, rechnete Stefan Kapferer vor, Geschäftsführer des Netzbetreibers 50 Hertz. Dabei wurden 204 Masten auf der bestehenden Trasse neu gebaut. Sukzessive soll die Spannung von derzeit 220 Kilovolt (kV) auf 380 kV Höchstspannung umgestellt werden.

An einigen Abschnitten der Autobahn A10 sind die Stahlmasten unübersehbare Landmarken. Je nach Gelände und Verzweigung der Strecke ragen sie bis zu 80 Meter in den Himmel, an einigen sind vier Querträger verbaut. Wellenförmig hängen 1800 Kilometer Leiterseile zwischen den Masten. Zwölf Meter dürfen den Tiefstpunkt der Leitung noch vom Boden trennen. Zweifellos kein schöner Anblick, doch man muss sich wohl damit abfinden. Ein vergleichbarer unterirdischer Ersatzneubau ginge „in die Milliarden“, stellte Kapferer klar. Die Energiewende sei gefährdet, wenn Erdkabel privilegiert würden und die Akzeptanz sichtbarer Leitungen fehle.

Der Übergang von Hoch- auf Höchstspannung ist für Franziska Giffey wie der Wechsel von Gigabit zu Glasfaser beim schnellen Internet. „Das müssen wir den Leuten erklären“, denn überall werde Strom gebraucht: „Wir müssen im nächsten Jahrzehnt unsere Kapazität verdoppeln“. Zudem solle der Strom, der im Nordosten erzeugt werde, auch in der Region verbraucht werden.

Wird die neue Trasse tatsächlich Berlins Abhängigkeit von fossilen Energien verringern? Theoretisch könnte auch „schmutziger Strom“ aus Kohlekraftwerken in Polen etwas schneller gen Westen fließen, wenn sich die Leitungsinfrastruktur hierzulande bessert. Vorherrschend sei jedoch die Gegenrichtung von West nach Ost, sagte Axel Happe, der das Projekt Nordring bei 50 Hertz betreut. Über Polen und die Tschechische Republik würden größere Strommengen in den Süden und wieder nach Deutschland geleitet. Große Umwege wegen fehlender Infrastruktur in Deutschland. Immer wieder müssen Windkraftanlagen abgeriegelt werden, weil die Stromernte, beispielsweise bei einem Sturm, nicht abtransportiert werden kann.

„Gibt es jemanden, der schon oben auf einer Leitung war“, fragte Franziska Giffey. Für die Berliner Wirtschaftssenatorin war der Termin auch eine „Energiewende zum Anfassen“. Menschen, die in schwindelerregender Höhe Kabel montiert haben, gehörten für sie mit auf die Eröffnungsfeier. Die Hände blieben unten in der Halle, doch schließlich fand der Betreiber noch einen jener Facharbeiter, ohne die sich ein solches Projekt auch nicht stemmen lässt.

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