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01.01.2023, Berlin: Feuerwehrmänner löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war. Foto: Paul Zinken/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Paul Zinken

Update

33 verletzte Einsatzkräfte, 103 Festnahmen: Berliner Feuerwehr und Polizei schockiert von „massiven Angriffen“ in der Silvesternacht

Berlin durfte nach zwei Jahren Corona-Pause wieder böllern – und Berlin böllerte wieder. In mehreren Bezirken griffen Randalierer Einsatzkräfte mit Pyrotechnik an.

| Update:

Es war warm, bis zu 18 Grad wurden Silvester in Berlin gemessen. Die hohen Temperaturen begünstigten vermutlich die Neigung zur Randale. Bis in den Neujahrsmorgen hinein wurden Polizei und Feuerwehr an vielen Stellen in der Stadt massiv und gezielt mit Böllern beworfen und mit Pyrotechnik beschossen. Mehrere Fahrzeuge der Feuerwehr wurden so stark beschädigt, dass sie aus dem Dienst genommen werden mussten.

„Es waren massive Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte im gesamten Stadtgebiet zu verzeichnen, die in ihrer Intensität mit den Vorjahren nicht zu vergleichen sind“, schrieb die Polizei am Sonntag in einer Bilanz. 18 Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer. Die Feuerwehr meldete 15 verletzte Einsatzkräfte, von denen eine ins Krankenhaus musste. Nur in den drei Böllerverbotszonen (Alexanderplatz, Schöneberger Steinmetzkiez und JVA Moabit) blieb es laut Polizei ruhig.

Mehrfach mussten Einsatzkräfte der Polizei die Berliner Feuerwehr unterstützen, teilte das Präsidium weiter mit. 103 Menschen wurden festgenommen, 98 Männer und fünf Frauen. Ihnen werden Brandstiftung, Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, Landfriedensbruch sowie Angriffe auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen.

Ausgebrannt: Feuerwehrleute löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.
Ausgebrannt: Feuerwehrleute löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.

© dpa/Paul Zinken

Nach Angaben von Innensenatorin Spranger lagen die Einsatzzahlen „sogar über dem Niveau des letzten Jahreswechsels vor der Pandemie“, also 2019/2020. Etwa 2500 Kräfte von Feuerwehr und Polizei waren in der Nacht zusätzlich im Einsatz. Zwei Jahre lang war wegen der Corona-Pandemie privates Feuerwerk verboten gewesen, nun holten viele das Versäumte nach.

Die Angriffe dauerten bis in die Morgenstunden an. Erst gegen 3 Uhr früh beruhigte sich die Lage. Die Polizei beschrieb in ihrer Bilanz derartig viele Fälle, dass es erschreckend ist: So schossen gegen 20 Uhr „eine Vielzahl von Jugendlichen am Bahnhof Gesundbrunnen mit Pyrotechnik und Schreckschusswaffen um sich“. Kurz nach Mitternacht explodierte auf der Suarezstraße in Charlottenburg ein „sprengstoffartiger Gegenstand“, dabei gingen die Scheiben zweier geparkter Fahrzeuge sowie umliegender Geschäfte und Wohnungen zu Bruch. Menschen wurden dort nicht verletzt.

Gegen 2 Uhr griffen Vermummte in einer Hochhaussiedlung im Tempelhofer Ortsteil Lichtenrade Feuerwehrleute, die eine brennende Barrikade löschen wollten, mit Stahlstangen und Böllern an. In Kreuzberg musste die Polizei mit einem Wasserwerfer brennende Mülltonnen löschen, die 20 Vermummte auf die Urbanstraße geschoben hatten. Die Feuerwehr hatte den Einsatzort nicht erreichen können, teilte das Präsidium mit. Kurz vor 3 Uhr das gleiche Szenario in Moabit: 50 Personen schoben Müllcontainer auf die Kreuzung Hutten- und Rostocker Straße und setzten diese in Brand. Hier musste die Polizei die Löschmaßnahmen der Feuerwehr sichern.

Familie wird mit Böllern beworfen – Kind verletzt

Es traf auch völlig Unbeteiligte. Laut Polizei wurde gegen 0.30 Uhr auf der Kiefholzstraße in Treptow eine Familie mit Böllern beworfen, dabei wurde ein dreijähriges Kind am Bein und am Ohr verletzt. Zudem verursachten Böller stadtweit hohen Sachschaden. Nur ein Beispiel aus einer langen Liste: In der Knobelsdorffstraße in Charlottenburg brannte ein geparktes Auto, wegen des starkes Windes griffen die Flammen auf fünf weitere Autos, ein Motorrad und vier Fahrräder über.

Wenig später stand an der Sonnenallee in Neukölln ein großer Reisebus in Flammen, nach Zeugenaussagen sollen Unbekannte die Scheiben des Fahrzeugs eingeschlagen und den Innenraum mit Pyrotechnik in Brand gesetzt haben. Der Bus brannte vollständig aus, eine Zeit lang drohte das Feuer auf ein Haus überzugreifen. Zur selben Zeit wurden mehrere Streifenwagenbesatzungen in der Wutzkyallee in der Neuköllner Gropiusstadt „massiv mit Pyrotechnik beschossen“. Dabei erlitt ein Beamter schwere Verbrennungen am Hals, er musste im Krankenhaus stationär aufgenommen werden.

45
Patienten wurden im Unfallkrankenhaus mit Feuerwerksverletzungen versorgt

Im Unfallkrankenhaus Berlin, das auf Brandverletzungen spezialisiert ist, wurden Stand Sonntagnachmittag rund 45 Patienten mit Böller- und Feuerwerksverletzungen versorgt, darunter mehrere Kinder mit teils schweren Handverletzungen. „Und wir rechnen noch mit weiteren Patienten, die Spreng- und Brandverletzungen aufweisen“, teilte das Krankenhaus bei Twitter mit. In einer ersten Bilanz am Neujahrsmorgen hieß es, es habe bereits zehn Operationen wegen Verbrennungen oder Teil-Amputationen von Fingern gegeben, zwei Patienten verloren ein Auge. Schon am Nachmittag des Silvestertages hatte es zwei Schwerverletzte gegeben.

Die Berliner Feuerwehr musste zum Jahreswechsel 1717 Einsätze bewältigen, darunter waren 749 Brände und 825 Rettungsdiensteinsätze. Das waren 691 Einsätze mehr als in der Silvesternacht 2021/2022 – und auch annähernd dreimal so viele Brände. Vor einem Jahr musste die Wehr 219 Mal löschen. Das schwerste Unglück ereignete sich an der Mollstraße in Mitte. Zwei Personen stürzten laut Feuerwehr durch ein Deckenlicht eines neungeschossigen Wohngebäudes und wurden lebensgefährlich verletzt.

„Selbst erfahrene Einsatzkräfte waren über die Aggressivität und Gewaltbereitschaft durch zum Teil vermummte Gruppen geschockt“, hieß es am Morgen in einer Mitteilung.

Wer Menschen in Not zu Hilfe eilt und dann angegriffen wird, muss geschützt werden. 

Karsten Homrighausen, Landesbranddirektor

Landesbranddirektor Karsten Homrighausen teilte am Morgen mit, dass alle Angriffe bei der Polizei angezeigt werden. Die Vielzahl der Angriffe „machen uns fassungslos und traurig“, schrieb der Feuerwehrchef. „Wer Menschen in Not zu Hilfe eilt und dann angegriffen wird, muss geschützt werden.“ 22 Berliner wurden durch Pyrotechnik verletzt und behandelt. In dieser Zahl sind aber nur die Fälle enthalten, in denen ein Rettungswagen im Einsatz war. Erfahrungsgemäß kommen viele Menschen mit Verbrennungen direkt in Kliniken.

Am frühen Nachmittag meldeten sich Polizeipräsidentin Barbara Slowik und ihr Stellvertreter Marco Langner gemeinsam zu Wort: „Die Gewalt, die unsere Kolleginnen und Kollegen in der Silvesternacht erleben mussten, ist unerträglich. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dem deutlich entgegen zu wirken.“

„Dass auch in diesem Jahr Rettungs- und Einsatzkräfte behindert, angegriffen und verletzt wurden, macht mich wütend“, teilte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit. Zu einem möglichen Böllerverbot äußerte sich die Senatorin nicht. Das übernahm die Regierende Bürgermeisterin: Franziska Giffey (SPD) kündigte eine Diskussion im Senat über Konsequenzen aus den Angriffen dieser Nacht an – zum Beispiel eine Ausweitung von Böllerverbotszonen.

Die Gewalt, die unsere Kolleginnen und Kollegen in der Silvesternacht erleben mussten, ist unerträglich. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dem deutlich entgegen zu wirken.

Barbara Slowik, Polizeipräsidentin und Marco Langner, stellvertretender Polizeipräsident

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner schrieb bei Twitter „Es reicht“ und forderte eine harte Bestrafung der Täter. Ein Böllerverbot forderte er nicht. Im Vorjahr hatte es in Berlin in 56 Bereichen ein Böller- und ein Ansammlungsverbot gegeben. Ziel war es, die durch Corona belasteten Krankenhäuser und Rettungsdienste zu entlasten. Innensenatorin Spranger hatte damals die „positive Wirkung“ der Pyroverbotszonen gelobt – vor diesem Silvester war davon nicht mehr die Rede.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin forderte angesichts der nächtlichen Attacken ein Böllerverbot. „Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird“, schrieb GdP-Landeschef Stephan Weh auf Twitter. Die Politik müsse sofort beginnen, sich dieses Themas anzunehmen, „nicht erst im Dezember“. Nötig sei ein „umfassendes Verkaufsverbot“.

Die GdP lobte, dass einige Baumärkte in diesem Jahr keine Pyrotechnik mehr verkauft haben, „die Bevölkerung ist viel weiter als man denkt“, appellierte Weh an die Politik. Schon vor Weihnachten hatte die GdP ein Böllerverbot innerhalb des S-Bahn-Rings gefordert. Die Innenverwaltung wies darauf hin, dass das Land Berlin ein Verbot in der gesamten Innenstadt nicht verhängen könne, dazu müsste das Sprengstoffgesetz geändert werden, und dafür sei der Bund zuständig.

Seit 2020 gilt an zwei Brennpunkten der Stadt sowie vor dem Gefängnis in Moabit ein Böllerverbot. Am Alexanderplatz und in Schöneberg-Nord blieb es nach Polizeiangaben ruhig – für viele ein Argument für ein vollständiges Böllerverbot.

Schreckschusspatronen am Tauentzien.
Schreckschusspatronen am Tauentzien.

© Jörn Hasselmann/Tagesspiegel

Auch auf der Straße des 17. Juni, am Rande der Party am Brandenburger Tor nahm die Polizei mehrere Menschen fest – wegen des Feuerns von Pyrotechnik, Körperverletzungen oder der Benutzung von Schreckschusspistolen. Wie die Polizei mitteilte, wurden wieder an vielen Stellen Schreckschusswaffen abgefeuert. Dieses Problem hat in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen, im Dezember 2020 hatte sich der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses damit befasst.

Der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte damals angekündigt, sich auf Bundesebene für eine Verschärfung des Waffenrechts und eine stärkere Reglementierung von Schreckschusswaffen einzusetzen. Ziel sei es, die legale und illegale Verbreitung und Nutzung vor allem von Schreckschusswaffen, aber auch von Reizgas- und Signalwaffen, deutlich zu reduzieren, sagte Geisel damals. Erfolgreich war Berlin nicht. Nach wie vor können diese Waffen frei an Erwachsene verkauft werden.

Schreckschusswaffen wurden in diesem Jahr selbst an zentralen Orten mit vielen Menschen verwendet, so am Breitscheidplatz. Dort lagen am Vormittag Dutzende Patronen auf einem völlig vermüllten Mittelstreifen der Tauentzienstraße herum.

Die BSR hatte am frühen Morgen mit 500 Leuten und 180 Fahrzeugen begonnen, den Müll aus der Nacht zu beseitigen. Zunächst waren die Hauptstraßen und Plätze in zentralen Bereichen dran.

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