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Die Scheiben bleiben frei - so war es einmal und so soll es bald wieder sein. Dafür entgehen der BVG allerdings Millionen an Werbeeinnahmen.

© imago/Gerhard Leber

Streit um Werbung bei der BVG: 32 Millionen Euro extra für freie Sicht

Die Verkehrsverwaltung will die Scheiben der BVG-Busse von Werbung befreien – und wird wegen der Mehrkosten heftig kritisiert.

Was bei der S-Bahn vor Jahren relativ geräuscharm passierte, macht bei der BVG gerade einigen Ärger: Der Senat will die Werbung an den Fahrzeugen beschränken, konkret sollen die Scheiben nur noch in sehr geringem Umfang mit halb durchsichtigen Reklamefolien beklebt werden. Bei den Straßenbahnen, die schon bisher weniger massiv beklebt sind, fällt die Beschränkung geringer aus, wie zuerst die „Morgenpost“ berichtet hatte. Die weitgehend freie Sicht für die Fahrgäste soll im neuen Verkehrsvertrag festgeschrieben werden, der von 2021 bis 2035 läuft. Der Rahmen steht, aber über Details wird noch verhandelt. Was den teilweisen Verzicht auf Werbung zum Aufreger macht: Die BVG soll über die Vertragslaufzeit 32 Millionen Euro Kompensation erhalten.

Die CDU-Fraktion reagierte prompt und bezeichnete den Einnahmeverzicht als „Schlag ins Gesicht der Berliner Steuerzahler“, Imageschädigung der Stadt und kontraproduktiv fürs Ziel, durch günstigere Fahrpreise mehr Menschen in Busse und Bahnen zu locken.

Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrsverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass der ÖPNV fürs Gelingen der Mobilitätswende möglichst attraktiv sein solle und Fahrgastverbände seit langem die zugeklebten Scheiben kritisierten: „Es geht um komfortables Reisen, nicht um Transportiert werden“. Thomsen verweist auf eine schon 2009 beschlossene Resolution des VBB-Fahrgastforums gegen die Scheibenwerbung.

Außen hui, innen halbdunkel. Bei Fahrgästen ist Werbung auf den Scheiben wenig beliebt.

© Imago/Pemax

Von der BVG ist der Werbeverzicht nach Tagesspiegel-Informationen nicht ausdrücklich gewünscht worden, zumal die Sicht durch die Werbefolien zwar behindert, aber nicht ganz verdeckt wird.

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Unklar ist, welche Konsequenzen die Beschränkung für die Firma Wall hat, die seit langem die bei der BVG verfügbaren Werbeflächen vermarktet. Ihr dürften ebenfalls erhebliche Einnahmen entgehen. Auf Anfrage wollten sich weder die BVG noch Wall äußern – mit Verweis auf das noch laufende Verfahren.

Die Verkehrsverwaltung teilt mit, dass Wall in diesem Fall nicht Vertragspartner des Landes, sondern der BVG sei.

Beim Fahrgastverband Igeb heißt es, die Werbung an den Scheiben sei nicht gerade das größte Problem der BVG, aber prinzipiell gelte: Freie Sicht für zahlende Fahrgäste. „Auf der Karosserie sollen sie machen, was sie wollen“, sagt Igeb-Vizechef Jens Wieseke. „Aber auf die Scheiben gehört keine Werbung. Und übrigens auch nicht diese Folien mit den stilisierten Brandenburger Toren.“

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Bei der S-Bahn durften die Fenster noch nie unter großflächigen Werbefolien verschwinden – und der seit Dezember 2017 geltende Verkehrsvertrag mit dem Land verbietet der Bahn-Tochter sogar Werbung auf den Karosserien der Züge. Er enthielt lediglich einen Bestandsschutz für bereits beklebte Waggons. Der Verkehrsverbund VBB verwies damals auf den Wiedererkennungswert der rot-gelben Züge. Denen hatte der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn, obwohl sonst beim Thema Geld zu wenigen Zugeständnissen bereit, bundesweit Werbefreiheit verordnet. Unter Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube wurde die Reklame dann 2014 wieder erlaubt.

Der aktuelle Konflikt um den Werbeverzicht der BVG ist nicht der einzige, der im neuen Vertrag steckt: So soll das Unternehmen nach Tagesspiegel-Informationen veranlasst werden, die Umstellung der Busflotte auf batterieelektrische Fahrzeuge selbst zu finanzieren – notfalls über einen Kredit. Angesichts von fast 1500 Bussen, von denen aktuell noch rund 1300 mit billigerem Dieselantrieb fahren, dürften sich die Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich bewegen. Die Verkehrsverwaltung will, dass die Flotte bis 2030 abgasfrei fährt.

Fahrgastlobbyist Wieseke sagt dazu: „Wenn das Land diese teure Technik haben will, muss es sie auch finanzieren, anstatt bei der BVG einen Schattenhaushalt aufzubauen. Mit so etwas haben wir genug schlechte Erfahrungen gemacht.“ Von der Verkehrsverwaltung hieß es: "Die Finanzierung der E-Bus-Mehrkosten bei der Anschaffung wird durch einen Mix aus Mitteln des Landes und durch Bundesfördermittel gewährleistet.

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