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Ärzte stehen beim eintägigen Warnstreik am  Charité-Campus in Berlin-Mitte.

© dpa / dpa/Fabian Sommer

Update

„Ich liebe meinen Beruf – wie alle Ärzte hier“: Behandlungen wegen Charité-Streik verschoben

Fast 1000 Mediziner protestierten am Mittwoch am Charité-Campus in Mitte. Es geht um Schichten, Dienstpläne, Lohn – und vielen auch um ein anderes Kliniksystem.

| Update:

Hunderte Ärzte der Berliner Charité haben am Mittwoch die Arbeit niedergelegt. Vor dem Bettenturm am Campus in Mitte trafen sich am Vormittag circa 1000 Mediziner zu einer Kundgebung.

Mit dem eintägigen Warnstreik erhöht der Marburger Bund in der Tarifrunde den Druck auf den Charité-Vorstand. Die Ärztegewerkschaft sprach von einer „hohen Streikbereitschaft“, ein Notdienst sei, wie bei Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen üblich, sichergestellt.

Wie viele planbare Behandlungen abgesagt wurden, ist unklar. „Aufgrund des Warnstreiks mussten elektive Eingriffe zum Teil verschoben werden, wofür wir die betroffenen Patientinnen und Patienten um Verständnis bitten“, sagte ein Charité-Sprecher. Alle Notfälle seien aber versorgt worden; auch geplante Eingriffe, die an Kindern durchgeführt werden müssen, hätten stattgefunden.

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Der Marburger Bund verhandelt über den Haustarifvertrag. Im Zentrum stehen Schichtmodalitäten und Arbeitszeiten, zudem wird 6,9 Prozent mehr Lohn gefordert. Ein Charité-Sprecher bezeichnete die Tarifrunde wegen der vielen Themen als „komplex“, aber „konstruktiv“. Man habe ein „Paket mit Angeboten zu Arbeitszeit und Entlastung, Fort- und Weiterbildung, Entbürokratisierung und Gleichstellung“ vorgelegt.

Dahingehend möchte der Marburger Bund mehr. Ihm gehören mindestens 50 Prozent der Charité-Ärzte an. Insbesondere junge Mediziner kritisierten vor einigen Wochen in einer internen Umfrage die Arbeitsbedingungen an der Charité. Auffallend war auch am Mittwoch, dass die meisten Streikenden erst einige Jahre an der Universitätsklinik arbeiteten.

Jana Reichardt, Assistenzärztin und Mitglied der Tarifkommission, sprach vom Truck der Streikleitung zu den Protestierenden von einem breiten, ermutigenden Protest. Die Tarifkommission sei größer und diverser als zuvor. Das habe auf den Stationen viel Rückhalt eingebracht.

Am Mittwoch haben Ärzte der Charité gestreikt.

© Foto: Hannes Heine

Die Dienstpläne seien ein Problem. Immer wieder müssten die Kollegen kurzfristig einspringen, Lücken in den Schichtplänen füllen, sagte Reichardt, was körperlich belaste und den Alltag schwer planbar mache. Der Marburger Bund fordert dafür Zuschläge.

Charité-Intensivermediziner Tim Arnold

© Hannes Heine

Viele Streikende trugen weiße Kittel, einige hielten selbst bemalte Pappschilder. „Täglich Leben retten, ohne selbst eins zu haben“, war in Anspielung auf die Arbeitszeiten zu lesen, oder auch: „Keine Frau, keine Kinder, nicht mal Zeit für Tinder.“

Intensivmediziner Tim Arnold sagte: „Ich liebe meinen Beruf, wie alle, die hier streiken.“ Doch unter den aktuellen Bedingungen sei der Job zu hart, was sicher auch für viele andere Krankenhäuser gelte.

Einzelne Mediziner sprachen von „Einschüchterungsversuchen“ durch Chefärzte vor dem Ausstand, der Vorstand der Charité wies das zurück: „Eine Einflussnahme von unserer Seite hat es keinesfalls gegeben und wird klar und deutlich abgelehnt.“

Die Charité ist Berlins landeseigene Universitätsklinik. Sie erhält Forschungsgelder aus diversen Töpfen. Die Gebäude sowie die Technik muss wie in anderen Kliniken das Land zahlen; das Gesetz sieht zudem vor, dass die Krankenkassen die Kosten für Personal und Medikamente durch die sogenannten DRG decken.

Damit sind Fallpauschalen gemeint, also jene Mittel, mit denen die Kassen pro Diagnose die Kliniken vergüten. Ärzte und Pflegekräfte kritisieren das Vergütungssystem, die fixen Summen pro Fall seien oft zu knapp. Schon die 2021 streikenden, in Verdi organisierten Charité-Pflegekräfte hatten ein Ende der Fallpauschalen gefordert.

Die Belegschaft der Charité dürfte mit den Arbeitskämpfen für viele Belegschaften anderer Krankenhäuser sprechen.

Tobias Schulze, Gesundheitsexperte der Linken

„Die Belegschaft der Charité dürfte mit den Arbeitskämpfen für viele Belegschaften anderer Krankenhäuser sprechen“, sagte der Gesundheitsexperte der Berliner Linken-Fraktion, Tobias Schulze, am Mittwoch. Die „Ökonomisierung“ der Kliniken habe eine existenzielle Grenze überschritten, die Bundesregierung müsse den „Hilfeschrei“ der Ärzte ernst nehmen. Die Fallpauschalen gehörten durch eine umfassendere Finanzierung aller Behandlungen ersetzt.

Der FPD-Wissenschaftsexperte Stefan Förster teilte mit, dass die Lage in den Kliniken seit Jahren prekär sei, ob mit Blick auf marode Gebäude, fehlendes Pflegepersonal oder die Arbeitsbelastung der Ärzte. „Die Motivation für den Streik ist verständlich, dieser darf aber nicht auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen werden“, sagte Förster.

Fallpauschalensystem soll reformiert werden

Die Krankenhauslandschaft zu reformieren, das lehnt auch der Charité-Vorstand nicht ab, im Gegenteil. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte kürzlich an, 25 Prozent der bislang stationären Behandlung zu ambulantisieren, also ohne Übernachtung in einer Klinik durchführen zu lassen. Damit reagiert Lauterbach auf die im internationalen Vergleich hohen Zahlen an stationären Fällen in Deutschland, die auch von Ärzten als teilweise überflüssig kritisiert werden. Auch das umstrittene Fallpauschalensystem, in dem vor allem OPs auskömmlich von den Kassen vergütet werden, soll reformiert werden.

Wie berichtet gibt es in Dänemark für die 5,8 Millionen Einwohner 32 – spezialisierte – Krankenhäuser; für 83 Millionen Bundesbürger sind es – oft weniger spezialisierte – 1900 Kliniken. Auf 1000 Dänen kommen weniger als drei Betten, auf 1000 Deutsche acht.

Insgesamt arbeiten an der Charité samt Tochterfirma CFM fast 21.000 Beschäftigte, darunter 2700 Ärzte. Mit 3000 Betten in Steglitz, Wedding und Mitte sowie 2,3 Milliarden Euro Jahresumsatz ist die Charité die größte Universitätsklinik Europas. Dem sechsköpfigen Vorstand steht Heyo Kroemer vor, den Aufsichtsrat führt Gesundheits- und Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne).

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